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Neues Album von New Order
Dance-Beats vom Handwerker oder Mechaniker

"Music Complete" heißt das erste neue Album seit über zehn Jahren von New Order, einer der einst wichtigsten und einflussreichsten Popbands überhaupt. Es gab einige Umbesetzungen. Aber offenbar war und ist Sänger und Gitarrist Bernard Sumner die prägende Konstante.

Von Bernd Lechner | 26.09.2015
    "How much do you need", heißt es in "Restless", der ersten Single zum neuen New-Order-Album: Wie viel Besitz brauchst du wirklich? Wichtige Frage - aber kapitalismuskritische Dancehits schreiben sich natürlich leicht, wenn man ein reicher Popstar ist, der den Winter auf seinem Segelboot in der Karibik verbringt.
    "Naja, nicht den ganzen Winter. Vielleicht zwei Wochen. Aber ich singe ja: I feel restless. Der Song ist schon auch eine Selbstbefragung, ich zeige nicht mit dem Finger. Oder nur zum Teil, auf einen sehr gierigen Menschen, den ich kenne."
    Auf den er aber nun nicht näher eingehen möchte, oder? Es könnte sich um Peter Hook handeln, Bernard Sumners kongenialen Freund und stilprägenden Bassisten von Anbeginn. Vor sieben Jahren trennten sie sich im Streit, nun fehlt er erstmals auf einem Album - oder eben nicht, wie Sumner sagt: Viele Konzerte später stehe das Soundgefüge von New Order längst auch ohne Hooky. Statt ein Album zu machen, hätten sie am liebsten weiter regelmäßig live gespielt. Und dazwischen kleine EPs produziert. Aber so flexibel sind Sumners Musen nicht.
    "Ich nutze mein Unterbewusstsein als Schreibwerkzeug. Und das ist jedes Mal schwer. Als müsste man ein wildes Pferd zähmen. Wenn ich also erst im Textermodus bin, dann versuche ich, möglichst viele Songs zu schreiben, selbst wenn man drei Monate dransitzt. Denn wenn man aufhört - etwa für Proben -, knallt die Tür wieder zu."
    So schrieb er also das höhnische "Plastic", über eine eitle Pop-Society oder das versöhnliche "Unlearn This Hatred", dies nun nicht über Peter Hook. Oder "Stray Dog" mit Iggy Pop als geheimnisvoll raunendem Gast. Und durchweg fällt auf, wie die zuletzt eher gitarrengeprägten New Order wieder auf die Synthesizer aus den 80ern setzen, auf die typische Mischung aus kühler Melancholie und Party-Überschwang. Damals lebten sie als Miteigner des legendären Clubs Hacienda in Manchester ausschweifend.
    "Sehr hedonistisch. Aber ich kann mich an keine Details erinnern, auch wenn es Spaß gemacht hat. Ich ging auf eine House-Party - und kam am nächsten Mittag wieder zu mir. Das kann nicht gut sein."
    Heute genieße er es, ohne Brummschädel aufzuwachen oder auch auf der Bühne zu stehen. Trotzdem: nichts gegen einen guten Dancebeat.
    "Wenn der Groove stimmt, dann habe ich so ein seltsames Gefühl in der Wirbelsäule - als würde ich schweben. Klingt verrückt, aber ich kann's nicht anders sagen. Dann eine genau passende Basslinie dazu, dann die harmonischen und melodischen Komponenten. Man baut es zusammen wie ein Handwerker ein Haus."
    Man hört das dance-orientierte "Music Complete" unweigerlich mit "Blue Monday" von 1983 im Hinterkopf, ihrem größten Beat-Moment, über den Bernard Sumner heute auch spricht wie ein Handwerker oder Mechaniker, mit dem Beat als Motor und dem Bass als zweitem Gang.
    "The engine is that beat: Bum-bum-badabadabadabada-bum - and that drives the bass line, which is the second gear: Bum-ba-bum-ba-bum-ba-bum-ba."
    Damals sei die Band noch relevant gewesen, rügt nun der englische Popautor Mark Fisher. Das neue Album dagegen: nur noch "prollig-populistisch". In der Tat: Ein Album einstiger Avantgardisten könnte reduzierter und radikaler sein. Aber in ihren besten Momenten besitzen New Order immer noch eine lässige Eleganz und klingen durchaus neugierig, wenngleich nicht mehr neu oder subversiv.
    "Music Complete" ist ihr vielleicht bestes Album seit ihren ganz großen Zeiten. Da kann sich Bernard Sumner einigermaßen zufrieden bald wieder auf sein Segelboot zurückziehen.
    "Es ist das genaue Gegenteil zur Bühne. Weg von allem, keiner kennt mich, ich habe meine Schlechtwettermontur an und man sieht nur die Augen. Wobei, gerade war ich mit Freunden vor der Südküste Englands. Und als wir in einen etwas überfüllten Hafen einlaufen wollten, sagte der Hafenmeister über Funk: Sie kommen im Fahrwasser an einer Fünfzehnmeter-Jacht vorbei, da legen Sie bitte längs an. Das Boot heißt: Blue Monday! Wir gingen kurz an Bord, und da waren lauter Mädchen im Bikini. Ich habe ihnen nicht gesagt, wer ich bin."