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Historie
NRW will Leid der Verschickungskinder in Form eines Runden Tischs aufarbeiten

In Nordrhein-Westfalen konstituiert sich heute ein Runder Tisch zur Aufarbeitung des Leids der sogenannten Verschickungskinder.

    Ein Stapel Akten zu Verschickungskindern liegt in einer Kiste. Das nordrhein-westfälische Gesundheits- und Sozialministerium hatte eine Studie zum Schicksal von Millionen sogenannter Verschickungskinder vorgelegt.
    Runder Tisch arbeitet Leid ehemaliger Kurkinder auf. (Andreas Behr/dpa)
    Beteiligt sind neben Ministerien und Vertretern der Betroffenen unter anderem auch die Landschaftsverbände, Caritas und Diakonie, Ärztekammern, das Deutsche Rote Kreuz und der GKV-Spitzenverband. Das Landesgesundheitsministerium hatte vor gut einem Jahr eine Studie vorgelegt. Demnach wurden allein in NRW zwischen 1949 und 1990 Fahrten für über 2,1 Millionen Kinder in Kur- oder Erholungsheime organisiert.
    Der Aufenthalt wurde für viele von ihnen zu einer Tortur, die sie bis ins Erwachsenenalter traumatisch belastete. Zeitzeugen schildern Schläge, Essens- und Schlafentzug, Ans-Bett-Fesseln, Isolierung oder Demütigungen in den Kurheimen. "Schwarze Pädagogik" werden die Methoden in der Fachwelt genannt. Die Autoren der Studie bezeichnen diese Berichte grundsätzlich "als in hohem Maße glaubwürdig". Einst fröhliche Kinder kehrten oft verängstigt nach Hause zurück. Viele berichten von lebenslanger Schlaflosigkeit, Depressionen und Verlassenheitsgefühlen.

    Medikamentenexperimente

    Die "Verschickungskinder" wurden in der Nachkriegszeit für einige Wochen in Heimen untergebracht, um sie dort zu stabilisieren. Sie hatten oft gesundheitliche Probleme. So sollten sie beispielsweise an Gewicht zunehmen und wurden deshalb mitunter zum Essen gezwungen, indem sie so lange vor ihrem Teller zu sitzen hatten, bis alles aufgegessen war. Auch Medikamentenexperimente an ihnen haben laut Wissenschaftlern stattgefunden. Unter anderem seien Tuberkulosemittel an Verschickungskindern getestet worden.
    Für alle Bundesländer der damaligen Bundesrepublik wird die Zahl der in Kuren verschickten Kinder nach unterschiedlichen Berechnungen auf sechs bis acht Millionen oder sogar auf zwölf Millionen geschätzt. NRW nimmt mit der Aufarbeitung eine Vorreiterrolle ein. Der Verein Verschickungskinder erwartet eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung der Geschehnisse in den Kinderkuren und Wiedergutmachung durch Therapiefonds und spezielle psychosoziale Angebote.

    Ausstellung "Kindeswund"

    Landtagspräsident Kuper eröffnet in diesem Zusammenhang die Wanderausstellung "Kindeswund". Zu sehen sind bis zum 31. März Malereien und Skulpturen der Hamburger Künstlerin Heike Fischer-Nagel über die Leiden der Verschickungskinder. Fischer-Nagel ist selbst Betroffene. Sie wurde mit vier Jahren in den Westerwald verschickt.
    Diese Nachricht wurde am 21.03.2023 im Programm Deutschlandfunk gesendet.