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Neapel versinkt im Müll

In den Vorstädten Neapels hat die Müllabfuhr seit Wochen keinen Abfall mehr abgeholt. Die Bürger verbrennen ihren Müll zwischenzeitlich selbst. Die Müllkrise in Neapel und der umliegenden Region Kampanien dauert aber schon seit Jahren. Der schon 1994 eigens eingerichteten Abfall-Kommission wird immer wieder Unfähigkeit und Korruption vorgeworfen. Und am Ende verdient das organisierte Verbrechen mit dem Müll. Karl Hoffmann berichtet aus dem Süden Italiens.

08.01.2008
    In Italien schwelt es schon seit geraumer Zeit, lange vor den rauchenden Müllbergen:

    Im vergangenen Herbst folgten hunderttausende Italiener dem Ruf des Komikers Beppe Grillo, der lautstark auf die Politiker schimpfte.

    Die Müllberge von Neapel sind die Spitze des Eisbergs und das übel riechende Beispiel für die Unfähigkeit, mit der Italien regiert wird. Das Abfallproblem erstreckt sich über den gesamten Süden des Landes, wo nur etwa 8 Prozent des Mülls recycled wird. Was in Neapel passiert, das droht vielen anderen Gemeinden über kurz oder lang, wenn die Müllkippen, die einzige Entsorgungsmöglichkeit, voll sind und sich wegen massiver Bürgerproteste keine neuen mehr einrichten lassen. Müllabfuhr ist aber nur ein Bereich, in dem es nicht um den Dienst am Bürger geht, sondern um die Klientel von Politikern. Dazu gehören Bosse von Mafia und Camorra, die für die notwendigen Wählerstimmen sorgen und dafür entlohnt werden wollen: mit Posten für ihre Handlanger, mit Geldern aus der Staatskasse. Italien steckt tief im Sumpf eines unseligen Kastensystems, das Pfründe aufteilt – zum Nachteil für die Allgemeinheit, die immer wieder brav die gleichen Volksvertreter wählt, schimpft der Intellektuelle Aurelio Pes

    "Wir Wähler haben die Politiker ins Amt gehievt und jetzt haben sie alles mit Beschlag belegt. Sie sind wie Alleinherrscher, die alle wichtigen Posten mit ihren Anhängern besetzen: Chefärzte in den Kliniken , Wissenschaftler an den Unis , ja sogar Schulleiter und Richter."

    Die Folge ist eine immer weiter verbreitete Inkompetenz des Führungspersonals. Wer Landrat, Bürgermeister, Chefarzt oder Institutsleiter nicht aufgrund seiner beruflichen Leistungen sondern nur dank guter Beziehungen wird, kann die Probleme der Bürger nicht lösen geschweige denn dem Land neue Impulse geben. In fast allen internationalen Statistiken der Industrienationen ist Italien inzwischen trauriges Schlusslicht. Die langsamsten Eisenbahnen, die schlechtesten Grund- und Hauptschüler, heruntergekommene Krankenhäuser vor allem im Süden, endlos verstopfte und teure Autobahnen, die höchste Steuerlast für Unternehmen, das schlechteste Justizwesen. Meint der frühere Generalstaatsanwalt von Palermo Giancarlo Caselli:

    "Man muss sich schämen wie lange unsere Prozesse dauern. Weil es am Geld für das Justizwesen fehlt, dass schlecht organisiert ist, und weil es unsägliche viele Verordnungen gibt, die alle Prozesse in die Länge ziehen, dadurch verjähren viele Vergehen und die Justiz kann dem Bürger nicht zu Gerechtigkeit verhelfen."

    Und so schließt sich der Kreis: nicht nur unfähige, sondern auch nachgewiesener Maßen korrupte Volksvertreter und Staatsdiener sitzen dank gnädiger Verjährungsfristen fest in ihren Ämtern und vergessen dabei nicht, sich selbst fürstlich zu entlohnen. Betretenes Schweigen herrscht derzeit in der Landesregierung von Südtirol in Bozen, seit bekannt wurde, dass der Chef der kleinen Regionalverwaltung mehr verdient als zum Beispiel die deutsche Bundeskanzlerin. Dafür fehlt es nicht an schwülstigen Reden:

    "Die wahre Politik muss sich auch unerreichbare Ziele setzen, wenn sie die Menschen begeistern will,"

    erklärte jüngst der römische Bürgermeister Walter Veltroni. Womit aber der Müllnotstand in Neapel nicht behoben ist und die Frage weiterhin im Raum stehen bleibt, ob mangels anderer Müllverbrennungsanlagen der ganze Abfall am Ende nicht noch in den Ätna gekippt werden muss.