"Und dann schießt plötzlich der Jeep durch, bam, bam, bam. Mir hams die Toilette eingebrochen, hams des Schloss kaputt gmacht, der hat an dringenden Fall ghabt, bestimmt. I hab da ummanander gmacht, dann hört ma was hupen, schaut nach links und auf einmal bam, bam, bam, war der scho untenglegen."
Der Besitzer des kleinen, grün gestrichenen Kiosks an der Wittelsbacher Brücke und seine Stammgäste sind immer noch ganz aufgeregt. Nur wenige Meter von ihren wackeligen Stehtischen entfernt verfehlte gestern ein Jeepfahrer die Brücke, durchbrach das Absperrgeländer, überschlug sich in der Luft und landete fünf Meter tiefer am Isarufer. Der Fahrer erlitt nur ein paar blaue Flecken, erzählt Stammgast Ulrich Huber
"I stell mi jetzat nur noch hintern Baum, weil da lebst gfährlich. Der hat a Saugwicht, der wiegt zwei Tonna oder was. Und dann ist der so weit nübergflogn, über den Radlerweg. Da warn zufällig keine Leut unten, des war a Wunder, des Wunder von der Wittelsbacher Brücke. Dann hamman rauskohlt mit der Eisenstanga."
Das "älteste Standl der Stadt" feiert diesen Sommer - ebenso wie München - einen runden Geburtstag: Die Isarmetropole wird 850, der kleine Ausschank 160 Jahre alt. Er ist eine wichtige Anlaufstelle für durstige Spaziergänger, Rentner und die Obdachlosen, die sich jedes Jahr zwischen April und Oktober ein Lager unter der Wittelsbacher Brücke einrichten. Kioske wie diesen gibt es viele in München, vor allem im Englischen Garten und an der Isar, deren breites Ufer sich wie ein grünes Band durch die gesamte Stadt zieht.
"Jetzt gehen wir über diese Bühne, die Neue. Und es ist wirklich aufregend, weil die Leute..."
Auf der anderen Seite der Isar liegt der Jakobsplatz, wo wir mit dem Direktor des Stadtmuseums zu einem Streifzug durch Münchens Innenstadt verabredet sind. Der Platz hat sich seit dem Bau des neuen jüdischen Zentrums mit Münchens Hauptsynagoge, einem strengen Quader aus beigem Naturstein, sehr verändert. Die nächste Station ist der Viktualienmarkt, den Touristen und Altmünchner gleichermaßen lieben.
"... und jetzt kommt ja der wichtigste Mann hier, Herr Ude..."
Zwischen dem Pferdemetzger und der Hofpfisterei hastet plötzlich Münchens Oberbürgermeister Christian Ude vorbei. Wir nehmen seine Verfolgung auf. Er steuert eine kleine Eisdiele an.
"Jetzt habe ich gerade Touristen mit Erfolg abgewimmelt, aber Sie nicht."
"Weil die Kollegen vom Deutschlandfunk wollten, dass ich das Lied vom Alten Peter sing."
"Des machens mal! Das gehört zu den klassischen Pflichten eines Museumsdirektors…"
Ein Leben außerhalb Münchens könne er sich gar nicht vorstellen, erklärt der SPD-Politiker, den die Münchner im März 2008 zum vierten Mal zum Oberbürgermeister wählten. Aber die Liebe zu seiner Heimatstadt habe ihn nicht blind gemacht.
"München ist ja keineswegs zufällig mit dem Ehrentitel - in Anführungszeichen - Hauptstadt der Bewegung ausgezeichnet worden, sondern weil hier wirklich das 'braune Haus' stand und der 'Völkische Beobachter' erschien und Hitler hier seine ersten Erfolge hatte. Und reaktionäre Strömungen gibt es tatsächlich auch bis in die Gegenwart, das heißt München war immer ambivalent durch die Jahrhunderte hindurch. Und wenn Sie mich jetzt aktuell fragen, dann würde ich sagen: Das unangenehmste an München ist eine etwas unangenehme, allzu prunksüchtige, protzende Finanzoberschicht, die sich zu oft auf die Schulter klopft und geistig ein wenig zu genügsam ist."
Ude spielt auf die vielen Skandale an, die München in jüngster Zeit beschäftigen: schwarze Kassen bei Siemens, faule Kredite bei der Bayerischen Landesbank, Gammelfleisch im Großmarkt.
"Aber München ist auch, wie der Schriftsteller Ernst Hoferrichter hier am Viktualienmarkt mal gesagt hat, die Stadt der Lebensfreude","
gibt uns Ude noch zum Abschied mit auf den Weg, und Wolfgang Till nickt eifrig. München sei einfach eine Stadt der Extreme, fügt der Direktor des Stadtmuseums hinzu, nachdem wir die Eisdiele wieder verlassen haben. Die Isarmetropole umfasse die ganze Bandbreite zwischen Himmel und Hölle. Ein typischer Repräsentant dieser Münchner Ambivalenz sei Walter Sedlmayr. Der Schauspieler habe in vielen seiner Rollen den Klischee-Münchner schlechthin abgegeben:
""3-Quartel-Privatier heißen die, die so bisserl so Kugelbauch haben, Hirterl im G’nick, an Dackel und schon am Nachmittag oder noch früher ihr Bier trinken, weil sie leben können von den Zinsen, die das Haus bringt und so weiter. Und das hat er gegeben in einer geradezu perfekten klassischen Weise, diesen jovialen Bonvivant, obwohl er in höchsten Maße ein finsterer Charakter war. Also er hatte eine Neigung zur Kriminalität …"
Besonders viel Aufsehen erregte der Diebstahl der berühmten "Blutenburger Madonna", die die Polizei kurze Zeit später in seinem Haus fand. Es konnte nie geklärt werden, ob sie in seinem Auftrag gestohlen worden war. Später eröffnete der Schauspieler in der an den Viktualienmarkt angrenzenden Westenriederstraße die Wirtschaft "Beim Sedlmayr", vor der wir inzwischen angelangt sind.
"Hier war eine sehr übel beleumundete Wirtschaft, da waren also einbeinige Damen, die immer noch anschaffen mussten. Hier war richtig Zillemilieu in den 50er und 60er Jahren noch. Aber er hat eben mit zwei Kriminellen, seinen späteren Mördern, eine Geschäftsbeziehung eingegangen, wohl wissend, was für Vögel das sind. Die haben ihn betrogen und das hat er halt irgendwann gemerkt. Dann wollte er halt mal Klartext reden, und dann haben sie ihn umgebracht."
Ähnlich wie die Stadt scheint "der Münchner als Solcher" einerseits die ideale Projektionsfläche für Klischees abzugeben, denen er dann andererseits total widerspricht. Dies gilt auch für Karl Valentin, dessen "Musäum" am Ende der Straße liegt. Der grantlige Kabarettist kommt in seiner bayerischen Mundart wie ein einfach gestrickter Provinzler daher, dabei fühlt er mit seiner absurden Wortakrobatik der Sprache auf den Zahn wir kaum ein anderer.
Das "Valentinmusäum" ist in zwei Türmen untergebracht. Steile Wendeltreppen führen in die gerade neu gestalteten Ausstellungsräume. Ganz oben betreibt Petra Perle das Turm-Stüberl.
"Ja hier gehen die Uhren anders. Es ist auf jeden Fall nicht halb zwölf, wobei mis a wundert, das die Uhr um halb zwölf zwölfmal klingelt…"
Das Café, voll gestopft mit Kuriositäten aller Art, ist eine Reminiszenz an die beiden Versuche Karl Valentins, ein Panoptikum einzurichten, erzählt Petra Perle. Sein gesamtes Geld habe er in dieses zweimal gescheiterte Projekt gesteckt, und das sei nicht wenig gewesen.
"Valentin wurde ja zu Lebzeiten - ihr müsst euch vorstellen, er hat ja auch zur selben Zeit gelebt wie der Charly Chaplin - als deutscher Charly Chaplin gehandelt."
Nicht nur die frühere Popularität von Karl Valentin, auch seine Heimatstadt München werde regelmäßig unterschätzt und auf das Klischee reduziert, ein Hort von Zucht und Ordnung zu sein, keimfrei sozusagen, ohne Ecken, Nischen und Subkultur, alles blankgefegt von der schwarzen Staatsmacht. Das Paar am Nebentisch nickt zustimmend. Es gäbe auch ein ganz anderes München, meint der Mann um die 40, der mit seinen Tätowierungen auf beiden Armen wie ein etwas in die Jahre gekommener Punk aussieht.
"Gerade in München gibt es jede Menge Querdenker, querschädelige, anarchistische Leute. Biermösl, Achternbusch, Polt, Karl Valentin."
Liedermacher, Kabarettisten, Filmemacher und schräge Bands waren und sind bis heute die Seele der Münchener Opposition. Von der können auch die beiden Punks an unserem Nachbartisch ein Lied singen…
"Mir san dagegn..."
Oliver Nauerz und Kathrin Seeger haben gerade einen Dokumentarfilm gedreht über "Bairische Gegeng’schichten" im Allgemeinen und die Geschichte der Münchner Punkszene im Besonderen. Punks in München seien genau genommen immer viel renitenter gewesen als in anderen Städten, beispielsweise in Berlin, wo sie viel weniger auffallen, behauptet Katrin Seeger.
"Man musste besser zusammenhalten, weil der Druck von außen sehr stark war. Was die Münchner Punks schon immer ein bisschen ausgezeichnet hat, das ist eben dieses Rückgrat, was man haben muss."
Nachdem wir uns von den Punks und Petra Perle verabschiedet haben, laufen wir weiter in Richtung Hofbräuhaus. Der Weg dorthin führt an der Wohnung des Filmemachers und Malers Herbert Achternbusch vorbei.
"Früher stand an der Klingel nur Herbert, jetzt steht richtig voller Name. Jetzt schaun mehr mal hin, vielleicht sehen wir ja irgendetwas von ihm. Also hier ist Achternbusch. Jetzt ist hier leider zu. Er wohnt ganz oben, jetzt läut ma mal, hören wir ihn und fragen ihn, wo`s zum Hofbräuhaus geht... Herbert, meditierst du gerade? Na, es ist nichts zu hören, also entweder sitzt er jetzt bei uns im Stadtmuseum in Kino oder im Schneiderweißbier... Rührt sich nichts…"
Wir begeben uns also ohne Achternbusch zum Hofbräuhaus
"Es gibt einen ganz originellen Einstieg, nämlich wie Dante in die Vorhölle kann man ins HBH durch den Hintereingang in die Schwemme, und erlebt also da schon das Ende des HBH-Besuchs auf ganz drastische Weise. Also jetzt Luft anhalten, jetzt gehen wir rein man ist hier am Ende dieser Verwertungskette. Also, das HBH ist ja das Gasthaus mit dem größten Bierausstoß in der ganzen Welt. Und hier geht’s in den großen Raum, der die große Schwemme heißt, da ist es immer so laut…"
Das Hofbräuhaus gehört dem bayerischen Finanzministerium und ist mindestens so einträglich wie die Schlösserverwaltung. Nicht umsonst verbindet jeder Fremde mit München als erstes das Bier und die beiden Orte, an denen es in Strömen fließt, das Hofbräuhaus und das Oktoberfest. Über die "ozeanische Selbstauflösung", die alljährlich auf der Wies’n stattfindet, unterhalten wir uns mit Brigitte Veiz schräg gegenüber vom Hofbräuhaus, im Hardrockcafe, in dem früher der Urmünchner Ferdinand Weiß - "der Weißferdl" - das sagen hatte. Die blonde Psychologin setzte ihre Begeisterung für das Oktoberfest in eine Diplomarbeit um.
"Nachdem ich das Oktoberfest jahrelang beobachtet habe, jeden Tag auf dem Oktoberfest war, ist mir aufgefallen, dass es eine sehr dionysische Dynamik entwickelt, die ganze Wies’n. Die Münchner sagen ja: Der Rausch ist göttlich."
Viele Münchner hätten ihr erklärt, sie seien regelrecht süchtig nach der Wiesn.
"Es gibt Münchner, die sagen: Ich gehe 16 Tage jeden Tag. Manche nehmen Urlaub für des. Da wird dann auch das Wies’n-Gwand getragen. Ich nenn das auch das Ritualgewand. Die Wies’n nenn ich auch ein Ritual, weil sie sich ritualhaft wiederholt und auch die ganzen Attribute eines spirituell ekstatischen Rituals in sich trägt. Und dann habe ich Leute befragt: Die sagen, wie eine heilige Handlung legen die dann schon abends die Lederhosen raus, und des Charivari, und putzen die Schuhe und bürsten den Gamsbart und freuen sich auf den ersten Wies’n Tag. Des ist richtig so ein Zelebrieren."
Die Stimmung in den riesigen Bierzelten, die 8.000 bis 10.000 Leute fassen, heizt sich im Laufe des Tages immer mehr auf.
"Des suchen halt die, die diese Stimmung wollen, diese heiße, dampfige, fast tropische Dichte, die da entsteht. Des ist eben die Wies’n. Man singt dieselben Lieder, man hebt den Krug im selben Moment, man teil die Brezn, manche teilen auch ihr Hendl, also die Grundlagen von Gemeinschaft sind da. Und ich vergleiche das wirklich mit einer Kommunion: In der Kirche ist es halt Hostie und Wein, auf der Wies’n ist es halt die Brezn und das Bier."
Das Oktoberfest rief Ludwig I. 1810 anlässlich seiner Hochzeit ins Leben
"Das war eben eine Hochzeitsfeier, und die Bayern sollten geeint werden, die zerstrittenen bayerischen Regionen sollten im Nationalstaat verbunden werden, nachdem das Königtum damals erst vier Jahre alt war. Aus der Hochzeit wurde ein Volksfest und das Volksfest wurde immer turbulenter. Und dann haben wir eben, was wir jetzt haben. Die Leute vermischen sich auch total. Dieses Vermischen der Schichten und Regionen war ja Absicht, das eben Arm neben Reich, Jung neben Alt, hohe Stände neben niedrigen Ständen sitzen und sich einmal Verbrüdern, ohne diese Differenzen, die es sonst gibt."
Auch die hoch über der Festwiese thronende "Rauschgöttin" Bavaria gab Ludwig I., Großvater des berühmten Märchenkönigs, in Auftrag.
"Der Ludwig I. hat für München sehr viel getan, weil er auch die ganze Architektur hier befördert hat, die Universität gebaut hat, die Leopoldstrasse, die Ludwigstrasse, und das Thema Griechenland. Der wollte einfach ein Isar-Athen bauen, das war sein Ziel. Der war halt ein Kunstmäzen, und er hat Wert darauf gelegt, dass eine bestimmte Kultiviertheit in der Stadt herrscht."
Ludwig I., der im Gegensatz zu seinem exzentrischen Enkel, Ludwig II., am liebsten einen bürgerlichen Rock trug und sich gern unters Volk mischte, ging es dabei weniger um Repräsentation als vielmehr um kunstpolitische Ideale: Seine bayerischen Untertanen sollten durch Kunst und Architektur zu besseren Menschen erzogen werden. Als seine Leidenschaft für die Tänzerin Lola Montez dem Kunst- und Künstlerfreund schließlich den Thron kostete, bezahlte er die bereits in Auftrag gegebenen Bauten aus privater Kasse weiter.
Besonders am Herzen lag dem König die nach ihm benannte Ludwigstraße mit der bayerischen Landesuniversität, der Staatsbibliothek und der Ludwigkirche. Die Prachtstraße führt auf direktem Weg in das alte Künstlerviertel Schwabing.
"Der Name leitet sich ab von einem zugewanderten Schwaben, ein Swapo oder Swapilo…"
Der Literaturwissenschaftler Dirk Heiserer veranstaltet seit 20 Jahren literarische Spaziergänge durch München, vor allem durch Schwabing. Der heutige Streifzug beginnt im Herzen des alten Künstlerviertels, auf dem Wedekindplatz, benannt nach dem Sänger, Schriftsteller und Mitarbeiter des Simplicissimus, Frank Wedekind. Wenige Schritte hinter dem quirligen Platz steht ein kleines Schloss.
"Und jetzt ist es doch super still, oder. Wir hatten eben Action und gehen nur ums Eck zu diesem Schlösschen mit dem Namen Suresnes und denken: Was ist denn das, es ist ruhig hier, Vögelchen…"
Schloss Suresnes, seit 1937 im Besitz der Katholischen Akademie, beherbergte Anfang des 20 Jahrhunderts eine Künstlerwohngemeinschaft, zu der unter anderem der damals völlig unbekannte Maler Paul Klee gehörte. 30 Meter weiter, über dem Gasthaus "Seerose", verfasste Thomas Manns seinen ersten Roman, der ihn mit einem Schlag berühmt machte, die "Buddenbrooks".
"Thomas Mann hat hier drei Jahre lang als Junggeselle gewohnt. Wichtige Frage: Wieso Thomas Mann, dieses Nordlicht, was hat der in München verloren gehabt? Die Firma seines Vaters, eine 100jährige Getreidefirma, war nach dem Tod des Vaters aufgelöst worden, er war mit 50 Jahren verstorben und die Mutter, aus Brasilien gebürtig, hat die Firma verkauft und hat sich München ausgesucht, weil sie es schon länger kannte durch Opernfahrten mit dem Gatten und anschließendem Sanatoriumsaufenthalt in Wildbad Kreuth. Das hat seine Gründe, dass die CSU wenigstens einmal im Jahr versucht, sich etwas zu regenerieren und hin und wieder mal einen Chef absägt, gehört auch dazu."
Hinter der Seerose beginnt die verträumte Keferstraße, in der zur Blütezeit der Schwabinger Bohème nur zwei Häuser standen. In dem einen verfasste der Dichter Rainer Maria Rilke seine 4. Duineser Elegie, in dem anderen lebte der Maler und Karikaturist Olaf Gulbransson. Der Norweger nannte sein Haus Kefernest.
"Das Kefernest von einst ist nicht mehr da, dafür ist das Kefernest von heute da, auch noch die alte Hausnummer, Nr. 10, und an der Klingel steht noch der Name Gulbransson, weil seine Schwiegertochter, Jahrgang 1917, wohnt da noch ..."
Als wir vor dem Haus stehen, in dem Olaf Gulbransson lebte, und Dirk Heiserer ein Gedicht seiner zweiten Ehefrau über das "Kefernest" rezitiert, kommt eine alte Frau auf uns zugelaufen.
"... so, jetzt machen wir bisschen Platz, dass die Frau Gulbransson vorbei kommen kann…"
Die Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 läutete auch den Untergang Schwabings als Deutschlands einzigartiger kreativer Schmerztiegel ein. Ein leises Echo dieser Zeit ist an manchen Orten bis heute vernehmbar. Der Schriftsteller Peter Paul Althaus, dessen ehemaliges Wohnhaus wir als nächstes ansteuern, fing es auf und transformierte es zu einem Gedicht über seine "Traumstadt", wie er Schwabing nannte:
"In der Traumstadt ist ein Lächeln steh‘n geblieben; niemand weiß, wem es gehört. Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben, weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört. Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten; immer müder lächelnd steht es da, kaum beachtet, und gescholten und geschubst und weggedrängt, wenn ja. Langsam schleicht es sich von hinnen; doch auf einmal wird es licht verklärt, und dann geht es ganz nach innen - und du weißt, wem es gegolten und gehört."
Münchner Polizisten schreiben nicht nur verirrte Lächeln auf, auch den Bluessänger Willi Michl rufen sie regelmäßig zur Ordnung, wenn der selbsternannte Isarindianer in einem der vielen Biergärten mal wieder viel zu laut seine Lieder singt…
"We welcome you. Freunde, wir begrüßen sie, weil es hat immer scho geheißen: Wenn’s net da san, is net schee. Leute, es is ja so. Ich bin ja schon länger im Visier der Polizei und der Jörgi auch. Aber eins muss ich euch sagen: Sie machen nur ihren Job, sie können nichts dafür, wenn Frau Gummizupfer und Herr Hinterhuber wieder anrufen, weil der Deck, der Jörgi und der Michl auf der Bühne den Blues spielen. Des geht natürlich net. (Fängt an zu singen.)"
"Aus dem Karvendelgebirg springt a kloana Bach … - ein Isar-Flimmern mitten im Paradies ..."
Der Besitzer des kleinen, grün gestrichenen Kiosks an der Wittelsbacher Brücke und seine Stammgäste sind immer noch ganz aufgeregt. Nur wenige Meter von ihren wackeligen Stehtischen entfernt verfehlte gestern ein Jeepfahrer die Brücke, durchbrach das Absperrgeländer, überschlug sich in der Luft und landete fünf Meter tiefer am Isarufer. Der Fahrer erlitt nur ein paar blaue Flecken, erzählt Stammgast Ulrich Huber
"I stell mi jetzat nur noch hintern Baum, weil da lebst gfährlich. Der hat a Saugwicht, der wiegt zwei Tonna oder was. Und dann ist der so weit nübergflogn, über den Radlerweg. Da warn zufällig keine Leut unten, des war a Wunder, des Wunder von der Wittelsbacher Brücke. Dann hamman rauskohlt mit der Eisenstanga."
Das "älteste Standl der Stadt" feiert diesen Sommer - ebenso wie München - einen runden Geburtstag: Die Isarmetropole wird 850, der kleine Ausschank 160 Jahre alt. Er ist eine wichtige Anlaufstelle für durstige Spaziergänger, Rentner und die Obdachlosen, die sich jedes Jahr zwischen April und Oktober ein Lager unter der Wittelsbacher Brücke einrichten. Kioske wie diesen gibt es viele in München, vor allem im Englischen Garten und an der Isar, deren breites Ufer sich wie ein grünes Band durch die gesamte Stadt zieht.
"Jetzt gehen wir über diese Bühne, die Neue. Und es ist wirklich aufregend, weil die Leute..."
Auf der anderen Seite der Isar liegt der Jakobsplatz, wo wir mit dem Direktor des Stadtmuseums zu einem Streifzug durch Münchens Innenstadt verabredet sind. Der Platz hat sich seit dem Bau des neuen jüdischen Zentrums mit Münchens Hauptsynagoge, einem strengen Quader aus beigem Naturstein, sehr verändert. Die nächste Station ist der Viktualienmarkt, den Touristen und Altmünchner gleichermaßen lieben.
"... und jetzt kommt ja der wichtigste Mann hier, Herr Ude..."
Zwischen dem Pferdemetzger und der Hofpfisterei hastet plötzlich Münchens Oberbürgermeister Christian Ude vorbei. Wir nehmen seine Verfolgung auf. Er steuert eine kleine Eisdiele an.
"Jetzt habe ich gerade Touristen mit Erfolg abgewimmelt, aber Sie nicht."
"Weil die Kollegen vom Deutschlandfunk wollten, dass ich das Lied vom Alten Peter sing."
"Des machens mal! Das gehört zu den klassischen Pflichten eines Museumsdirektors…"
Ein Leben außerhalb Münchens könne er sich gar nicht vorstellen, erklärt der SPD-Politiker, den die Münchner im März 2008 zum vierten Mal zum Oberbürgermeister wählten. Aber die Liebe zu seiner Heimatstadt habe ihn nicht blind gemacht.
"München ist ja keineswegs zufällig mit dem Ehrentitel - in Anführungszeichen - Hauptstadt der Bewegung ausgezeichnet worden, sondern weil hier wirklich das 'braune Haus' stand und der 'Völkische Beobachter' erschien und Hitler hier seine ersten Erfolge hatte. Und reaktionäre Strömungen gibt es tatsächlich auch bis in die Gegenwart, das heißt München war immer ambivalent durch die Jahrhunderte hindurch. Und wenn Sie mich jetzt aktuell fragen, dann würde ich sagen: Das unangenehmste an München ist eine etwas unangenehme, allzu prunksüchtige, protzende Finanzoberschicht, die sich zu oft auf die Schulter klopft und geistig ein wenig zu genügsam ist."
Ude spielt auf die vielen Skandale an, die München in jüngster Zeit beschäftigen: schwarze Kassen bei Siemens, faule Kredite bei der Bayerischen Landesbank, Gammelfleisch im Großmarkt.
"Aber München ist auch, wie der Schriftsteller Ernst Hoferrichter hier am Viktualienmarkt mal gesagt hat, die Stadt der Lebensfreude","
gibt uns Ude noch zum Abschied mit auf den Weg, und Wolfgang Till nickt eifrig. München sei einfach eine Stadt der Extreme, fügt der Direktor des Stadtmuseums hinzu, nachdem wir die Eisdiele wieder verlassen haben. Die Isarmetropole umfasse die ganze Bandbreite zwischen Himmel und Hölle. Ein typischer Repräsentant dieser Münchner Ambivalenz sei Walter Sedlmayr. Der Schauspieler habe in vielen seiner Rollen den Klischee-Münchner schlechthin abgegeben:
""3-Quartel-Privatier heißen die, die so bisserl so Kugelbauch haben, Hirterl im G’nick, an Dackel und schon am Nachmittag oder noch früher ihr Bier trinken, weil sie leben können von den Zinsen, die das Haus bringt und so weiter. Und das hat er gegeben in einer geradezu perfekten klassischen Weise, diesen jovialen Bonvivant, obwohl er in höchsten Maße ein finsterer Charakter war. Also er hatte eine Neigung zur Kriminalität …"
Besonders viel Aufsehen erregte der Diebstahl der berühmten "Blutenburger Madonna", die die Polizei kurze Zeit später in seinem Haus fand. Es konnte nie geklärt werden, ob sie in seinem Auftrag gestohlen worden war. Später eröffnete der Schauspieler in der an den Viktualienmarkt angrenzenden Westenriederstraße die Wirtschaft "Beim Sedlmayr", vor der wir inzwischen angelangt sind.
"Hier war eine sehr übel beleumundete Wirtschaft, da waren also einbeinige Damen, die immer noch anschaffen mussten. Hier war richtig Zillemilieu in den 50er und 60er Jahren noch. Aber er hat eben mit zwei Kriminellen, seinen späteren Mördern, eine Geschäftsbeziehung eingegangen, wohl wissend, was für Vögel das sind. Die haben ihn betrogen und das hat er halt irgendwann gemerkt. Dann wollte er halt mal Klartext reden, und dann haben sie ihn umgebracht."
Ähnlich wie die Stadt scheint "der Münchner als Solcher" einerseits die ideale Projektionsfläche für Klischees abzugeben, denen er dann andererseits total widerspricht. Dies gilt auch für Karl Valentin, dessen "Musäum" am Ende der Straße liegt. Der grantlige Kabarettist kommt in seiner bayerischen Mundart wie ein einfach gestrickter Provinzler daher, dabei fühlt er mit seiner absurden Wortakrobatik der Sprache auf den Zahn wir kaum ein anderer.
Das "Valentinmusäum" ist in zwei Türmen untergebracht. Steile Wendeltreppen führen in die gerade neu gestalteten Ausstellungsräume. Ganz oben betreibt Petra Perle das Turm-Stüberl.
"Ja hier gehen die Uhren anders. Es ist auf jeden Fall nicht halb zwölf, wobei mis a wundert, das die Uhr um halb zwölf zwölfmal klingelt…"
Das Café, voll gestopft mit Kuriositäten aller Art, ist eine Reminiszenz an die beiden Versuche Karl Valentins, ein Panoptikum einzurichten, erzählt Petra Perle. Sein gesamtes Geld habe er in dieses zweimal gescheiterte Projekt gesteckt, und das sei nicht wenig gewesen.
"Valentin wurde ja zu Lebzeiten - ihr müsst euch vorstellen, er hat ja auch zur selben Zeit gelebt wie der Charly Chaplin - als deutscher Charly Chaplin gehandelt."
Nicht nur die frühere Popularität von Karl Valentin, auch seine Heimatstadt München werde regelmäßig unterschätzt und auf das Klischee reduziert, ein Hort von Zucht und Ordnung zu sein, keimfrei sozusagen, ohne Ecken, Nischen und Subkultur, alles blankgefegt von der schwarzen Staatsmacht. Das Paar am Nebentisch nickt zustimmend. Es gäbe auch ein ganz anderes München, meint der Mann um die 40, der mit seinen Tätowierungen auf beiden Armen wie ein etwas in die Jahre gekommener Punk aussieht.
"Gerade in München gibt es jede Menge Querdenker, querschädelige, anarchistische Leute. Biermösl, Achternbusch, Polt, Karl Valentin."
Liedermacher, Kabarettisten, Filmemacher und schräge Bands waren und sind bis heute die Seele der Münchener Opposition. Von der können auch die beiden Punks an unserem Nachbartisch ein Lied singen…
"Mir san dagegn..."
Oliver Nauerz und Kathrin Seeger haben gerade einen Dokumentarfilm gedreht über "Bairische Gegeng’schichten" im Allgemeinen und die Geschichte der Münchner Punkszene im Besonderen. Punks in München seien genau genommen immer viel renitenter gewesen als in anderen Städten, beispielsweise in Berlin, wo sie viel weniger auffallen, behauptet Katrin Seeger.
"Man musste besser zusammenhalten, weil der Druck von außen sehr stark war. Was die Münchner Punks schon immer ein bisschen ausgezeichnet hat, das ist eben dieses Rückgrat, was man haben muss."
Nachdem wir uns von den Punks und Petra Perle verabschiedet haben, laufen wir weiter in Richtung Hofbräuhaus. Der Weg dorthin führt an der Wohnung des Filmemachers und Malers Herbert Achternbusch vorbei.
"Früher stand an der Klingel nur Herbert, jetzt steht richtig voller Name. Jetzt schaun mehr mal hin, vielleicht sehen wir ja irgendetwas von ihm. Also hier ist Achternbusch. Jetzt ist hier leider zu. Er wohnt ganz oben, jetzt läut ma mal, hören wir ihn und fragen ihn, wo`s zum Hofbräuhaus geht... Herbert, meditierst du gerade? Na, es ist nichts zu hören, also entweder sitzt er jetzt bei uns im Stadtmuseum in Kino oder im Schneiderweißbier... Rührt sich nichts…"
Wir begeben uns also ohne Achternbusch zum Hofbräuhaus
"Es gibt einen ganz originellen Einstieg, nämlich wie Dante in die Vorhölle kann man ins HBH durch den Hintereingang in die Schwemme, und erlebt also da schon das Ende des HBH-Besuchs auf ganz drastische Weise. Also jetzt Luft anhalten, jetzt gehen wir rein man ist hier am Ende dieser Verwertungskette. Also, das HBH ist ja das Gasthaus mit dem größten Bierausstoß in der ganzen Welt. Und hier geht’s in den großen Raum, der die große Schwemme heißt, da ist es immer so laut…"
Das Hofbräuhaus gehört dem bayerischen Finanzministerium und ist mindestens so einträglich wie die Schlösserverwaltung. Nicht umsonst verbindet jeder Fremde mit München als erstes das Bier und die beiden Orte, an denen es in Strömen fließt, das Hofbräuhaus und das Oktoberfest. Über die "ozeanische Selbstauflösung", die alljährlich auf der Wies’n stattfindet, unterhalten wir uns mit Brigitte Veiz schräg gegenüber vom Hofbräuhaus, im Hardrockcafe, in dem früher der Urmünchner Ferdinand Weiß - "der Weißferdl" - das sagen hatte. Die blonde Psychologin setzte ihre Begeisterung für das Oktoberfest in eine Diplomarbeit um.
"Nachdem ich das Oktoberfest jahrelang beobachtet habe, jeden Tag auf dem Oktoberfest war, ist mir aufgefallen, dass es eine sehr dionysische Dynamik entwickelt, die ganze Wies’n. Die Münchner sagen ja: Der Rausch ist göttlich."
Viele Münchner hätten ihr erklärt, sie seien regelrecht süchtig nach der Wiesn.
"Es gibt Münchner, die sagen: Ich gehe 16 Tage jeden Tag. Manche nehmen Urlaub für des. Da wird dann auch das Wies’n-Gwand getragen. Ich nenn das auch das Ritualgewand. Die Wies’n nenn ich auch ein Ritual, weil sie sich ritualhaft wiederholt und auch die ganzen Attribute eines spirituell ekstatischen Rituals in sich trägt. Und dann habe ich Leute befragt: Die sagen, wie eine heilige Handlung legen die dann schon abends die Lederhosen raus, und des Charivari, und putzen die Schuhe und bürsten den Gamsbart und freuen sich auf den ersten Wies’n Tag. Des ist richtig so ein Zelebrieren."
Die Stimmung in den riesigen Bierzelten, die 8.000 bis 10.000 Leute fassen, heizt sich im Laufe des Tages immer mehr auf.
"Des suchen halt die, die diese Stimmung wollen, diese heiße, dampfige, fast tropische Dichte, die da entsteht. Des ist eben die Wies’n. Man singt dieselben Lieder, man hebt den Krug im selben Moment, man teil die Brezn, manche teilen auch ihr Hendl, also die Grundlagen von Gemeinschaft sind da. Und ich vergleiche das wirklich mit einer Kommunion: In der Kirche ist es halt Hostie und Wein, auf der Wies’n ist es halt die Brezn und das Bier."
Das Oktoberfest rief Ludwig I. 1810 anlässlich seiner Hochzeit ins Leben
"Das war eben eine Hochzeitsfeier, und die Bayern sollten geeint werden, die zerstrittenen bayerischen Regionen sollten im Nationalstaat verbunden werden, nachdem das Königtum damals erst vier Jahre alt war. Aus der Hochzeit wurde ein Volksfest und das Volksfest wurde immer turbulenter. Und dann haben wir eben, was wir jetzt haben. Die Leute vermischen sich auch total. Dieses Vermischen der Schichten und Regionen war ja Absicht, das eben Arm neben Reich, Jung neben Alt, hohe Stände neben niedrigen Ständen sitzen und sich einmal Verbrüdern, ohne diese Differenzen, die es sonst gibt."
Auch die hoch über der Festwiese thronende "Rauschgöttin" Bavaria gab Ludwig I., Großvater des berühmten Märchenkönigs, in Auftrag.
"Der Ludwig I. hat für München sehr viel getan, weil er auch die ganze Architektur hier befördert hat, die Universität gebaut hat, die Leopoldstrasse, die Ludwigstrasse, und das Thema Griechenland. Der wollte einfach ein Isar-Athen bauen, das war sein Ziel. Der war halt ein Kunstmäzen, und er hat Wert darauf gelegt, dass eine bestimmte Kultiviertheit in der Stadt herrscht."
Ludwig I., der im Gegensatz zu seinem exzentrischen Enkel, Ludwig II., am liebsten einen bürgerlichen Rock trug und sich gern unters Volk mischte, ging es dabei weniger um Repräsentation als vielmehr um kunstpolitische Ideale: Seine bayerischen Untertanen sollten durch Kunst und Architektur zu besseren Menschen erzogen werden. Als seine Leidenschaft für die Tänzerin Lola Montez dem Kunst- und Künstlerfreund schließlich den Thron kostete, bezahlte er die bereits in Auftrag gegebenen Bauten aus privater Kasse weiter.
Besonders am Herzen lag dem König die nach ihm benannte Ludwigstraße mit der bayerischen Landesuniversität, der Staatsbibliothek und der Ludwigkirche. Die Prachtstraße führt auf direktem Weg in das alte Künstlerviertel Schwabing.
"Der Name leitet sich ab von einem zugewanderten Schwaben, ein Swapo oder Swapilo…"
Der Literaturwissenschaftler Dirk Heiserer veranstaltet seit 20 Jahren literarische Spaziergänge durch München, vor allem durch Schwabing. Der heutige Streifzug beginnt im Herzen des alten Künstlerviertels, auf dem Wedekindplatz, benannt nach dem Sänger, Schriftsteller und Mitarbeiter des Simplicissimus, Frank Wedekind. Wenige Schritte hinter dem quirligen Platz steht ein kleines Schloss.
"Und jetzt ist es doch super still, oder. Wir hatten eben Action und gehen nur ums Eck zu diesem Schlösschen mit dem Namen Suresnes und denken: Was ist denn das, es ist ruhig hier, Vögelchen…"
Schloss Suresnes, seit 1937 im Besitz der Katholischen Akademie, beherbergte Anfang des 20 Jahrhunderts eine Künstlerwohngemeinschaft, zu der unter anderem der damals völlig unbekannte Maler Paul Klee gehörte. 30 Meter weiter, über dem Gasthaus "Seerose", verfasste Thomas Manns seinen ersten Roman, der ihn mit einem Schlag berühmt machte, die "Buddenbrooks".
"Thomas Mann hat hier drei Jahre lang als Junggeselle gewohnt. Wichtige Frage: Wieso Thomas Mann, dieses Nordlicht, was hat der in München verloren gehabt? Die Firma seines Vaters, eine 100jährige Getreidefirma, war nach dem Tod des Vaters aufgelöst worden, er war mit 50 Jahren verstorben und die Mutter, aus Brasilien gebürtig, hat die Firma verkauft und hat sich München ausgesucht, weil sie es schon länger kannte durch Opernfahrten mit dem Gatten und anschließendem Sanatoriumsaufenthalt in Wildbad Kreuth. Das hat seine Gründe, dass die CSU wenigstens einmal im Jahr versucht, sich etwas zu regenerieren und hin und wieder mal einen Chef absägt, gehört auch dazu."
Hinter der Seerose beginnt die verträumte Keferstraße, in der zur Blütezeit der Schwabinger Bohème nur zwei Häuser standen. In dem einen verfasste der Dichter Rainer Maria Rilke seine 4. Duineser Elegie, in dem anderen lebte der Maler und Karikaturist Olaf Gulbransson. Der Norweger nannte sein Haus Kefernest.
"Das Kefernest von einst ist nicht mehr da, dafür ist das Kefernest von heute da, auch noch die alte Hausnummer, Nr. 10, und an der Klingel steht noch der Name Gulbransson, weil seine Schwiegertochter, Jahrgang 1917, wohnt da noch ..."
Als wir vor dem Haus stehen, in dem Olaf Gulbransson lebte, und Dirk Heiserer ein Gedicht seiner zweiten Ehefrau über das "Kefernest" rezitiert, kommt eine alte Frau auf uns zugelaufen.
"... so, jetzt machen wir bisschen Platz, dass die Frau Gulbransson vorbei kommen kann…"
Die Niederschlagung der Münchner Räterepublik 1919 läutete auch den Untergang Schwabings als Deutschlands einzigartiger kreativer Schmerztiegel ein. Ein leises Echo dieser Zeit ist an manchen Orten bis heute vernehmbar. Der Schriftsteller Peter Paul Althaus, dessen ehemaliges Wohnhaus wir als nächstes ansteuern, fing es auf und transformierte es zu einem Gedicht über seine "Traumstadt", wie er Schwabing nannte:
"In der Traumstadt ist ein Lächeln steh‘n geblieben; niemand weiß, wem es gehört. Und ein Polizist hat es schon dreimal aufgeschrieben, weil es den Verkehr, dort wo es stehn geblieben, stört. Und das Lächeln weiß auch nicht, wem es gegolten; immer müder lächelnd steht es da, kaum beachtet, und gescholten und geschubst und weggedrängt, wenn ja. Langsam schleicht es sich von hinnen; doch auf einmal wird es licht verklärt, und dann geht es ganz nach innen - und du weißt, wem es gegolten und gehört."
Münchner Polizisten schreiben nicht nur verirrte Lächeln auf, auch den Bluessänger Willi Michl rufen sie regelmäßig zur Ordnung, wenn der selbsternannte Isarindianer in einem der vielen Biergärten mal wieder viel zu laut seine Lieder singt…
"We welcome you. Freunde, wir begrüßen sie, weil es hat immer scho geheißen: Wenn’s net da san, is net schee. Leute, es is ja so. Ich bin ja schon länger im Visier der Polizei und der Jörgi auch. Aber eins muss ich euch sagen: Sie machen nur ihren Job, sie können nichts dafür, wenn Frau Gummizupfer und Herr Hinterhuber wieder anrufen, weil der Deck, der Jörgi und der Michl auf der Bühne den Blues spielen. Des geht natürlich net. (Fängt an zu singen.)"
"Aus dem Karvendelgebirg springt a kloana Bach … - ein Isar-Flimmern mitten im Paradies ..."