Donnerstag, 28. März 2024

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Neuer Eischnelllauf-Präsident Matthias Große
Eine umstrittene Personalie

Der neue Präsident der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft, Matthias Große, spaltet zu seinem Amtsantritt die Szene. Der Lebensgefährte der fünffachen Olympiasiegerin Claudia Pechstein tritt häufig mit ihr im Duo auf. Als eine seiner ersten Amtshandlungen setzte Große den alten Verbandsarzt wieder ein.

Von Victoria Reith und Jessica Sturmberg | 19.06.2020
    Matthias Große beobachtet das Rennen seiner Lebensgefährtin Claudia Pechstein über die 1500 Meter Distanz.
    Der heutige DESG-Präsident Matthias Große im Jahr 2016. (picture alliance/dpa - Soeren Stache)
    Matthias Große ist zum Präsidenten der Deutschen Eisschnelllaufgemeinschaft (DESG) ernannt worden. Ernannt, weil die Wahl erst im September stattfindet – wegen der Coronavirus-Pandemie musste die Mitgliederversammlung vom März in den Herbst verschoben werden.
    Das Präsidium der DESG ist seit dem Rücktritt von Präsidentin Stefanie Teeuwen vergangenen November ein Rumpfpräsidium mit nur noch zwei Mitgliedern. Uwe Rietzke, der von der Short Track-Seite kommt, und der Schatzmeister Dieter Wallisch beriefen Matthias Große nun kommissarisch zum Präsidenten.
    Früherer Sportmediziner wieder eingesetzt
    Als eine der ersten Amtshandlungen setzte Große den Sportmediziner Gerald Lutz wieder als leitenden Verbandsarzt ein. Der Orthopäde und Unfallchirurg war bereits von 2006 bis 2017 Chefarzt des Verbandes. Große sagte zu seinem Schritt: "Ich habe mir zum Ziel gesetzt, den Verband unter einer klaren Führung zu einen. Aus diesem Grund war es mir wichtig, als erstes sicherzustellen, dass die DESG-Sportler wieder die bestmögliche medizinische Betreuung erfahren." Lutz war 2017 im Streit ausgeschieden.
    Eisschnelllauf-Kenner sagen, dass auch Claudia Pechstein stark für ihren Lebensgefährten als DESG-Präsidenten geworben hat. Der Verband ist seit Langem zerstritten und gespalten. Zwischen Bundestrainer Erik Bouwman und Claudia Pechstein gibt es einen heftigen Streit, sie trainierte auch vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie nicht mit ihm, sondern mit der polnischen Mannschaft. Große trat als ihr Lebensgefährte bislang als klarer Fürsprecher von Claudia Pechstein auf. Er sagte jetzt im Zusammenhang mit seiner Ernennung:
    "Man muss die Leute begeistern, wieder was für den Eisschnelllauf zu tun. Die Sponsoren, die sagen, wir wollen das aber nicht bei dieser Führungslosigkeit, die bisher war. Wir müssen Ruhe reinbringen, das gegeneinander muss aufhören. Deshalb, glaube ich, bin ich der Richtige."
    Athletensprecher Geisreiter ist skeptisch
    Ob er den Verband einen kann, ist offen, die Gräben sind tief. Athletensprecher Moritz Geisreiter ist skeptisch. Er sagt: "Das alles erzeugt bei mir nicht das Bild einer Person, die in dieser kritischen, wackligen Phase eines Verbandes einend voranschreiten kann. Das fehlt mir da ganz wesentlich."
    Matthias Große hatte zu DDR-Zeiten eine Militärlaufbahn unter anderem in Minsk eingeschlagen. Nach der Wende arbeitete er sich hoch und gilt heute als harter und erfolgreicher Unternehmer. Rein menschlich bewerteten ihn sehr viele als "cholerisch, einschüchternd, aggressiv - gegenüber Medien, Funktionären, Sportpolitikern." So beschrieb es im März ARD-Eisschnelllaufexperte Holger Gerska im Dlf. "Auf jeden Fall aber ist er kompromisslos, vor allem, wenn es um Claudia Pechsteins Belange geht", sagte Gerska, der diesen Eindruck aus eigenem Erleben teilt.
    Die deutsche Eisschnellläuferin Claudia Pechstein und ihr Lebensgefährte Matthias Große (r) sitzen am 25.01.2018 bei einem Pressegespräch auf dem Müggelturm in Berlin.
    Rücktritte, Finanzloch, Führungschaos. Die Deutsche Eisschnelllauf Gemeinschaft (DESG) streckt tief in der Krise. Der Unternehmer und Lebensgefährte von Olympiasiegerin Claudia Pechstein kandidiert für das Präsidentenamt. ARD-Experte Holger Gerska ist skeptisch, dass sich unter ihm die Wogen glätten.
    Die Vorsitzende des Bundestagssportausschusses, Dagmar Freitag, erlebte Großes Verhaltensweisen ebenfalls, als dieser laut ihrer Aussage ihre Mitarbeitenden bedroht habe. Dies sei unter anderem geschehen, als dieser sie im Zusammenhang mit dem Doping-Rechtsstreit von Claudia Pechstein sprechen wollte. Freitag sagte dem Deutschlandfunk, ihre Mitarbeiterin hätte Große abgewiesen, weil die SPD-Politikerin im Plenarsaal gewesen sei. Freitag sagt: "Da hat Herr Große kühl ausrichten lassen, das wäre kein Problem für ihn, er käme auch in den Plenarsaal, schließlich habe er schon mit Putin auf dem Sofa gesessen." Große wurde anschließend auf die Liste der unerwünschten Personen im Deutschen Bundestag gesetzt.
    DOSB-Chef Hörmann ist Großes Fürsprecher
    Matthias Große hat allerdings auch Fürsprecher wie den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes, Alfons Hörmann, der ihn als "hemdsärmligen, erfolgreichen Unternehmer" bezeichnet. Wer so agiere, werde immer den ein oder anderen "Gegner, um nicht zu sagen Feind" haben. Das bringe eckiges und kantiges Auftreten so mit sich.
    Warum es genau jetzt zur Benennung kommt, ist nicht ganz klar. Doch die finanziellen Probleme dürften eine Rolle spielen. Zu Beginn des Jahres war die Rede von einem Finanzloch von 400.000 Euro. Die Corona-Nothilfen dürften nicht ausreichen. Matthias Große sagt, er habe Sponsoren und ein Konzept. In den kommenden drei Monaten muss es ihm gelingen, die Mitglieder zu überzeugen.
    "Fast unlösbare Aufgabe"
    Der Sprecher der Initiative "DESG retten", Rainer Erdmann sagte dem Deutschlandfunk: "Wenn er wirklich in den drei Monaten viele Dinge, die er zu Recht kritisiert hat, wo er gesagt hat, er hat Konzepte, Netzwerke und Geld und den klaren Willen zu einen und die Basis einzubeziehen. Wenn er das schafft, und da wird ihm sicher zu Recht ein gesundes Misstrauen entgegengebracht, ist er der Richtige. Ich halte diese Aufgabe für fast unlösbar. Aber er soll jetzt diese Chance haben."
    Schon im März hatte ARD-Experte Holger Gerska vorausgesagt: "Wer Matthias Große wählt, bekommt eben das Duo Pechstein-Große. Und ob dessen Stärke dann darin besteht, den Verband zu einen, Kompromisse zu finden, Gräben zuzuschütten, das Kriegsbeil zu begraben – da bin ich doch sehr, sehr skeptisch." Claudia Pechstein habe bisher – zumindest im Sportlichen – für das Gegenteil gestanden.