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Naturschutz
Die Rückkehr der Wildlachse

Den Rhein durchschwammen bis Anfang 1900 noch Hunderttausende Wildlachse. Doch Überfischung, viel Industrieansiedelung und nicht zuletzt ein schwerer Chemieunfall bei Basel rotteten die Wanderfische im Rhein aus. Jetzt kommen die Lachse langsam zurück.

Von Mirjam Stöckel | 17.12.2018
    Sachsen-Anhalt, Zerbst: Junge Lachse, schwimmen in einem Becken
    Beim einem anderen Wanderfischprogramm in Sachsen-Anhalt schwimmen junge Lachse in einem Becken, bevor sie in Flüssen ausgesetzt werden. (Peter Gercke/dpa-Zentralbild/ZB)
    In einer blauen Plastikschüssel vor Stephan Stäbler liegen etwa 3.000 befruchtete Lachseier. Transparent-rötlich schimmernd. Mit einer Pinzette sortiert Stäbler vorsichtig alle Hautreste und weiß verfärbte Eier aus. Sie würden den gesunden Eiern bei der Weiterentwicklung im Brutschrank schaden.
    "Das ist Handarbeit, weil jedes Ei da sehr, sehr wertvoll ist."
    Wertvoll deshalb, weil die Eier von direkten Nachfahren jener wenigen Lachse kommen, die heute wild im Rhein leben.
    Stephan Stäbler leitet die Lachszucht Wolftal mit elf Naturteichen, versteckt in einem idyllischen Schwarzwaldtal. Rund 8.000 Tiere, dieses Jahr etwa 200 Weibchen laichbereit. Immer Anfang, Mitte Dezember gewinnen Stäbler und sein Team die Eier zur Zucht.
    Lachse als Stellvertreter für alle Wanderfisch-Arten
    Die Lachszucht Wolftal ist eine von rund einem Dutzend Keimzellen des Projekts "Lachs2020". Es soll den Wildlachs wieder im Rhein heimisch machen – und den Rhein zu einem geeigneten Lebensraum für den Lachs, stellvertretend für alle Wanderfisch-Arten. Hinter dem Projekt steht die IKSR – die Internationale Kommission zum Schutz des Rheines, ein Zusammenschluss der Anrainerstaaten. IKSR-Geschäftsführerin Anne Schulte-Wülwer-Leidig:

    "Wir haben recht viel geschafft, aber wir sind leider noch nicht so weit, dass wir sagen können, dass die Lachse wirklich ohne menschliche Hilfe überlebensfähig sind im Rheinsystem."
    Wasserkraftwerke sind die Feinde der wilden Lachse
    Rund 900 Lachse seien an den Überwachungsstationen am Rhein bisher gezählt worden, sagt die IKSR-Geschäftsführerin. Zu wenig für eine selbsterhaltende Population.
    Das Hauptproblem für die Tiere: Sie kommen oft nicht zurück in ihre Laichgewässer, die kleinen Rhein-Zuflüsse. Viele Schleusen und Stau-Anlagen sind zwar inzwischen besser durchgängig – aber am Oberrhein blockieren noch immer drei Wasserkraftwerke des französischen Energiekonzerns EDF den Wanderweg der Fische. Flussaufwärts können wandernde Fischarten sie nur überwinden, wenn auch Fischtreppen eingebaut wurden, flussabwärts häckseln die Turbinen der Wasserkraftwerke alles, was in sie hineingerät. Die Anlagen passierbar zu machen, sei eine Frage der Finanzierung, sagt Anne Schulte-Wülwer-Leidig.
    "Es sind teure Maßnahmen – auch die, die gelaufen sind. Der Fischpass Gerstheim, der jetzt gerade in Betrieb gegangen ist, hat 15 Millionen gekostet. Das sind schon ziemliche Kosten, die aufgebracht werden müssen – und da braucht es noch politische Beschlüsse in Frankreich."
    Auch deshalb wird das Lachs-Projekt nicht wie ursprünglich geplant 2020 beendet, sondern verlängert.
    Klaus Markgraf-Maué findet das gut. Der Rhein-Experte bei der Naturschutzorganisation NABU sagt: Man müsse künftig vor allem daran arbeiten, den Rhein für alle Wanderfisch-Arten in einen abwechslungsreichen Lebensraum zurückzuverwandeln – mit mehr naturnahen Strukturen.
    "Das heißt, schnell strömende Bereiche, langsam strömende, kiesige und sandige Substrate etc. All diese Vielfalt ist einem kanalartigen Ausbau gewichen und genau diese Vielfalt brauchen die einzelnen Arten in ihren verschiedenen Lebensstadien."
    Vom Schwarzwald bis in den Atlantik
    Im Brutraum der Lachszucht Wolftal füllt Stephan Stäbler die gerade sorgfältig verlesenen Eier in einen der zehn Brutschränke.
    "Solange wir eben mit so wenigen Rückkehrern arbeiten müssen, haben wir einen genetischen Flaschenhals. Es ist extrem wichtig, dass wir unsere Fische hegen und pflegen und bemuttern, damit sie möglichst gut produzieren können."
    Dafür braucht es jetzt sauerstoffreiches Wasser, Kontrollen, Dunkelheit – und Geduld: Läuft alles gut, werden Stäbler und sein Team in drei Monaten zwischen 300 - und 500.000 kleiner Lachse in die Schwarzwälder Nebenflüsse des Rheins einsetzen. Diese Lachse suchen sich dann den Weg durch den Rhein bis in den Atlantik. Und Stäbler hofft, dass möglichst viele von ihnen später als geschlechtsreife Tiere zum Laichen wieder durch den Rhein in einen der Schwarzwälder Zuflüsse zurückkehren werden.