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Mütter in Schwierigkeiten und ein Flussdelta mit vielen Abgründen

Frauen, Töchter, Mütter - so könnte man verkürzt aber präzise die Geschichten des spanischen Kinomagiers Pedro Almodóvar wiedergeben. Sein neuer Film "Julieta" ist ein trauriges Mutter-Tochter-Drama. Außerdem neu: "Mörderland", ein Krimi aus Spanien und "Maggies Plan", die launige Geschichte einer New Yorkerin, die planvoll schwanger wird.

Von Hartwig Tegeler | 03.08.2016
    Die spanische Schauspielerin Emma Suarez in einer Filmszene von "Julieta" von Regisseur Pedro Almodóvar
    Die spanische Schauspielerin Emma Suarez in einer Filmszene von "Julieta" von Regisseur Pedro Almodóvar (picture alliance / dpa / Cannes Film Festival / Handout)
    "Mörderland - La Isla Mínima"" von Alberto Rodríguez
    "Alles in Ordnung?"
    Nein, gar nichts ist in Ordnung und wird es auch nicht werden in "Mörderland". Manche Filme brauchen ein, zwei Einstellungen, ein paar Minuten, dann haben sie uns. In Alberto Rodríguez´ meisterhaftem Thriller wirkt das Delta des Guadalquivir, zu sehen aus der Vogelperspektive, wie ein Gemälde. Dazu diese Musik von Julio de la Rosa, hier im Hintergrund, und wir sind gefangen. Diese andalusische Landschaft, eine Art 'wasted land', wird Javier Gutiérrez und Raúl Arévalo als dritte Hauptdarstellerin den ganzen Film über begleiten, wenn sie da im Spätsommer 1980 als zwei Madrider Polizisten in der Provinz den Mord an zwei Mädchen aufklären sollen.
    "Kürzlich hat Kimi sie zum Jagdhaus gebracht. Nachdem er mit ihr zusammen war, sollte sie sich nicht wieder anziehen. Er hat sie ans Bett gefesselt."
    Es ist weniger der Krimi-Plot, der an "Mörderland" so fasziniert, sondern die Stimmung, die Filmemacher Rodrígues schafft: düster, verschwommen, nie wirklich ganz zu fassen. Eine tiefe Verunsicherung hat alle ergriffen zurzeit des historischen Übergangs von der Franco-Diktatur zur Demokratie. Kann der jüngere Polizist dem Älteren trauen, obwohl der angeblich ein Folterknecht der Faschisten war?
    "Er wurde 'die Krähe' genannt. Er hat allein 100 Menschen gefoltert."
    Und der Vorgesetzte der beiden (…)
    "Ich wurde bereits vorgewarnt, dass Sie Probleme machen!"
    (…) hat offensichtlich eine in die Vergangenheit hineinreichende Verbindung zu dem Mordverdächtigen:
    "Sie schützen ihn, Senor! - Sie wissen überhaupt nicht, wie die Dinge hier laufen. - Doch weiß ich! Wie überall!"
    Einen morbiden Krimi zu erzählen, in dem die Farben wie ausgewaschen wirken, und gleichzeitig eine Geschichte über eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit zu bauen: Grandios ist das hier gelungen.
    "Mörderland - La Isla Mínima" - herausragend
    "Julieta" von Pedro Almodóvar
    "Die Dinge geschahen ohne meine Teilnahme. Eines ergab das andere."
    Eine Mutter hat ihre Tochter verloren. Als Antía gerade 18 Jahre ist, verließ sie ohne Erklärung Julieta, Hauptfigur in Pedro Almodóvars gleichnamigem Film. Jahre später trifft sie zufällig eine Jugendfreundin ihrer Tochter, die erzählt, dass Antía nun ihrerseits Mutter ist. Julieta beginnt ihre Erinnerungen aufzuschreiben.
    "Liebe Antía, ich werden dir alles erzählen, wozu ich bisher keine Gelegenheit hatte. Weil du ein Kind warst, weil es mir zu schmerzhaft erschien. Oder einfach aus Scham."
    Die Mutter Julieta erinnert sich an die Zugfahrt, auf der sie mit dem galizischen Fischer Xoan Antía zeugte. Dann das Leben mit Xoan und ihrer Tochter am Meer. Dem malerischen und dem gefährlichen Meer. Eines Tages streiten sich Xoan und Julietta. Xoan fährt zum Fischen raus.
    "Papa ist tot?"
    Fragt die Tochter. Dann verlässt sie die Mutter. Die Schuld oder das, was Mutter und Tochter als Schuld über den Tod des Vaters empfanden, hat ihre Beziehung zerfressen.
    "Wieso ist er bei dem Unwetter zum Fischen gefahren?"
    Pedro Almodóvar zwanzigster ist ein stiller Film im Vergleich zur grellen Postmoderne, die der spanische Meister in den ersten Jahren der Post-Franco-Ära inszenierte. In "Julieta" jetzt wirkt alles gesetzter. Aber die Dramatik des Schicksals, die Vergänglichkeit und das Altern, sie bleiben gnadenlos. Julieta hat am Ende eines erkannt:
    "Ich habe nie mit dir darüber geredet. Ich wollte, dass du frei von Schuld aufwächst. Aber du hast sie gespürt. Und trotz meines Schweigens habe ich dich damit angesteckt wie mit einem Virus."
    Schweigen ist eben alles andere als Gold.
    "Julieta" - herausragend
    "Maggies Plan" von Rebecca Miller
    Patent, diese Maggie, und sie hat einen Plan: Sie will ein Kind auch ohne Vater. Wann willst du es machen, fragt ihr Samenspender.
    "Am 23. März."
    Bleibt noch die Frage, wieweit der Samenspender in Zukunft eingebunden werden will. Am besten gar nicht, meint Maggie, aber …
    "Ich bin für Verhandlungen offen."
    Das Kind bekommt Maggie, nicht vom Samenspender, sondern vom Samen gebenden Professor von der Uni. Der ist verheiratet, verlässt aber seine Frau für die Superpatente. Zumindest zeitweilig.
    "Sie sind zu 71 % empfängnisbereit."
    Intelligent, neurotisch, die dreißigjährige New Yorker Universitätsdozentin Maggie. Und patent. Ach was, einfach nur "patent", nein …
    "… so superpatent. Dass ich keine Zuwendung verdiene, ist das so?"
    Vielleicht ist es einfach so: Jede Film-Generation hat einen "Stadtneurotiker". So, wie ihn in der männlichen New Yorker Ausführung Woody Allen 1977 entworfen hat. Großes Ego, Intelligenz, unfähig zur Selbstkritik, aber immer weiter redend. Mit jedem Film, "Greenberg" von 2010, zwei Jahre später "Frances Ha", 2015 "Mistress America" und jetzt eben "Maggies Plan", mit jedem weiteren Film, den Greta Gerwig dreht, dürfen wir uns vor der 1983 Geborenen als Nachfolgerin des Ur-Stadtneurotikers Woody Allen verbeugen.
    "Maggies Plan" - empfehlenswert