Freitag, 29. März 2024

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Methylenblau als Arznei
Wirkt der Farbstoff gegen Alzheimer?

In Toronto wurde eine große Studie vorgestellt, derzufolge eine Variante des Farbstoffs Methylenblau Alzheimer stoppen könnte. "Endlich ein Wirkstoff, der das Fortschreiten deutlich verlangsamt", schrieb der "New Scientist". Die "New York Times" bremste hingegen die Erwartungen und sprach vom Stolpern des Medikaments in der letzten Studienphase.

Volkart Wildermuth im Gespräch mit Uli Blumenthal | 28.07.2016
    Zwei Pflegerinnen stützen in Heilbronn in einem Pflegeheim einen Bewohner.
    Zwei Pflegerinnen stützen in Heilbronn in einem Pflegeheim einen Bewohner. (picture alliance / dpa / Uwe Ansprach)
    Uli Blumenthal: Was ist den LMTX eigentlich?
    Volkart Wildermuth: Das ist gleichzeitig ein sehr alter und ein sehr neuer Wirkstoff. Alt, weil es sich um eine stabilere Variante von Methylenblau handelt. Und das wurde schon 1876 bei BASF hergestellt, nicht nur als Farbstoff, sondern zum Beispiel auch zur Behandlung von Malaria. Neu ist der Wirkstoff, weil er nicht wie die meisten anderen Alzheimer-Medikamente versucht, die Amyloid-Ablagerungen anzugehen, sondern das zweite Krankheitszeichen, die Tau-Fasern. Es gibt einen lagen Streit, was wichtiger ist. Im Moment sieht es so aus, als ob es zuerst zu den Amyloid-Ablagerungen kommt, die dann die Bildung der Tau- Fasern auslösen. Und die sind es, die die Nerven töten und so das Gedächtnis schädigen. Methylenblau oder auch LMTX können das Tau daran hindern, sich zu diesen gefährlichen Fasern zusammenzulegen. Das versuchen eine ganze Reihe neuer Wirkstoffe, aber die LMTX-Studie ist eben die erste große Studie auf diesem Feld und deshalb wurde sie auf der Alzheimer-Konferenz auch besonders hervorgehoben.
    Blumenthal: Wie sehen denn nun die Ergebnisse aus?
    Wildermuth: Bei der internationalen Studie wurden knapp 900 Patienten in der Frühphase von Alzheimer behandelt, unter anderem auch in Berlin an der Charité. Und die bekamen entweder LMTX oder ein Placebo der auch kleine Spuren des Farbstoffs enthielt. Das braucht man, sonst merken die Patienten schon an der Farbe ihres Urins, ob sie das Medikament oder eine Zuckerpille erhalten haben. Die Patienten wurden dann über 15 Monate begleitet und am Ende zeigte der Vergleich, die Gedächtnisleistung nahm in allen Gruppen ab und zwar in einem vergleichbaren Umfang. Damit hat also die "New York Times" Recht, das Medikament hat die Erwartungen leider nicht erfüllt.
    Blumenthal: Warum kommt dann der "New Scientist" zu einer positiveren Einschätzung?
    Wildermuth: Man kann so große Studien nicht nur auf eine Art analysieren. Es war schon zu Beginn vorgesehen, sich auch die Patienten anzuschauen, die nur LMTX erhielten und keine anderen Medikamente. Und in dieser Gruppe, das waren nur etwa 80 Personen, in dieser Gruppe war das Gedächtnis erheblich stabiler, die kamen auch im Alltag besser zurecht und sogar in Bildern aus dem Gehirn zeigte sich: Die Schäden schreiten längst nicht so schnell voran. Diese Form der Analyse hat den "New Scientist" überzeugt. Der Kopf hinter LMTX, das ist der schottische Forscher Claude Wischik, vermutet, dass die anderen Medikamente die Wirkung von LMTX blockieren, aber das ist bislang reine Spekulation.
    Blumenthal: Welcher Blickwinkel ist denn der richtige?
    Wildermuth: Das habe ich auch verschiedene deutsche Forscher gefragt. Oliver Peters von der Charité war selbst an der LMTX-Studie beteiligt. Er sagt, da gibt es nichts herumzureden, die Studie war kein Erfolg. Aber trotzdem sind die positiven Teilbefunde wichtig, weil sie Hinweise geben, wie man weiter vorgehen könnte. Das ist im Grunde ähnlich wie bei Medikamenten gegen das Amyloid. Die hatten auch keinen Erfolg, aber es gab interessante Teilergebnisse, die man weiter verfolgt. So wird der Antikörper Solanezumab jetzt bei Patienten mit milden Gedächtnisstörungen eingesetzt, die Ergebnisse sind im Dezember zu erwarten. Auch Georg Adler vom Institut für Studien zur psychischen Gesundheit in Mannheim sieht die LMTX-Studie eher skeptisch, einfach weil solche Teilbefunde nie die gleiche Aussagekraft haben. Dabei glaubt er an das Potenzial von Methylenblau, er erprobt es gerade an zehn Patienten mit einer anderen Demenzform, der Frontotemporalen Demenz. Zumindest bei dem ersten Patienten ergab sie eine deutliche Besserung, aber auch das muss natürlich erst in größeren Studien bestätigt werden.
    Blumenthal: Wie sieht denn die Zukunft der Alzheimer-Therapie aus?
    Wildermuth: Die Hoffnung im Grunde aller Forscher richtet sich auf eine frühe Therapie, bevor es wirklich zu großen Nervenschäden kommt. Dann müssten die Patienten Medikamente wie LMTX oder Solanezumab oder einen der vielen anderen Wirkstoffe über lange Zeit bekommen, wahrscheinlich in einer Kombination. So würden sie ihre Nerven schützen. Das lässt sich mit der jahrelangen Therapie gegen zu hohes Cholesterin vergleichen, die schützt die Adern und senkt das Risiko für Schlaganfall und Herzinfarkt. Voraussetzung für eine solche Strategie ist aber eine einfache frühe Diagnose von Alzheimer. Das ist noch sehr schwierig, in Toronto wurden da auch neue Ansätze vorgestellt um über die Untersuchung des Sehnervs beim Augenarzt oder die Wahrnehmung von Düften schon ganz früh Probleme erkennen zu können. Aber auch das muss erst in großen Studien geklärt werden. Fazit: Derzeit gibt es keine Durchbrüche, die schon heute Alzheimer Patienten helfen könnten. Aber die Forscher geben nicht auf und verfolgen interessante Spuren wie jetzt bei LMTX. Auf längere Sicht gibt es also durchaus Hoffnung für die älteren Menschen mit hohem Risiko für eine Demenz.