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Neue Serie mit Benedict Cumberbatch
Wer ist Patrick Melrose?

In der neuen Sky-Serie "Patrick Melrose" gibt Schauspieler Benedict Cumberbatch einen aristokratischen Junkie und Dandy. Es gibt keine bessere Besetzung für diese Rolle! Und Schnitt und Kamera versetzen den Zuschauer selbst in einen Rausch.

Von Julian Ignatowitsch | 29.05.2018
    Schauspieler Benedict Cumberbatch im schwarzen Anzug
    Schauspieler Benedict Cumberbatch: In der Serie "Patrick Melrose" bietet er eine einzigartige Vorstellung (imago stock&people)
    "Das Heroin."
    Der Moment, in dem die Dosis zu wirken beginnt. Wenn die Sinne schwinden und die Realität unter dem Verlust, dem Kontrollverlust des eigenen Ichs, zerfließt. Dann ist da nur noch: der Drogenrausch.
    "Natürlich habe ich schon in der Bar gespeist ... "
    Heroin.
    "Was kommt wohl als nächstes?"
    Koks.
    "Auf der Abendkarte finden Sie kolumbiansches Kokain."
    Alkohol und Zigaretten sowieso.
    "Nein, nein, nein. Denk bloß nicht dran"
    Speed.
    "Von mir hören Sie nichts."
    Quaaludes.
    "Bitte, bitte, mach, dass es aufhört!"
    Der Aristokraten-Sohn Patrick Melrose schluckt und spritzt so ziemlich alles, was er irgendwie bekommen kann. Und damit ist der eine Teil der Geschichte schon erzählt. Der andere Teil: Patricks Neurosen, seine Sucht sind ein klarer Fall von "Daddy Issues", wie man im Englischen sagt. Ein Vaterkomplex, der auf traumatische Kindheitserfahrungen in einer dysfunktionalen Familie bis hin zur Misshandlung zurückzuführen ist.
    "Was für ein außergewöhnlicher Mann dein Vater war."
    "Jedenfalls habe ich nie jemanden wie ihn kennengelernt. Sich niemals entschuldigen, sich niemals erklären. Alles beobachten, keinem trauen."
    "Alles sehr weise."
    "Im 18. Jahrhundert war die Welt noch in Ordnung. Oh, und verachte die Weiber und deine Mutter am meisten von allen."
    Der Plot, der auf den autobiografischen Kultromanen von Edward St Aubyn basiert, ist schonungslos direkt, wenn auch nicht neu. Patrick schafft - nach dem Tod seines Vaters - den Absprung, wird clean. Wie die Serie das Ganze erzählt und inszeniert, ist in einem Wort: grandios!
    Zwischen Größe und Wahnsinn, zwischen Hysterie und Ruhe
    Zuallererst Benedict Cumberbatch als der großspurige, gehetzte, bemitleidenswerte Junkie und Dandy Patrick Melrose. Es gibt keine bessere Besetzung für diese Rolle. Man würde ihm am liebsten schon jetzt sämtliche Golden Globes und Emmys für diese einzigartige Vorstellung überreichen. Im Seriensektor schlicht unerreicht. Mimik, Gestik, Sprache - Cumberbatch darf sich in allen Belangen austoben und erzeugt dabei urkomische wie todtraurige Momente.
    "Übrigens, ich glaube, ich höre auf mit den Drogen."
    Mal mit Augenklappe, mal mit Trenchcoat. Und immer nur einen Schritt, eine Spritze, vom Abgrund entfernt. Schnitt und Kamera evozieren beim Zuschauer selbst einen Rausch. In Rückblenden wird das Jetzt gekonnt mit dem Damals verwoben: Der Drogentrip und das Kindheitstrauma, die luxuriöse Hotelsuite in New York und das riesige Landhaus der Familie in Südfrankreich.
    "Hallo Patrick."
    "Mutter?"
    Alles klaustrophobische Orte. Mit ihrem Pomp, ihrer Dekadenz, ihrer ausgestellten Schönheit und Kultiviertheit, hinter der sich nur Oberflächlichkeit, Leere und Barbarei befinden.
    "Patrick, sprich mit deinem guten, alten Dad."
    Jennifer Jason Leigh und Hugo Weaving als gescheiterte, sich hassende Eltern des jungen Patrick lassen einen nervös zur nächsten Zigarette greifen. Daddy-Issues? Ich? Überhaupt, was sind das für Stimmen?
    "Ruf einfach 5551726 an."
    "Halt die Kappe."
    Der perfekte Serienheld, gespielt von einem scheinbar perfekten Schauspieler
    Patrick Melrose erinnert so einerseits an überdrehte Kultfilme wie "Fear and Loathing in Las Vegas", "Naked Lunch" oder "The Wolfe of Wall Street", kann sich in seinen ruhigen Momenten aber auch mit dem Biss und der Absurdität von Klassikern wie "Das große Fressen" oder "Der diskrete Charme der Bourgeoisie" messen.
    Jede der fünf einstündigen Folgen entwickelt ihre ganz eigene Stimmung, ihren ganz eigenen Drive. Und immer wenn man denkt, jetzt kenne man Patrick Melrose aber, man habe ihn durchschaut, dann zeigt Benedict Cumberbatch durch eine kleine Bewegung, ein Zucken, einen anderen Tonfall das das nicht so ist.
    "Ich will sterben."
    Wer ist Patrick Melrose? Auf diese Frage könnten wir noch tausende Antworten geben, belassen wir es einfach dabei: Er ist der perfekte Serienheld, gespielt von einem scheinbar perfekten Schauspieler in einer nahezu perfekten Serie.
    "Patrick Melrose" startet heute ab 20:15 Uhr auf Sky1.