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Neues aus Nordeuropa
Von der Natur inspirierte Musik

Die Lied- und Folkszene Nordeuropas überrascht immer wieder mit ungewöhnlichen Produktionen und jungen Talenten wie der norwegischen Kontrabassistin und Sängerin Ellen Andrea Wang oder dem schwedischen A-cappella-Quartett Kraja. Einen großen Anteil an deren Werk hat als Inspirationsquelle: die grandiose Natur.

Von Jens-Peter Müller |
    Der Blick auf eine einsame Hütte an einem See.
    Eine einsame Hütte an einem See. (picture alliance / dpa-ZB/ Daniel Gammert)
    Die Lied und Folkgeschichte(n) mit aktuellen CD-Produktionen aus Nordeuropa. Das schwedische A cappella Quartett Kraja singt
    "Alles beginnt mit einem Schluss. Alles endet mit einem Beginn. Lachen verwandelt sich in Tränen - Tränen in Lachen"
    Kraja, vier junge Frauen aus Umea in Nordschweden, die mit der CD "Hur långt som helst" schon ihr viertes Album herausgebracht haben. "Hur långt som helst" bedeutet "Wie weit auch immer", und "Kraja" ist ein Ausdruck der samischen Urbevölkerung: "Der Ort an dem du dich zu Hause fühlst." Das Quartett hat sich schon zu Schulzeiten zusammengefunden. Als die Sängerinnen 16, 17 Jahre alt waren haben sie ihre erste CD mit hauptsächlich traditionellen schwedischen Liedern aufgenommen. Mittlerweile komponieren und texten sie auch selbst. Auf "Hur långt som helst" haben sie hauptsächlich Gedichte von außereuropäischen Autorinnen vertont, die sie selbst oder andere schwedische Lyrikerinnen ins Schwedische übertragen worden sind.
    Deutsche Texte im Booklet
    Kraja sind regelmäßig in Deutschland zu Gast, zum Beispiel beim diesjährigen Folkbaltica Festival Ende April in und um Flensburg, wo die Stimme das Hauptthema sein wird. Im Booklet ihrer in Deutschland veröffentlichten CD gibt es als besonderen Service auch deutschsprachige Übersetzungen.
    Dem Lied "När jag dör" liegt ein traditioneller Text des Volksstammes der Kuba im Kongo zugrunde.
    När jag dör - Wenn ich sterbe
    "Mit unseren Füßen wandern wir über die Ziegenwiese. Mit unseren Händen strecken wir uns nach dem Himmel der Götter. Eines Tages, eines warmen und großartigen Tages werde ich tot durch das Dorf getragen. Begrabt mich nicht unter den Bäumen des Waldes, denn ich fürchte ihre Dornen. Und fürchte den tropfenden Regen. Wenn ich sterbe, begrabt mich unter den schattigen Bäumen am Markt, denn ich will die Trommeln schlagen hören und die Menschen wie sie tanzen."
    Die folgende Musik ist tatsächlich unter Bäumen aufgenommen worden. Die skandinavischen Musikerinnen und Musiker haben alle eine besondere Beziehung zur grandiosen nordischen Natur, die eine Kraft - und Inspirationsquelle darstellt, aber es ist dennoch ziemlich selten, dass Alben in der Natur produziert werden. Die Singersongwriterin und Gitarristin Kerstin Blodig lebt in Berlin, ihre Familie stammt aus Norwegen. Sie ist für ihr aktuelles Album "Out of the woods" mit ihren Mitmusikern Urs Fuchs am Bass und Ian Melrose an Flöten und Gitarren auf eine sonnendurchflutete Waldlichtung gegangen.
    Bezüge zur Natur
    Ein Frühlingswalzer von und mit Kerstin Blodig von ihrer CD "Out of the woods" Viele der Texte auf dieser CD haben auch Bezüge zur Natur. Das eben war ein Frühlings- und Liebesgedicht des norwegischen Lyrikers Eldrup Hansen. "Ich möchte dein Frühling sein und dir Arme voll von Blumen schenken."
    Die nordische Urbevölkerung, die Samen sind eng mit der Natur, mit ihren Gesetzen und Energien verbunden. Ihr Land, das auf de Gebiet von Norwegen, Schweden, Finnland und auf der russischen Kola-Halbinsel liegt, nennen sie "Sapmi". ,Die Volksmusik der Samen, der Joikgesang, wurde von christlichen Missionaren im 17. Jahrhundert als sündhaft gebrannt markt und verboten, hat aber in der stillen , einsamen Weite der Landschaften am Polarkreis überlebt, wo weiterhin gejoikt wurde, unbegleitet und solistisch. Heute hat sich die Akzeptanz der Kultur der Samen radikal gewandelt, auch innerhalb der samischen Bevölkerung- und es gibt reihenweise spannende und experimentelle Produktionen samischer Künstler. Zwischen Folk, Weltmusik und Jazz.
    Torgeir Vassvik hat im vergangenen Jahr beim Tanz- und Folkfest mit seinen Fusionen aus Joik und zeitgenössische Klängen ein großes Publikum begeistert. Er hat eine Erklärung dafür, warum sich der Joik so gut für Experimente eignet. Der Joik. Sagt er, ist extrem dehnbar, ohne seine Wurzeln in der Tradition und die Verbindung zur Natur zu verlieren.
    "Wir leben in modernen Zeiten, und die musikalischen Einflüsse sind vielfältig. ich versuche immer den Joik musikalisch so zu dehnen, dass er in diese Zeit passt. Aber gleichzeitig liebe ich den alten Joik, er ist so archaisch und vermittelt etwas von der Vergangenheit, er erzählt von einer vollkommen anderen Welt."
    Verbindung von Altem und Neuem
    Eine weite musikalische Landschaft, die Torgeir Vassvik mit seiner modernen Interpretation des samischen Joik entstehen lässt. Das war ein Titel aus seiner Debut-CD "Sapmi", die schon 2009 in Norwegen erschienen ist, aber nun vom deutschen Label Nordic Notes neu herausgebracht worden ist. Das Label kümmert sich seit einigen Jahren um die Veröffentlichung samischer Musik hier in Deutschland, um aktuelle Alben oder ältere, hörenswerte Produktionen. Ganz neu bei Nordic Notes ist das Debut-Album der Gruppe "Trad.Attack" aus Estland. Und das passt, denn Estland hat eine Menge mit Nordeuropa zu tun. Mehr als die beiden anderen baltischen Staaten. Allein von der Sprache her, denn das Estnische gehört zum finnisch-ugrischen Sprachzweig, wie das Finnische oder auch die samische Sprache. Finnen und Esten können sich untereinander gut verstehen, und der wirtschaftliche und kulturelle Kontakt zwischen den beiden Nationen ist seit der Unabhängigkeit der baltischen sehr eng.
    Auch Trad. Attack verbindet Altes mit Neuem. Das Trio verwendet alte estnische Gedichte und seltene Archivaufnahmen, nicht nur aus Estland. Im folgenden Stück hören wir eine sehr spannende Kombination: neukomponierter Musik der Band mit einem Text der 2004 im Alter von 100 Jahren verstorbenen Estin Pauline Vapper und dem archaischen Katajak Gesang der kanadischen Inuit, bei denen sich die beiden Sängerinnen so eng gegenüberstehen, dass sie den Mund der Anderen als Resonanzraum benutzen. "Peale Päeave" zu deutsch "Am Ende des Tages" heißt der kleine Text von Pauline Vapper "Am Ende des Tages bitte ich den Geist, eine Tasche vorbeizubringen und all die Arbeit da reinzupacken"
    Kinderlied über ein kleines Kätzchen
    Ja, gewagt, aber sehr gelungen, finde ich, diese Mischung von Trad. Attack. Die drei Bandmitglieder tummeln sich auch schon seit vielen Jahren in der Folk- und Weltmusikszene Estlands und Nordeuropas, allen voran die Flötistin, Saxophonistin und Dudelsackspielerin Sandra Sillamaa. Die Aufnahme mit den beiden kanadischen Inuit-Frauen entstammt aus einer legendären Schallplatte mit dem Titel "The singing games" aus dem Jahre 1976. Um ein Spiellied handelt es sich auch beim nächsten Stück, es ist ein estnisches Kinderlied über ein kleines Kätzchen.
    Die estnische Gruppe Trad.Attack mit einem Titel von ihrem Debut-album "Ah!". Es ist gerade in Deutschland veröffentlicht. Wir bleiben in Estland, wechseln aber die Sprache, von Estnisch, nach Schwedisch. Ja, es gibt eine kleine schwedische Minderheit in Estland. Auf den vorgelagerten Inseln Dagö und Runö siedelten sich, so weit bekannt ist, vor 800 Jahren, evtl. sogar schon eher, Schweden als Bauern, Fischer und Robbenjäger an. Ihre Volkslieder und Tanzmelodien gehören zu den ältesten Überlieferungen schwedischer Tradition. Das skandinavische Frauentrio ULV aus Stockholm, Kopenhagen und Oslo hat einige Winter – und Weihnachtslieder aus diesen schwedisch-estnischen Quellen neu aufgenommen.
    Världens frälsare kom här, Der Retter der Welt ist gekommen. Auch diese Musik gibt einen seltenen Einblick in alte, vergangene Zeiten. "Ljus i mörker" "Licht in der Dunkelheit" heißt die CD und das Weihnachts- und Winterprogramm von ULV. ULV gehen damit in der kommenden Woche auf eine kleine Tournee nach Norddeutschland. Konzerte gibt es in Mölln, in Flensburg und in Büsum.
    Klänge aus Eis
    Eine einzigartige Verbindung aus Natur und Musik geht der norwegische Perkussionist Terje Isungset ein. Seit etwa 15 Jahren schon experimentiert er mit Klängen aus Eis. Und zum 11. Mal organisiert er in diesem Jahr ein Eisfestival mit großen Bühnenprogarammen, mit Musik und Tanz, bei denen sich alles um Eis dreht. Es findet vom 21.- 26. Januar im Hallingdal in Geilo statt. Terje Isungset lädt internationale Künstlerinnen und Künstler ein, die vor Ort aus Gletschereis und Eis von gefrorenen Seen. Instrumente bauen. Das Ganze ist natürlich ein Open Air-Ereignis. Und wenn es lausig kalt ist, nicht unbedingt nur ein Vergnügen. Aber man kann sich die Musik auch ins warme Wohnzimmer holen, denn Terje Isungset hat schon einige CDs produziert. Sein neustes Werk heißt "Meditations". Es ist keine Musik, die zum Meditieren im gewöhnlichen Sinne gedacht ist, sondern eher anregen soll, Gefühle und Gedanken zur Vergänglichkeit und Fragilität unserer Umwelt, bzw. anders gesagt, unserer Mitwelt, zu entwickeln. Alle perkussiven Klänge, die Sie jetzt hören, sind aus Eis. Die knisternden und auch die hohen und tiefen glockenartigen Töne.
    Eismusik von und mit Terje Isungset und der Stimme von Lena Nymark, "Silent folk heißt dieser Ausschnitt aus der CD "Meditations". Am Kontrabass war der Schwede Anders Jormin, einer der ganz großen Namen des skandinavischen Jazz. Ganz neu auf der internationalen Szene tauchte in diesem Jahr die norwegische Singer/Songwriterin Ellen Andrea Wang auf. Auch sie spielt Kontrabass - und wie! Es ist schon erstaunlich, welche großartigen Talente gerade die vorbildliche norwegische Musikförderung immer wieder hervorbringt. Und was für Persönlichkeiten. 28 Jahre ist Ellen Andrea Wang erst alt, aber für ihr Debüt-Album mit dem Titel "Diving" hat sie sich nichts weniger vorgenommen, als dass jedes Stück einen ganz eigenen Charakter haben sollte. Oder wie sie es selber sagt:
    "Das Ziel war, meine unterschiedlichen musikalischen Einflüsse auf einem Album zu versammeln."
    Einfach umwerfend. Ellen Andrea Wang eine 28 jährige Musikerin aus Norwegen, die ihre Songs selber schreibt und dazu Kontrabass spielt. Am Schlagzeug Erlend Dahlen und an den Keyboards Andreas Ulvo, der hier eben so klang wie Chick Corea in den 70er Jahren, aber das Grenze ist absolut nicht retro, sondern eine sehr eigenständige Mischung, Musik aus dem 21. Jahrhundert, die gar nicht richtig einzuordnen ist. Zum Schluss die Komposition "Sacred" von Ellen Andrea Wang.