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Weltraumepos und Künstlerbiografie

Wer den Schauspieler Woody Allen wieder einmal erleben will, hat dazu jetzt im neuen Film von John Turturro Gelegenheit - in der Komödie "Plötzlich Gigolo". Außerdem stellt unser Filmkritiker Mike Leighs Künstlerbiografie "Mr. Turner – Meister des Lichts" vor und das Weltraumepos "Interstellar" von Christopher Nolan.

Von Jörg Albrecht | 05.11.2014
    "Wir müssen die Möglichkeiten interstellarer Reisen nutzen."
    Wem schon zu Schulzeiten der Physikunterricht wie ein schwarzes Loch vorkam, das sämtliche Materie verschluckt hat, der könnte jetzt bei "Interstellar" gewaltige Probleme bekommen. Denn Christopher Nolans Film gibt sich betont wissenschaftlich, gleicht zeitweise einem Vortrag über Astrophysik. Begriffe wie Zentrifugalkraft und Anomalien in der Gravitation, Zeit-Raum-Kontinuum und die fünfte Dimension fliegen einem hier nur so um die Ohren.
    "Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass nichts in unserem Sonnensystem uns helfen kann."
    "Jetzt müssen Sie mir sagen, wie Sie die Welt retten wollen."
    "Wir sollen die Welt gar nicht retten. Wir sollen sie verlassen."
    Die Erde stirbt. Das ist der Ausgangspunkt von "Interstellar". Anstelle von Bildern globaler Zerstörung genügt es Christopher Nolan, den Alltag eines Farmers irgendwo in den USA irgendwann in naher Zukunft zu schildern. Die Nahrungsmittel sind knapp, das Ende der Menschheit nur noch eine Frage von wenigen Jahrzehnten.
    "Früher haben wir zum Himmel hochgesehen und uns gefragt, wo unser Platz im Universum ist. Heute blicken wir auf den Boden hinab und zerbrechen uns den Kopf über unseren Platz im Schmutz."
    Matthew McConaughey spielt den Farmer, der ursprünglich ein Pilot und Ingenieur war und der den fehlenden Pioniergeist seiner Generation beklagt. Als er auf mysteriöse Weise auf eine Geheimbasis der NASA stößt und dort seinem ehemaligen Professor begegnet, ist die Zeit des Klagens vorbei. Er erhält die Chance, am Lazarus-Projekt teilzunehmen. Dessen Ziel ist es, einen Planeten jenseits unseres Sonnensystems zu finden, auf dem die Menschheit überleben kann.
    "Und für diese Mission wurden Sie ausgebildet."
    "Ich habe Kinder, Professor. – Dann gehen Sie da raus und retten Sie sie! – Du weißt nicht, wann du zurückkommst. ... Ich komme zurück."
    Die womöglich endgültige Trennung des Space Cowboys von seinen Kindern ist der emotionale Teil in diesem intergalaktischen Abenteuer, das vor allem aus folgender Annahme seine Spannung zieht: Die Zeit in einem Raumschiff verläuft langsamer als auf der Erde, je länger dieses Raumschiff beschleunigt wird. Und das in "Interstellar" wird gewaltig beschleunigt, nachdem es in einem Wurmloch verschwindet.
    "Liebe ist das Einzige, was Zeit und Raum überwindet."
    Nicht ganz: Hollywood schafft das mühelos in diesem Mix aus Quarks und Murks, der nach knapp drei Stunden in einem abstrusen Schlussakt um Erlösung flehen wird. Zeit sei eine Ressource, heißt es im Film. In seinem Weltraum-Requiem geht Christopher Nolan mit ihr – gelinde gesagt – verschwenderisch um. Man kann Nolan sicher nicht mangelndes Engagement vorwerfen. Aber dieses Filmmonstrum, das "Gravity" aus dem letzten Jahr fast zu einem Dokumentarfilm macht, schießt doch weit übers Ziel hinaus. Übrig bleibt am Ende nur eins: ein mächtiger Brummschädel.
    "Interstellar": zwiespältig.
    "Offenbar wollen sie und ihre Freunde mal die Erfahrung machen, wie so ein Dreier kommt. Und sie hat mich gefragt, ob ich jemanden kenne. Ich habe da an dich gedacht."
    Nennen wir es beim Namen: Woody Allen wird auf seine alten Tage zum Zuhälter und John Turturro – immerhin auch schon 57 – zum Callboy. Der Plan, wie sich die Beiden ihrer Geldsorgen auf entspannte Weise entledigen wollen, steht direkt am Anfang von "Plötzlich Gigolo", Turturros fünftem Film als Regisseur. Dass diese auf den ersten Blick komplett abwegige Geschäftsidee ein durchschlagender Erfolg wird, versteht sich von selbst.
    Auch ist es nicht wirklich eine Überraschung, dass Turturros Film eine Verbeugung vor Woody Allen ist. Doch wo sich bei Allen Komik und Tragik in den Figuren zu einer wunderbaren Einheit verbinden, finden bei Turturro Komödie und Tragödie nie so recht zusammen. Aber das Spiel des Duos Allen/Turturro macht diese Drehbuchschwächen wenigstens etwas wett.
    "Plötzlich Gigolo": akzeptabel.
    "Guten Morgen, Turner. Schön, dass Sie uns Gesellschaft leisten. ... Das Hängungs-Komitee. – Trifft es Ihren Geschmack? – Gut gehängt. ... Es ist wirklich ein prachtvolles Füllhorn. ..."
    Seine farbenprächtigen Landschaftsporträts lassen es kaum vermuten, aber die Pinselführung des britischen Males William Turner war eher unkonventionell. Da konnten auch schon mal Spucke und Eier zum Einsatz kommen.
    Wie nähert man sich einem Künstler, der als eigenbrötlerisch galt und als kauzig? Wohl am besten, in dem man ihn genauso präsentiert und ihn auf gar keinen Fall wegen seiner Leistungen idealisiert. Dem Filmemacher Mike Leigh ist das in seiner Künstlerbiografie "Mr. Turner – Meister des Lichts" gelungen. Ein großartiger, in Cannes mit dem Darstellerpreis ausgezeichneter Tiimothy Spall, verkörpert den Maler wortkarg und grunzend. Mike Leigh erstellt in diversen Episoden aus den letzten 25 Lebensjahren Turners eine Farbpalette, die den Menschen hinter dem Künstler zeigt.
    "Mr. Turner – Meister des Lichts": empfehlenswert.