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Natur
Wie viel Wildnis braucht der Wald?

In der Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung heißt es, dass sich die Natur bis zum Jahr 2020 auf mindestens zwei Prozent der Landesfläche zur Wildnis nach ihren eigenen Gesetzen wandeln soll. Bei vielen kommunalen Waldbesitzern stößt dieser Plan auf Ablehnung.

Von Tonia Koch | 01.06.2016
    Blick in einen Wald. Durch die Baumkronen dringen Sonnenstrahlen.
    Es sei längst gelungen, den Naturschutz in eine moderne Waldwirtschaft zu integrieren, so die Ansicht des deutschen Forstwirtschaftsrats. (picture-alliance / dpa / Foto: Julian Stratenschulte)
    Der deutsche Forstwirtschaftsrat vertritt nach eigenen Angaben zwei Millionen Waldbesitzer in Deutschland, öffentliche wie private, und hält gar nichts davon, auf zwei Prozent der Landesfläche Wildnis entstehen zu lassen. Der Präsident der Interessengemeinschaft, Georg Schirmbeck, hat deshalb ein Gegengutachten zu den Vorstellungen des Sachverständigenrates angekündigt.
    "Diese zwei Prozent, genau wie die anderen fünf Prozent oder zehn Prozent, sind alles rein politisch gegriffene Prozentsätze nach dem Motto: 'Jetzt müssen wir was machen'. Das ist Aktionismus."
    Die vom Sachverständigenrat angeregte Diskussion um Wildnisgebiete kommt für die Vertreter des Forstes zur Unzeit. Es sei längst gelungen, den Naturschutz in eine moderne Waldwirtschaft zu integrieren, wie es in der nationalen Biodiversitätsstrategie vorgesehen ist. Demnach sollen bis 2020 mindestens fünf Prozent des Waldes sich selbst überlassen werden. Das habe man bereits erreicht, sagt der Vizepräsident der Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Waldeigentümerverbände, Roland Burger:
    "Die Bundeswaldinventur weist aus, dass 5,6 Prozent der Flächen aus der Nutzung sind und de facto für die Nutzung und eine natürlich Entwicklung zur Verfügung stehen. Insofern haben wir Ziele erreicht und ich sehe keinen Mehrwert mehr in der Wildnisdiskussion."
    Auf nur zwei Hektar Fläche könne keine Wildnis entstehen
    Geleistet wurde dies insbesondere von den staatlichen und den kommunalen Waldbesitzern - und diese möchten über diese fünf Prozent hinaus nicht noch weitere zwei Prozent ihrer Waldflächen ungenutzt lassen, da ist sich Roland Burger ganz sicher. Städte und Gemeinden hätten vor allem Probleme mit den räumlichen Mindestanforderungen an ein Wildnisgebiet. Zwar liegt noch keine exakte Definition vor, wie groß ein solches Wildnisgebiet tatsächlich sein soll, aber die Umweltweisen halten mindestens 1.000 Hektar für nötig, damit sich eine Fläche ohne Zutun des Menschen wieder zurück verwandeln kann. Kaum zu erfüllen von den Kommunen, sagt Burger.
    "Die durchschnittliche Waldfläche einer Kommune sind 500 Hektar. Wenn sie zwei Prozent nehmen, sind das zehn Hektar, da kann keine Wildnis entstehen, die Flächen sind viel zu klein."
    Auch die Länder, soweit sie dicht besiedelt sind, haben Probleme mit den Anforderungen an die potenziellen Wildnisflächen. Denn Wildnis und den Wald sich selbst überlassen ist nicht das Gleiche. Neben der Mindestgröße sollen diese Flächen möglichst unzerschnitten sein, das heißt ohne Siedlungen, Straßen und Trassen. Im kleinen Saarland, sagt der für Umwelt und Naturschutz zuständige Referatsleiter, im saarländischen Umweltministerium, Thomas Steinmetz, werde danach vergebens gesucht. Nicht einmal der seit 20 Jahren nicht mehr bewirtschaftete sogenannte 1.000 Hektar große Urwald vor den Toren der Landeshauptstadt Saarbrücken werde diesen strengen Maßstäben gerecht.
    "Da geht die A1 durch, da gehen Landstraßen durch, da sind Stromleitungstrassen, das ist Teil unserer Kultur- und Siedlungslandschaft und sie werden immer eingreifen müssen, allein schon deshalb, um entlang der Straßen die Verkehrssicherheit sicher zu stellen, aber auch was die Stromleitungstrassen anlagt."
    Vereinzelt haben die Bundesländer, darunter Baden-Württemberg, Brandenburg oder Hessen, das Zwei-Prozent-Ziel in ihre landeseigenen Naturschutzstrategien übernommen; die Mehrheit verzichtet aber auf prozentuale Vorgaben.