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Muschelsterben und Vogelwanderung

Mitteleuropa erlebt einen ungewöhnlich harten Winter, und der wird Folgen haben. Biologen rechnen damit, dass dieser Winter das Artenspektrum vorübergehend verschiebt. Neue Arten, die in den vergangenen Jahren vor allem aus wärmeren Regionen eingewandert sind, werden wieder zurückgedrängt.

Von Annette Eversberg | 05.02.2010
    Eigentlich sind es nur die Schalen der Schwertmuschel, die auf dem Wattboden der Insel Juist liegen. Fast einen Meter hoch türmen sie sich auf. Im Schleswig-Holsteinischen Watt rechnet Dr. Thomas Borchardt vom Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer mit einem Artensterben ähnlicher Art.

    "Diejenigen Tiere, die sich nicht tiefer in den Wattboden zurückziehen können, weil der Boden dann aus ausfriert, die leiden jetzt extrem. Und wir müssen schon davon ausgehen, dass es ein Herzmuschelsterben geben wird. Es gibt auch noch andere Muscheln, Trogmuscheln zum Beispiel, die sind nach dem letzten harten Winter 95/96 nie mehr in großer Zahl vorgekommen."

    Nach den harten Eiswintern konnte man auch den Rückgang von Fischbeständen beobachten. Besonders gefährdet ist, so Thomas Borchardt, die Aalmutter.

    "Die bekommt lebende Junge, und das sind relativ wenige, weil sie schon groß geboren werden. Und solche Arten, die sich nicht massenweise reproduzieren, da wird es länger dauern, bis der Bestand sich wieder erholt hat."

    Wer jetzt im Watt spazieren geht, dem fällt die große Stille auf, wo sonst Tausende von Vögeln rufen. Bernd Hälterlein von der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft für Schleswig-Holstein und Hamburg hat einen guten Überblick über die Vogelbestände im Nationalpark und kommt deshalb zu dem Schluss.

    "Dass die Landschaft immer vogelleerer wird, weil die Vögel der Kälte weit nach Südwesten ausweichen. Zum Beispiel Sturmmöven, Silbermöwen, Lachmöwen, die einige Tage später im niederländischen Wattenmeer auftauchten und vor der Kälte nach Südwesten weiter ausweichen und in Gebiete, wo weniger Schneelagen vorhanden sind. Und das tun sie auch massiv."

    Wie hart der Winter ist, das zeigt sich auch an den weißbäuchigen Ringelgänsen.
    Wie bereits im Eiswinter 95/96 versuchen sie, statt in Dänemark im schleswig-holsteinischen Watt zu rasten. Sie sind allerdings auf Gräser angewiesen. Bernd Hälterlein.

    "Das Problem ist sicher die Nahrungsversorgung, weil die Gräser, die die Tiere fressen nicht mehr erreichbar sind. Weil auch der Energiebedarf relativ hoch ist bei diesen kalten Temperaturen und es sehr schnell zu energetischen Engpässen kommen kann, und sicherlich zu erhöhter Wintersterblichkeit auch führt, bei diesen Arten."

    Beim Austernfischer, dessen Hauptlebensraum das Wattenmeer ist, rechnen die Ornithologen sogar mit einem Bestandsverlust von 30 bis 40 Prozent in diesem Jahr. Denn obwohl er mit seinem Schnabel in der Lage ist, Austern zu öffnen, gelingt es ihm nicht, in den vereisten Wattboden mit seinem sonst reichhaltigen Nahrungsangebot vorzudringen. Einigen Arten macht der Eiswinter jedoch nichts aus. Den Seehunden zum Beispiel, obwohl sie die schneebedeckten Sandbänke derzeit meiden. Thomas Borchardt:

    "Die Seehunde gehen dann weiter raus ins Meer, die schlafen dann auch draußen in der Nordsee, die benehmen sich so ähnlich wie eine Art Boje, die gehen rauf und runter, um im Schlaf einmal zu atmen. Dann kommen sie wieder hoch, nehmen ein, zwei Atemzüge, und lassen sich dann wieder runtersacken."

    Auch ihren Artgenossen, den Kegelrobben scheint der Eiswinter sogar gut zu tun. 41 Jungtiere wurden gerade gezählt.

    "Die Kegelrobben, die bekommen ihre Jungen mitten im Winter, das sind ja nordische Robben. Wir haben jetzt Rekordzahlen, wir haben so viele Kegelrobben gezählt wie noch nie, sowohl im inneren Wattenmeer als auch auf Helgoland."

    Thomas Borchardt rechnet auch damit, dass der Eiswinter das Artenspektrum in einem Punkt einmal gründlich aufräumen wird. Und das betrifft die Miesmuscheln, die im Watt immer weniger werden. Auch, weil die wärmeliebende pazifische Auster sie immer mehr verdrängt und von den milden Wintern der letzten Jahre profitiert hat.

    "Es gibt dazu einige Untersuchungen, die haben gezeigt, dass die Fressfeinde, das sind vor allem Krabben aber auch Seesterne, dass die durch einen Winter doch stark reduziert werden, dadurch die Miesmuscheln die Chance haben, wieder aufzuwachsen. Das sind so kleine Larven, die setzen sich im Wattenmeer fest. Und gleich am Anfang werden sie nach milden Wintern aufgefressen. Und in den letzten Jahren gab es insofern keinen richtigen Miesmuschelbrutfall mehr. Die pazifische Auster hat sich explosionsartig vermehrt, und es gibt inzwischen viel mehr Austern als Miesmuscheln, und die werden durch einen solchen Winter einen Dämpfer bekommen."