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Nachrüsten für die Abrüstung?

Der sogenannte Doppelbeschluss der NATO sah vor, amerikanische Raketen in Deutschland aufzustellen, damit das Russland des Kalten Krieges damit beginnt, seine Waffen zu reduzieren. Nicht nur die Mehrheit der Bürger in Deutschland hielt diesen Plan für paradox.

Von Ralf Geißler | 12.12.2009
    Er machte Millionen Menschen zu Anhängern der Friedensbewegung. Der Nato-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979. Überall in Europa gingen Rüstungsgegner nach dem Beschluss auf die Straße. Aus Angst, er werde ein neues Wettrüsten auslösen, aus Furcht, ein Atomkrieg könnte ihren Kontinent vernichten. Im Herbst 1981 protestierten mehr als 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten.

    "Überall rüsten, rüsten und Krieg und dergleichen."

    "Ich hoffe, dass wir irgendwie was auslösen können für den Frieden und gegen den Nato-Nachrüstungsbeschluss."

    "Ich finde im Moment war der Weltfrieden noch nie so bedroht wie augenblicklich."

    Die Geschichte des NATO-Doppelbeschlusses beginnt 1976/77. In jenen Jahren modernisiert die Sowjetunion ihre Mittelstreckenraketen. Sie rüstet die alten Waffensysteme ab und stellt dafür neue, moderne Raketen vom Typ SS20 auf. Die Regierungen im Westen fürchten nun, sie seien dem Ostblock militärisch unterlegen. Vor allem Bundeskanzler Helmut Schmidt wirbt dafür, auf die sowjetischen Maßnahmen mit einer Zweifach-Strategie zu reagieren.

    "Nachrüstung so weit wie nötig – zur Herstellung des ungefähren Gleichgewichts. Aber so weit wie möglich gegenseitig vereinbarte Rüstungsbegrenzung zur Herstellung eines ungefähren Gleichgewichts."

    Auf Anregung Schmidts entwirft die NATO ihren Doppelbeschluss. Der erste Teil kündigt bis Ende 1983 die Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Westeuropa an. Der zweite Teil bietet der Sowjetunion Verhandlungen an. Sollte sie sich bereit erklären, ihre SS20-Raketen wieder abzubauen, werde der Westen auf seine Raketenstationierung verzichten. Helmut Schmidt erklärt die Strategie im Deutschen Bundestag.

    "Ohne beide Teile des NATO-Beschlusses können die Verhandlungen nicht zustande kommen, weil die USA in solchen Verhandlungen nun tatsächlich nichts in der Hand hätten, was sie anbieten könnten, um von der Sowjetunion den Verzicht auf etwas zu fordern, was diese längst hat. Und zwar nicht nur in der Form eines Beschlusses hat, sondern in der Gestalt tatsächlich vorhandener Raketen und Flugzeuge."

    Tatsächlich lässt sich die Sowjetunion auf Abrüstungsverhandlungen ein. Sie beginnen im November 1981 in Genf und ziehen sich in die Länge. Währenddessen gehen in Westeuropa Hunderttausende für Frieden und Abrüstung auf die Straße.

    "Europa hatte zweimal Krieg
    der dritte wird der letzte sein.
    Gib bloß nicht auf, gib nicht klein bei,
    das weiche Wasser bricht den Stein."


    1982 kommt es in der Bundesrepublik zu einem Regierungswechsel. Der neue Kanzler Helmut Kohl steht ohne Wenn und Aber zum Nato-Doppelbeschluss.

    "Wenn die Sowjetunion nicht bereit ist, Sicherheit in Europa durch Abrüstung herzustellen, dann müssen wir uns Sicherheit durch die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenwaffen verschaffen."

    Bei der SPD, die nun in der Opposition sitzt, mehren sich dagegen Stimmen, die den Doppelbeschluss ablehnen. Parteichef Willy Brandt will die Rüstungsspirale durchbrechen.

    "Über 70 Prozent der Menschen in der Bundesrepublik, das ist gut so, halten nichts davon, dass Deutschland – und jetzt sage ich Deutschland und nicht nur Bundesrepublik – dass Deutschland immer mehr voll gepackt wird mit atomarem Teufelszeug."

    Am 22. November 1983 wird im Deutschen Bundestag leidenschaftlich über den Doppelbeschluss gestritten. In einer Abstimmung sprechen sich Union und FDP für die Stationierung atomarer Mittelstreckenraketen in Deutschland aus. Einen Tag später bricht die Sowjetunion ihre Abrüstungsgespräche mit den USA ab.

    "Die gegenwärtige Runde der Verhandlungen ist unterbrochen. Wir haben die Verhandlungen unterbrochen, ohne einen neuen Termin festzulegen."

    Noch am selben Tag beginnen die USA erste Pershing-II-Raketen auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu stationieren. Vor allem im schwäbischen Mutlangen versuchen Bewohner, das mit Sitz-Blockaden zu verhindern. Die Proteste halten an. Erst 1985 beginnen neue Abrüstungsgespräche. Da kann sich die Sowjetunion das Wettrüsten nicht mehr leisten.