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Mit dem Finger in der Nase

Biologie. – Wenn sich Menschen zur Begrüßung die Hände geben oder auf die Wange küssen, gilt dies als typisch menschliches Ritual, das auf bestimmten überlieferten Verhaltenweisen basiert. Doch mitnichten verhält sich nur Homo sapiens sapiens derart merkwürdig. Auch im Tierreich stoßen Forscher auf irritierend Grußformeln. So etwa bei Kapuzineraffen, die sich schon mal gegenseitig einen Finger in die Nase schieben.

26.05.2003
    Von Kristin Raabe

    In den Regenwäldern von Costa Rica übertönen die Rufe der Kapuzineraffen alles andere. Das müssen sie auch, denn im dichten Blätterwald verlieren die Tiere oft den Blickkontakt. Um die anderen Gruppenmitglieder aufzuspüren, braucht es ein lautstarkes: "Hallo, wo seid ihr". Wenn Kapuzineraffen sich Auge in Auge gegenüber sitzen, dann sind Worte allerdings überflüssig. Die Amerikanerin Susan Perry vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig hat beobachtet, wie die Tiere kommunizieren.

    Eine interessante Verhaltensweise habe ich bei einer meiner Gruppen beobachtet: Dabei steckt ein Affe einfach den Finger in die Nase eines anderen Tieres. Das sieht sehr bizarr aus. Dieses Verhalten kommt aber nur bei sehr engen Freunden vor. Sie stecken sich gegenseitig den Finger in die Nase und bleiben bis zu 10 Minuten völlig ekstatisch bei dieser Tätigkeit.

    Zehn Minuten – das ist für die gewöhnlich ziemlich hyperaktiven Kapuzineraffen eine enorm lange Zeitspanne. Susan Perry hat oft Mühe, ihnen in den Wäldern von Costa Rica zu folgen. Aber das nimmt sie gerne in Kauf - genauso wie die schlechten Telefonleitungen. Wie sie das gegenseitige "Nasebohren" deuten sollte, bereitet der Wissenschaftlerin einiges an Kopfzerbrechen:

    Erst dachte ich, dass sei so eine Art olfaktorische Kommunikation. Ich nahm an, so etwas sei typisch für Kapuzineraffen. Aber dann habe ich mein Beobachtungsgebiet ausgedehnt und noch mehr Gruppen beobachtet. Dann wurde mir klar, dass dieses Verhalten absolut einmalig war und nur bei einer Gruppe vorkam. Auch andere Forscher, die Kapuzineraffen beobachten, berichteten über merkwürdige Verhaltensweisen, die nicht generell typisch für diese Affenart sind.

    Anscheinend ist das Nasebohren so etwas wie eine Tradition - ähnlich der Tradition der Franzosen, einander mit drei Küssen auf die Wange zu begrüßen. Kapuzineraffen haben ein ausgefallenes Repertoire an seltsamen Traditionen. Beispielsweise das Haar-Spiel: Dabei beißt ein Affe dem anderen ein Büschel Haare aus. Der so beraubte versucht dann, das Haar aus dem Mund des anderen wieder herauszuholen. Mit solchen Spielen können sich Kapuzineraffen bis zu einer Stunde beschäftigen:

    Meine beste Idee dazu ist, dass es sich um eine Art Beziehungstest handelt. Allen diesen seltsamen Verhaltensweisen ist eins gemeinsam: Sie sind ein wenig riskant und zumindest für einen der Affen unangenehm. Manche Biologen glauben, dass Tiere gelegentlich einen Partner ein wenig unter Stress setzen, um zu sehen wie er reagiert. Dasselbe könnte auch bei Kapuzineraffen stattfinden. Wenn ein Affe einem anderen den Finger in die Nase steckt, und der reagiert wohlwollend, dann weiß der Affe: Wir verstehen uns gut. Ist der andere jedoch verärgert, dann ist klar: Um uns steht es gerade gar nicht gut.

    Die verrückten Spielchen der Kapuzineraffen machen also durchaus Sinn: Dahinter stecken ausgefeilte Beziehungstests, für die ein Affe schon besonders schlau sein muss. Und das sind Kapuzineraffen. Sie haben im Verhältnis zu ihrer geringen Körpergröße ein enorm großes Gehirn – und das obwohl sie nicht zu den Menschenaffen gehören. Die seltsamen Traditionen und Spiele haben die Kapuzineraffen nur erfunden, weil sie über keine verbale Sprache verfügen - trotz ihrer lautstarken Rufe.