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Neue Zürcher Zeitung
Verteidigung der liberalen Werte

Die Neue Zürcher Zeitung steckt in einer Krise. Der Verlag muss sparen und will das Blatt deshalb künftig bei der Konkurrenz drucken lassen. Auch die liberale Ausrichtung des Blattes ist gefährdet. Die Redaktion geht auf die Barrikaden.

Von Thomas Wagner | 20.12.2014
    Sitz der NZZ in der Falkenstraße in Zürich.
    Sitz der NZZ in der Falkenstraße in Zürich. (imago/EQ Images)
    "Diese Zeitung ist ein Produkt, dass man gerne in den Händen hält, dazu einen Kaffee trinkt und ein Gipfeli... Es wird immer gedruckte Zeitungen geben. Und wir möchten diese in unserer eigenen Druckerei herstellen können. Herzlichen Dank."
    Die Belegschaft macht Druck, auf dass auch in Zukunft gedruckt wird: Vor dem altehrwürdigen Verlagsgebäude der Neuen Zürcher Zeitung an der Züricher Falkenstraße stehen gut hundert Belegschaftsmitglieder. Sie protestieren gegen die jüngsten Pläne der Geschäftsleitung, die NZZ-Druckerei im Züricher Vorort Schlieren zu schließen und das Traditionsblatt zukünftig ausgerechnet bei der Verlagsgruppe Tamedia zu drucken, die den Züricher "Tagesanzeiger" herausgibt.
    "Wir sind die schärfsten Konkurrenten, das muss man ganz klar sagen! Wir sind die beiden wichtigen, national tonangebenden Tageszeitungen in diesem Land. Es ist für die Medienvielfalt absolut wichtig, dass wir Konkurrenten bleiben, und dass wir absolut nichts voneinander wissen, was die anderen schreiben."
    Brigitte Hürlimann arbeitet als Redakteurin bei der NZZ und ist als Präsidentin der NZZ-Personalkommission oberste Belegschaftsvertreterin. Dass 'ihr' Blatt zukünftig beim Erz-Konkurrenten 'Tamedia' gedruckt werden soll, will ihr nicht in den Kopf: Damit nämlich werde ein Stück publizistische Vielfalt in der Schweiz geopfert, denn keiner wisse, wie weit die Zusammenarbeit in Zukunft noch gehen kann. Doch die geplante Schließung der Druckerei ist derzeit nicht die einzige Sorge der NZZ-Redaktion.
    "Die Wellen sind ja sehr hoch geschlagen, als die sehr überraschende Ankündigung kam, dass unser Chefredakteur seinen Posten als Chefredakteur verlassen wird. Das kam für uns sehr abrupt und unerwartet und auf eine sehr unschöne Art und Weise."
    Angst vor rechtskonservativer Agenda des Neuen
    Unschön deshalb, weil durchsickerte, wen der Verwaltungsrat als Nachfolger ins Auge gefasst hatte: Markus Somm, Redaktionschef der rechtskonservativ ausgerichteten 'Basler Zeitung'.. Und der passe nun gar nicht zur liberalen NZZ, meint Brigitte Hürlimann:
    "Er hat sich für Meinungen stark gemacht, für politische Strömungen, die wir hier ganz klar ablehnen bei der NZZ. Nationalkonservative Meinungen. Wir sind angewiesen auf ausländische Frauen und Männer, die hier ins Land kommen. Und da hat Herr Somm eine andere Auffassung."
    Markus Somm gilt als Gefolgsmann des stramm rechtskonservativen Industriellen Christoph Blocher von der Schweizerischen Volkspartei. Entsprechend groß war der Aufschrei innerhalb der NZZ-Redaktion, als Somm als neuer Chefredakteur gehandelt wurde. Mittlerweile hat Somm selbst dementiert, von Basel in die Züricher Falkenstraße wechseln zu wollen. Was bleibt, ist großes Rätselraten darüber, was den Verwaltungsrat der liberalen NZZ geritten haben könnte, ausgerechnet den rechtskonservativen Somm ins Spiel zu bringen. Mario Schanz vom Forschungsinstitut "Öffentlichkeit und Gesellschaft" der Universität Zürich:
    "Ein wichtiger Punkt dabei: Die NZZ befindet sich, wie die ganze Presselandschaft der Schweiz, in einer starken Krise. Also, viele haben finanzielle Probleme. Es gibt einen starken Rückgang der Leserschaft, der Werbeeinnahmen."
    Widerstand gegen geplante Druckereischließung
    Möglicherweise, glaubt Medienwissenschaftler Mario Schanz, habe der NZZ-Verwaltungsrat mit einer neuen, rechtskonservativen Ausrichtung langfristig die Auflage stützen wollen. Möglicherweise hätten die Entscheidungsträger dies als Mainstream in der Schweizerischen Bevölkerung ausgemacht, beispielsweise nach der Ablehnung der Personenfreizügigkeit im Februar in einer Volksabstimmung. Doch mit einer rechtskonservativen, gar mit einer rechtspopulistischen Ausrichtung könne eine angesehene Tageszeitung nicht an Lesern gewinnen, sondern allenfalls verlieren. Das zeige gerade das Beispiel von Markus Somm.
    "Somm hat ja eigentlich sehr viele Leser verloren bei der Basler Zeitung in der Zeit, in der er dort ist. Und zu glauben, dass diese Strategie ökonomisch aufgegangen wäre – das verstehe ich nicht. Es wäre eher so gewesen, dass die Leserzahl noch mehr geschrumpft wäre, das ökonomische Problem noch größer geworden wäre."
    Damit das 'ökonomische Problem' eben nicht noch größer wird, will die Geschäftsleitung derzeit als erstes die NZZ-Druckerei in Zürich-Schlieren dicht machen. Doch obwohl dieses Vorhaben ebenso von heftigen Belegschaftsprotesten begleitet wird, hält Veit Dengler, Vorsitzender der NZZ-Geschäftsleitung, daran fest. Denn:
    "Wir verlieren laufend Print-Abonnenten und gewinnen laufend Digital-Abonnenten dazu. Und diesen Übergang müssen wir sauber begleiten auf der Druckseite."
    Redaktion soll in Chefsuche einbezogen werden
    Allerdings: Der Widerstand gegen die geplante Druckereischließung werde anhalten, verlautet aus der Belegschaft. Erleichterung herrscht dort aber über ein Zugeständnis des Verwaltungsrates bei der Besetzung des Chefredaktor-Postens: Die Redaktion soll in diesen Prozess so gut es geht eingebunden werden. Belegschaftsvertreterin Brigitte Hürlimann:
    "Also wir werden nun konsultiert. Wir können uns äußern. Und es wird auch die politische Ausrichtung mit uns debattiert. Wir haben keinen Hinweis darauf bekommen, dass man einen Wechsel ins Auge fasst."
    Das bestätigt auch NZZ-Vorstandschef Veit Dengler:
    -"Was wir ganz klar gesagt haben, was der Verwaltungsrat immer gesagt hat: Es steht hier nicht die Linie der NZZ zur Disposition."
    -"Dann wird es weiterhin ein offenes, liberales Blatt bleiben?"
    -"Ja!"