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Neue SAT1-Show "Newtopia"
Elementares Fremdschämen

Die erste Folge der neuen SAT-Show "Newtopia" ist gelaufen. Unser Redakteur Adalbert Siniawski hat sie gesehen und wagt eine Prognose: Newtopia werde hierzulande ebenso untergehen wie in den USA. Das Genre Reality-TV sei totgeritten. Dass die Newtopia-Zuschauer weitere 364 Tage durchhalten, das sei die wahre Utopie.

Von Adalbert Siniawski | 24.02.2015
    Das Logo der TV-Produktionsfirma "Talpa Germany" und ein Logo der Fernsehproduktion "Newtopia" sind am 19.02.2015 an einem Briefkasten am Drehort von "Newtopia" in Zeesen, einem Ortsteil von Königs Wusterhausen (Brandenburg), zu sehen.
    Die SAT1-Show "Newtopia" ist angelaufen. (dpa / Picture alliance / Matthias Balk)
    "Es ist Eure Chance, etwas Neues zu erschaffen – eine Gesellschaft ganz nach Euren Vorstellungen, nach Euren Wünschen, nach Euren Träumen."
    "Powered by emotion", diesen zugegeben nicht mehr aktuellen Slogan von Sat.1 zelebriert Newtopia bis zum Exzess. Die neue Show verdichtet altbekannte Elemente des Reality-TV aus "Big Brother" und "Ich bin ein Star - holt mich hier raus!" bis ins Extreme: streng nach Schema F, ohne Überraschung. Im Minutentakt jagt ein Gefühlswechsel den nächsten. Gleich zu Beginn gibt es Tränen zum Abschied von zu Hause.
    "Im normalen Leben wär's nie dazu gekommen – insofern tut es noch umso mehr weh. Ich liebe Euch."
    Anschließend beim Kistenpacken dann ein künstlicher Wettlauf gegen die Zeit.
    "Das, was ich sage, zack, zack, zack ... holen, los! Schlafsack, Werkzeug, Schraubenzieher, Lüsterklemmen, keine Ahnung, irgendwas."

    Berechnende Kandidatenwahl und bloßgestellte Teilnehmer
    Und nicht zu vergessen: das elementare Fremdschämen.
    "Auf jeden Fall ist es schön, dass wir den femininen Teil nicht ausgespart haben, dass sich, wenn wir uns für Polygamie entscheiden zum Beispiel, dass es dann auch mehr oder weniger klappt und aufgeht."
    Arg berechnend ist auch die Kandidatenwahl: Key-Account-Manager trifft auf Kassiererin, Handwerker auf Hartz-4-Empfänger. So sind Konflikte und Skandale vorprogrammiert.
    "Buchhalterin Kerstin zweifelt schon jetzt am Zusammenhalt."
    Dazu eine Stimme aus dem Off, die das Geschehen in der Pseudo-Kommune karikiert und zuspitzt, die rhetorische Fragen stellt und die Teilnehmer bloßstellt.
    Anlass zum Fremdschämen bietet auch der Kommentator selbst, er ist sich nicht zu schade für Alt-Herren-Sprüche.
    "Es ist nicht leicht die Fassung zu bewahren mit so einer schönen Frau in der Nähe."
    Schade, John de Mol und Sat.1, wirklich schade.
    Verpasste Chance, um wichtige gesellschaftliche Fragen zu stellen

    "- Ich träume von einer besseren Welt.
    - Mein Traum ist ein miteinander.
    - Ich träume von einer besseren Gesellschaft, in der jede Stimme erhört wird."
    Eigentlich böte Newtopia die Chance, wichtige Fragen zu stellen, ohne auf das Spiel um Selbstorganisation und Gruppendynamik zu verzichten. Wie sieht eine Gesellschaft genau aus, in der die Pioniere leben wollen? Wie kann man sie im Kleinen erreichen? Welche Strukturen gilt es über Bord zu werfen? Doch im Dörfchen Newtopia herrschen lediglich Schwarz-weiß-Denken.
    "Wird es vollkommenes Glück – oder totales Chaos?"
    Und ganz basale, menschliche Bedürfnisse vor der Spycam.
    "Ja, ich kack' jetzt nicht, ich will nur kurz pullern. Leute, lasst mich pullern, bitte!"
    Hier eine Prognose: Newtopia wird trotz des quotenmäßig guten Einstands bei uns ebenso untergehen wie schon in den USA. Beim Dschungelcamp zeigen die Zahlen nach unten, Big Brother funktioniert nur noch in der Promi-Variante. Das Genre Reality-TV – es ist schlichtweg totgeritten. Dass die Newtopia-Zuschauer weitere 364 Tage vor dem Fernseher oder im Netz durchhalten, das ist die wahre Utopie. Liebe Sat.1-Macher, lieber John de Mol – powered by brain, das wäre doch mal was, oder?