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Mikroorganismen im Meeresboden
Millionen Jahre alte Bakterien wiederbelebt

Dass Mikroorganismen tief unter der Erdoberfläche leben können, ist seit etwas mehr als 15 Jahren bekannt. Auch, dass manche dieser Ökosysteme uralt sind. Jetzt konnten Forschende Bakterien zum Leben erwecken, die in bis zu 100 Millionen Jahre alten Sedimentschichten im Südpazifik eingeschlossen waren.

Von Dagmar Röhrlich | 29.07.2020
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Das Forschungsteam untersuchte Bakterien in Sediment-Bohrkernen aus dem Südpazifischen Wirbel, (IODP JRSO)
"Das ist eine ganz, ganz fantastische Geschichte. Damit hat sicherlich keiner gerechnet, dass es in diesen sehr, sehr alten, sehr nährstoffarmen Sedimenten noch Leben gibt."
Die Forschungsergebnisse, auf deren Veröffentlichung die Geochemikerin Verena Heuer vom Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Uni Bremen so begeistert reagiert, sind tatsächlich ungewöhnlich: Geobiologen haben auf der Suche nach den Grenzen des Lebens Mikroorganismen entdeckt, die bis zu 101 Millionen Jahre im Sediment des Ozeanbodens eingeschlossen waren – und sie wieder zum Leben erweckt:
"Wir haben das Leben im Meeresboden unter dem Südpazifischen Wirbel angeschaut: der Meeresregion, die das weltweit klarste Wasser hat. Das bedeutet auch, dass die Planktonproduktion an der Oberfläche sehr gering ist – und demzufolge auch das Nahrungsangebot für die Mikroorganismen am und im Meeresboden. Wir wollten wissen, wie das mikrobielle Leben in solchen extrem nährstoffarmen Sedimenten aussieht."
Millionen Jahre alte Sedimente untersucht
Erklärt Yuki Morono von der japanischen Meeresforschungsorganisation JAMSTEC. Also zogen er und seine Kollegen an mehreren Stellen im Südpazifischen Wirbel in bis zu 5700 Metern Wassertiefe Bohrkerne. Die Sedimente, die sie beprobten, sind zwischen 13 und 100 Millionen Jahren alt und enthielten noch Sauerstoff: ein Zeichen dafür, dass es für Mikroben so gut wie nichts zu "verdauen" gibt. Trotzdem entdeckten die Forscher in ihren Proben Mikroorganismen. Doch waren diese Zellen noch funktionsfähig? Um das herauszufinden, versorgten die Wissenschaftler sie sie mit speziellen Nährlösungen: Mit Hilfe schwerer Isotope von Stickstoff und Kohlenstoff darin können lebende Organismen nachgewiesen werden.
"Die Mikroorganismen waren vollkommen im Sediment eingeschlossen, konnten sich nicht bewegen. Das, was ihnen an Porenraum zur Verfügung stand, war viel kleiner als sie selbst. Sie waren regelrecht in ihr Gefängnis eingepresst – und das bei extremer Energieknappheit. Wir konnten uns nicht vorstellen, dass sie in diesem Zustand gesund genug wären, um sich rasch wieder zu erholen. Doch zu unserer Überraschung waren sie es: Wir konnten mehr als 99 Prozent davon wiederbeleben."
Die Bakterien teilten sich sogar wieder
Die Mikroorganismen begannen sogar wieder, sich zu teilen. Wer da lebt, das sind zum größten Teil aerobe Bakterien, Bakterien, die Sauerstoff benötigen. Den DNA-Analysen zufolge gehören sie zu acht Gruppen, die sonst im Salzwasser schwimmen und organisches Material abbauen.
"Überraschenderweise fanden wir kaum Bakterien, die schlechte Zeiten überstehen, indem sie Sporen bilden. Wir gehen davon aus, dass der Energieaufwand dafür zu hoch wäre. Möglicherweise können diese Mikroorganismen also gar keine Sporen bilden."
Oft geteilt haben dürften sich die Mikroben erst recht nicht: Wahrscheinlich sind sie noch recht nahe am "Original". Der unwirtliche Lebensraum unterm Meeresgrund liefert anscheinend gerade genug Energie für Zellreparaturen. Für Verena Heuer, die an der Entdeckung nicht beteiligt war, illustriert der spektakuläre Fund einmal mehr: Extremer Nahrungs- und Energiemangel ist für das Leben keine ultimative Grenze.
"Schwupps, sind sie wieder: Party! Da geht's los!"
"Je mehr wir nach diesen Grenzen suchen, desto mehr stellen wir fest, dass es die so einfach nicht gibt, und dass man eigentlich die Frage stellen muss, was sind konzeptionell die Grenzen des Lebens. Was ist unsere Vorstellung von Leben und Tod und der Grenze dazwischen? Diese Studie zeigt sehr, sehr deutlich und auf eine einmalige Art und Weise fast, dass die Zellen intakt sind, dass die in dem Moment, in dem die wieder gute Bedingungen finden, auch sofort loslegen können. Die liegen seit 100 Millionen Jahren und haben vielleicht ungünstige Bedingungen seit 50 Millionen Jahren. Und dann kommt da so ein netter Mikrobiologe und gibt Ihnen was zu essen - und schwupps, sind sie wieder: Party! Da geht's los!"