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Meister der klassischen Moderne erbeutet

Aus der Kunsthalle Rotterdam sind Werke von Monet, Picasso, Matisse, Gauguin und Lucian Freud verschwunden. Interessant an der Auswahl der Täter sei, dass es durchaus wertvollere und bedeutendere Werke in dieser ausgestellten Privatsammlung gegeben hätte, sagt der Journalist Stefan Koldehoff.

Stefan Koldehoff im Gespräch mit Burkhard Müller-Ullrich | 16.10.2012
    Burkhard Müller-Ullrich: Weg sind mindestens zwei Monets, ein Picasso, ein Matisse, ein Gauguin und ein Bild von Lucian Freud. Von wo sind sie weg? Aus der Kunsthalle der Stadt Rotterdam. Seit wann? Seit heute Morgen. Und weitere Fragen jetzt an unseren Sonderermittler Stefan Koldehoff: Wer sind die Täter? Und wo steckt die Beute?

    Stefan Koldehoff: Wenn ich das wüsste, dann wäre ich wahrscheinlich jetzt nicht im Studio und würde mit Ihnen über diesen Fall sprechen, sondern gucken, wie man die Werke wieder los wird. Das ist noch völlig unbekannt. Die Polizei hat offenbar noch keine Spur. Man ist noch dabei, Videoaufnahmen auszuwerten, mit Zeugen zu sprechen, so es überhaupt welche gibt, und dann erst will man sich zum Stand der Ermittlungen äußern, wie es immer so schön heißt.

    Müller-Ullrich: Apropos weg: Die Kunsthalle liegt ja mitten in der Stadt, 400 Meter bis zum Wasser, habe ich auf Google Maps gesehen, also Abtransportmöglichkeiten wären gegeben. Aber es gibt ja ein paar technische Schwierigkeiten dabei. Sind die Bilder eigentlich sehr groß? Wissen Sie das?

    Koldehoff: Das ist das Interessante an dieser Auswahl, die Sie da gerade genannt haben. Es hätte durchaus wertvollere und bedeutendere Werke gegeben in dieser Triton Foundation - so heißt diese private Sammlung, die in der Kunsthalle Rotterdam im Moment ausgestellt ist, beispielsweise das größte Blumenstillleben, das Vincent van Gogh jemals gemalt hat, oder ein fantastisches Werk von Piet Mondrian, alles im zweistelligen Millionenbereich. Aber die Täter haben sich tatsächlich auf transportable Werke konzentriert, bei Monet eben nicht große Gemälde, sondern eher kleinere Pastelle, auch der Matisse, seine lesende Frau, die erst 2000 von den Sammlern, vom Ehepaar Cordia, die hinter der Triton Foundation stecken, angekauft wurden, da handelt es sich um kein Riesenformat. Möglicherweise hat man gelernt aus Kunstrauben der letzten Jahre, beispielsweise dem Angriff auf die Bührle-Sammlung in Zürich vor einigen Jahren. Da haben die Täter nämlich festgestellt, dass die Bilder, die sie sich ausgesucht hatten, viel zu groß waren, um sie mit einem Wagen wegzubekommen, und mussten dann zwei davon auf einem Parkplatz im Auto auf der Rückbank zurücklassen.

    Müller-Ullrich: Wie groß ist denn der Coup, wenn man das mal so vergleicht mit ähnlichen Fällen? Sie waren ja schon dabei, wobei groß kann ja jetzt verschiedene Vergleichsmaßstäbe bedeuten, also einmal Geldwert und andererseits eben auch die technischen Schwierigkeiten.

    Koldehoff: Also es ist schon ein bedeutender Kunstraub, wenn man das ohne jede Hochachtung vor den Tätern so formulieren darf. Die Künstler, die Sie gerade genannt haben, Matisse, Monet, Gauguin, auch Lucian Freud, gehören ja nun tatsächlich zu den Meistern der klassischen Moderne und der Gegenwartskunst. Da haben die sich schon was unter den Nagel gerissen, was tatsächlich materiell, aber auch ideell einiges wert ist. Was das Logistische angeht, scheint das in Rotterdam gar nicht so schwierig gewesen zu sein, denn die Kunsthalle ist so gelegen, dass man mit einem Auto bis vor die Tür fahren kann. Wenn man einmal drin ist und die Bilder rausbekommt, dann hat man sie auch relativ schnell weg, zu Lande oder zu Wasser. Und – das ist das eigentlich Interessante an diesem Kunstdiebstahl, der ja kein Raub ist, weil keine Gewalt gegen Menschen angewandt wurde: Ich glaube ehrlich gesagt, dass es sich um einen sogenannten Insider-Job gehandelt hat. Wenn man sich jetzt mal überlegt: die wussten, wo die Werke hängen, die wussten offenbar, wie sie so schnell rein und wieder rauskommen, dass die Alarmanlage zwar anschlagen konnte, aber die Täter mit der Beute weg waren, bevor die Polizei vor Ort sein konnte, wenn man dann noch, wie das die Zeitung "Der Telegraph" gerade gemeldet hat, hört, dass in der Nacht keine Wachleute im Gebäude waren, sondern die Alarmanlage mal erst einen Wachdienst informiert hat, der dann hergefahren kam, sah, da ist irgendwas nicht in Ordnung, und dann erst die Polizei eingeschaltet wurde, dann sind das schon ein paar viele Zufälle und es ist bei Kunstdiebstählen der letzten Jahre und Jahrzehnte häufig der Fall gewesen, ohne jetzt jemanden konkret damit zu beschuldigen, dass unterbezahltes Wachpersonal oder Hausmeister oder wer auch immer Tipps gegeben haben, so und so könnte es funktionieren, oder, wie im Fall des Überfalls auf das Museum der Stadt Paris, des Kunstmuseums, dass sogar ein Fenster geöffnet wurde.

    Müller-Ullrich: Sie sagten ja gerade, man müsste versuchen, sie dann los zu werden. Aber das geht doch eigentlich gar nicht? Diese Bilder sind doch unverkäuflich.

    Koldehoff: Nein, man kann sie nicht verkaufen. Man kann sie umso weniger verkaufen, als gerade zur Eröffnung der Ausstellung am 7. Oktober das Gesamtverzeichnis der Triton-Sammlung veröffentlicht worden ist. Jeder kennt diese Bilder und jeder halbwegs seriöse Kunsthändler wird die Finger davon lassen.

    Müller-Ullrich: Also warum macht man es dann?

    Koldehoff: Na ja, es gibt das sogenannte Artnapping, das in den letzten zehn, 20 Jahren sehr an Bedeutung gewonnen hat. Das bedeutet: Man stiehlt diese Bilder und man wendet sich dann mit einem bestimmten Abstand, wenn sie nervös geworden sind, ob die Bilder denn je zurückkommen mögen, an die Besitzer und bietet denen an, gegen ein Lösegeld könnt ihr die Sachen zurückhaben. Das hat in aller Regel auch Erfolg. Es werden zwar 80 Prozent der Bilder, die gestohlen werden weltweit, wiedergefunden, aber nur ungefähr ein Viertel aller Täter auch dingfest gemacht, weil natürlich jedem Besitzer lieber ist, er bekommt sein Bild zurück, und zwar möglichst unbeschädigt, als dass er Wert auf Verfolgung der Täter legt, und selbst Versicherungen sind häufig bereit, dieses Lösegeld zu zahlen – heißt dann natürlich nicht Lösegeld, sondern Belohnung für Auffindung und bra, bra, bra, weil es immer noch preiswerter ist, zehn Prozent an sogenanntem Finderlohn zu zahlen, als den vollen Preis eines Gemäldes.

    Müller-Ullrich: Eine böse Überraschung zum 20-jährigen Bestehen der Rotterdamer Kunsthalle, denn das feiert sie, und am ersten Novemberwochenende wollte sie es groß feiern. Kunsthalle besagt, sie hat ja keine eigene Sammlung, nicht wahr?

    Koldehoff: Genau so ist es. Es ist ein Wechselausstellungsraum.

    Müller-Ullrich: Danke, Stefan Koldehoff, für die Auskünfte.