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Niedersachsen
Landesrechnungshof bemängelt Schwachstellen in der Inklusion

In Sachen Inklusion läuft vieles nicht rund. In Niedersachsen haben die Probleme im gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne Förderbedarf jetzt sogar die Prüfer des Landesrechnungshof auf den Plan gerufen. Der bemängelt unter anderem teure Doppelstrukturen und unterschiedliche Inklusionsquoten.

Von Torben Hildebrandt | 25.06.2018
    Schulassistenten unterstützen einzelne Schüler im gemeinsamen Unterricht
    Statt die Förderschulen beizubehalten, sollte Niedersachsen das Geld lieber in den Ausbau der Inklusion an Regelschulen stecken, empfiehlt der Landesrechungshof (dpa/Holger Hollemann)
    Der Landesrechnungshof kritisiert, dass sich Niedersachsen ein teures Doppelsystem leistet: auf der einen Seite die herkömmlichen Regelschulen mit Plätzen für Kinder mit Handicap und daneben die Förderschulen. Statt zügig auf eine Schule für alle zuzusteuern, hält Niedersachsen noch zehn weitere Jahre an den Förderschulen fest. SPD und CDU haben diesen Aufschub gerade beschlossen. Trotz Lehrermangels fährt Niedersachsen also zweigleisig, bemängelt Rechnungshof-Präsidentin Sandra von Klaeden: "Man könnte zu einem effektiveren Ressourceneinsatz kommen, nicht mehr und nicht weniger."
    Niedersachsen könnte auf die Förderschulen verzichten
    Ein effektiver Ressourceneinsatz - das klingt etwas sperrig. Übersetzt heißt das: Niedersachsen könnte auf die Förderschule verzichten – und das Geld lieber komplett in die inklusive Schule stecken. Es geht um rund 400 Millionen Euro pro Jahr. Das heißt aber nicht, dass der Landesrechnungshof die Förderschule per se ablehnt - die Kontrolleure sprechen eher von einem neuen Denkansatz für die Landesregierung. Doch die winkt ab. Kultusminister Grant-Hendrik Tonne bedankt sich zwar artig für die Tipps, will aber weiter am Doppelsystem festhalten:
    "Die letzten Jahre waren geprägt: Inklusion ja oder nein? Wir haben gesagt: Wir akzeptieren ein unterschiedliches Tempo und die Unterschiedlichkeit in den Regionen Niedersachsens."
    Auch Lehrergewerkschaft GEW kritisiert Doppelsystem
    Tonnes Linie: Wenn Eltern und Kommunen die Förderschulen für richtig halten, dann sollen sie die auch behalten – vorerst jedenfalls. Der Landesrechnungshof ist mit seiner Kritik am Doppelsystem allerdings nicht allein – auch die Lehrergewerkschaft GEW hält den Kurs der rot-schwarzen Koalition in Hannover für falsch. Förder- und Regelschule nebeneinander, dieses Modell blockiere die Inklusion, sagt die GEW-Landesvorsitzende Laura Pooth:
    "Das ist das, was uns die Kolleginnen vor Ort zurückmelden: Es fehlt an Personal. Und der Bericht zeigt: Es fehlt deshalb an Personal, weil sich das Land das Doppelsystem leistet."
    Hauptschulen könnten zu Förderschulen werden
    Der Landesrechnungshof hat weitere Schwachstellen aufgespürt. So beklagen die Prüfer: Es zieht Kinder mit Lernschwächen oder emotionalen Problemen überwiegend an die Hauptschulen, während an den Gymnasien kaum Kinder zu finden sind. Landesrechnungshof-Präsidentin von Klaeden sieht da eine Gefahr:
    "Am Ende könnten Hauptschulen faktisch zu Förderschulen werden. Deshalb soll das Land analysieren, warum die Inklusions-Quoten so unterschiedlich sind. Wenn man denn sagt seit 2013, man hat Inklusion, dann muss man auch schauen, dass man die Quoten auch an den weiterführenden Schulen erhöht."
    "Es findet ein Abgehängtwerden auf ganzer Linie statt"
    Auch die Lehrergewerkschaft GEW ist mit der Situation an den Hauptschulen unzufrieden. Verlierer, sagt Laura Pooth, seien am Ende nicht nur die Inklusionskinder, sondern auch die klassischen Hauptschüler. Die Gewerkschafterin weiß, wovon sie spricht – sie hat früher selbst an einer Hauptschule unterrichtet:
    "An den Hauptschulen sind die Kinder, die sich ein Stück weit abgehängt fühlen - und jetzt tritt der Fakt ein, dass Kinder mit Förderbedarf an ihre Schulen kommen und sie rücken noch weiter nach unten. Es findet ein Abgehängtwerden auf ganzer Linie statt, statt die Kinder zu integrieren."
    Probleme an der Hauptschule, unterschiedliche Inklusionsquoten von Landkreis zu Landkreis und Doppelstrukturen – die Kritik des Landesrechnungshofs fällt deutlich aus. Kultusminister Tonne will die Hinweise nach eigenen Worten aufgreifen und schauen, was er besser machen kann – nur eines will er nicht machen: Sparen um jeden Preis.
    "Bildung muss und wird immer mehr kosten, das ist auch so angelegt. Wir wollen Chancengleichheit."