Freitag, 19. April 2024

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"My World" von Nigel Kennedy
Kompositionen vom Geigen-Punker

Nach wie vor gilt der britische Geiger Nigel Kennedy als "enfant terrible" der Klassikszene. Ende Dezember wurde er zwar bereits 60 Jahre, aber noch immer gibt er sich rebellisch - mit Irokesenfrisur, punkigen Klamotten und Dreitage-Bart. Jetzt hat Nigel Kennedy ein Album mit eigenen Kompositionen herausgegeben.

Von Elisabeth Richter | 01.03.2017
    Der britische Violinist Nigel Kennedy spielt im Konzert beim festival Kultur im Zelt in Braunschweig auf seiner Geige
    Geigender Exzentriker: Nigel Kennedy (imago/Susanne Hübner)
    Musik: N. Kennedy, Solitude (for Yehudi Menuhin)
    Wärme, Behutsamkeit, Zärtlichkeit spricht aus dieser durchaus ein wenig melancholischen Geigenmelodie. Solitude heißt dieses Stück, Nigel Kennedy hat es seinem Lehrer und Mentor Yehudi Menuhin gewidmet. Schon mit 8 Jahren wurde Nigel Kennedy sein Schüler.
    Menuhin als Inspirationsquelle
    Er sei eine große Inspirationsquelle für ihn gewesen, erzählt Nigel Kennedy. Menuhin habe die Individualität gefördert und nicht gewollt, dass man ihn imitierte. Kennedy hat dies als immense Unterstützung erlebt, als er begann eigene Wege zu gehen. Andere Lehrer hätten darauf bestanden, Regeln einzuhalten. Menuhin habe sich gefreut, dass er eigene Ideen hatte.
    Nigel Kennedy hat im Laufe seiner Karriere unzählige CDs veröffentlicht, doch nun stellt er erstmals ein Album mit eigenen Kompositionen vor. "My World" (Meine Welt heißt das Album). Es ist zweigeteilt. Acht der 13 Titel sind Musik zu Tschechows Drama "Drei Schwestern", das Nigel Kennedy Frau Agnieszka vor einiger Zeit inszenierte. Fünf Titel der CD heißen "Dedications" (Widmungen). Hier erweist Kennedy einigen seiner künstlerischen Weggefährten eine musikalische Reverenz. Außer Yehudi Menuhin sind darunter der polnische Jazzgitarrist und Bandleader Jarek Smietana, der amerikanische Country- und Bluegrass-Geiger und Fiddler Marc O’Connor, der legendäre Geiger Isaac Stern und auch der Jazzgeiger Stéphane Grappelli. "Melody in the wind" heißt die Hommage an Grappelli, mit dem Nigel Kennedy schon als Jugendlicher gemeinsam konzertierte.
    Musik: N. Kennedy, Melody in the wind (for Stéphane Grappelli)
    Sanfte schmeichelnde Klänge
    Auch "Melody in the wind" kommt ein wenig sentimental daher. Sie sanfte Melodie im Wind schmeichelt sich ins Ohr. Nigel Kennedy möchte seine Fans mit seinen "Kompositionen" auf keinen Fall verschrecken. Bei diesem handwerklich gut "verquirlten" Stilmix greift er tief in die Schatzkiste der Musikgeschichte. Man hört typisch barocke Sechzehntel Motive, ein bisschen in Richtung Kitsch gehende romantische Melodien und Harmonien, weniger Avantgarde des 20. Jahrhunderts, dafür aber Jazz, Rock oder folkloristische Anklänge von Irland bis China.
    Musik: N. Kennedy, Dla Jarka (for Jarek Smietana)
    Es ist erstaunlich, dass der Grundgestus aller Stücke dieser CD vorwiegend ruhig, meditativ, manchmal sogar psychedelisch ist. Etwas mehr kompositorische Abwechslung hätte der Gesamtkonzeption des Albums gut getan. Man atmet regelrecht auf, wenn es einmal etwas rhythmischer wird, wie in "Gibb it" für den Fiddler Marc O’Connor.
    Musik: N. Kennedy, Gibb it (for Marc O’Connor)
    Geiger als Komponist
    Bei den acht Titeln zu Tschechows Schauspiel "Drei Schwestern" hört man deutlich, dass sie als Bühnenmusik gedacht sind. Sie klingen noch weit mehr atmosphärischer als die fünf "Dedications".
    Musik: N. Kennedy, Rode’s Pictures
    Nigel Kennedy bleibt auch seiner Musik zu "Drei Schwestern" seinem gefälligen und zu oft sentimentalen Stil treu. Er hat kaum Anleihen bei russischer Musik gemacht, nur einmal, als es um seelische Brutalität und das unabwendbare Schicksal der "Drei Schwestern" geht, hört man deutlich, dass hier Sergei Prokofjew Pate stand.
    Musik: N. Kennedy, Link Acts 2 – 3
    Neben den Streichern des Oxford Philharmonic Orchestra hat Nigel Kennedy um sich langjährige und erfahrene, zum Teil polnische Jazzmusiker versammelt. Sie musizieren exzellent und hochsensibel zusammen. Nigel Kennedy hat die Stücke seines Albums "My World" mit seiner musikalischen Erfahrung gekonnt und wirkungsvoll gemacht. Zuweilen biedert sich aber dieser "Cocktail" aus sanftem Pop und Jazz, ein wenig Folk und schmusiger Klassik ein wenig zu sehr an. Es fehlen Risiko und die Radikalität, mit der Nigel Kennedy im Laufe seiner Karriere die Klassikszene aufgemischt hat. Am stärksten berührt noch immer sein warmer Geigenton voller Intensität.
    Nigel Kennedy
    My World
    Nigel Kennedy, Violine, Oxford Philharmonic Orchestra, Jazz-/Rockband, Klavier
    New world 0300878NM
    TOURDATEN
    14.03.2017 – London: An Evening with Nigel Kennedy
    24.03.2017 – Iserlohn, Theater
    25.03.2016 – Hamburg, Musikhalle
    28.03.2017 – Berlin, Philharmonie
    29.03.2017 – Hannover, Sendesaal
    31.03.2017 – Bielefeld, Dr. Oetker Halle
    01.04.2017 – Düsseldorf, Tonhalle
    02.04.2017 – Essen, Philharmonie
    04.04.2017 – Köln, Musical Hall
    18.04.2017 – Zürich, Tonhalle