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Mein Klassiker
"Geniales Kino über die Poesie von Berlin"

Der Kabarettist Steffen Möller lebt und arbeitet in Polen, wo er auch im Fernsehen Karriere gemacht hat. Aber er lebt auch immer wieder in Berlin und pendelt zwischen beiden Welten. Für ihn ist der Film "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders der deutsche Film, der ihn am meisten beeindruckt hat.

Von Achim Hahn | 06.09.2016
    Autor Steffen Möller in der MDR-Sendung "Riverboat" am 13.03.2015
    Autor Steffen Möller in der MDR-Sendung "Riverboat" (imago stock&people)
    Mein Name ist Steffen Möller, ich bin Reisebuchautor und mein Klassiker ist der Film "Der Himmel über Berlin" von Wim Wenders. Dieser Film hat das alte Berlin eingefangen vor der Maueröffnung, das Berlin, was vielleicht noch 'ne Poesie hatte. Der Film handelt von zwei Engeln, die durch Berlin streifen und Gedanken lesen können, hören können.
    "Wann werdet Ihr endlich mit eigenen Worten ... Verräter seid Ihr ... Da kommen die Jungen, genau, und die verdrehen die Ohren ..."
    Der eine der beiden Engel verliebt sich in eine Zirkusartistin und beschließt daraufhin, Mensch zu werden: "Ich werde sie in den Arm nehmen, und sie wird mich in den Arm nehmen." Und das ist das Beste, was ihm passieren kann: er lernt die Liebe kennen: "Es gibt keine größere Geschichte als die von uns beiden. Von Mann und Frau. Es wird eine Geschichte von Riesen sein."
    Und die Monologe sind von Peter Handke und das ist 50 Prozent der Miete. Meine Lieblingsszene ist, wie die beiden Engel in einem Doppeldeckerbus sitzen. Man sieht sie von hinten. Sie sitzen in der oberen Etage und fahren so im Morgengrauen durch Berlin. Und Morgengrauen in einer Großstadt - das alles finde ich geniales Kino. Übrigens auch in der Staatsbibliothek, wie die beiden da rumstreifen, und man die Menschen, die da sitzen, in verschiedenen Sprachen denken hört. - Das alles finde ich geniales Kino und ich kenne keinen anderen deutschen Film, der mich je so beeindruckt hat.
    "Walter Benjamin kaufte 1921 Paul Klees Aquarell ... - Über sie hinweg ziehen die Kraniche ..."
    Ich finde, dieser Film hat auf unnachahmliche Weise die Realität übersetzt in Kunst: Die Idee, dass die Kamera Augen von Engeln sind, die jetzt die Wirklichkeit sehen, das ist die genialste Idee aller Filmzeiten gewesen. Und in dem Moment, wo wir die Perspektive von Engeln einnehmen, die nur helfen wollen: also der Motorradfahrer, da auf der Langenscheidt-Brücke, der im Sterben liegt, und der Engel kommt und legt ihm die Hand auf die Schulter und der der Mann stirbt leichter. Das ist die Quintessenz von Film.
    "Sagt mal, was steht ihr hier da wieder alle rum? Ihr seht doch, was los ist! Hat wenigstens jemand 'nen Notarzt gerufen? - Der muss 'nen Schädelbruch ..."
    Ich habe den Film zuerst gesehen - so 1988 in einem Wuppertaler Programmkino, Cinema, wo auch Tom Tykwer gearbeitet hat. Aber das habe ich damals nicht gewusst. Komischerweise war ich jetzt gerade, bevor ich hier diese Aufnahme mache, in der Goebenstraße in Schöneberg und habe dort im Souterrain in dem Altklamottenladen gewühlt, der auch im "Himmel über Berlin" eine Rolle spielt, wo sich die beiden Engel menschliche Kleidung besorgen, und der alte Opa, der da sitzt auf der Straße vor dem Laden, ist derselbe wie damals 1987. Berlin ändert sich nicht.
    Ich fordere alle Hörer auf, diesen Laden zu besuchen. Der alte Opa hat nicht viele Kunden. Ich habe dort vier Bücher für drei Euro gekauft.