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NSA-Spionage in Deutschland
Kanzleramt wusste wohl früher Bescheid

Der Bundesnachrichtendienst soll das Kanzleramt schon früher über Spionageabsichten des US-Geheimdienstes NSA informiert haben. Die "Bild am Sonntag" berichtet, der BND habe schon 2008 Täuschungsversuche seitens der NSA festgestellt. Bisher hieß es, das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde sei erst kürzlich informiert worden.

26.04.2015
    Sollten die Informationen der "Bild am Sonntag" (BamS) stimmen, würde das ein neues Licht auf die Affäre werfen. Denn noch in dieser Woche hatte das Bundeskanzleramt mitgeteilt, erst im Februar über die Vorwürfe informiert worden zu sein.
    Worum geht es eigentlich?
    Im Mittelpunkt steht der Bundesnachrichtendienst (BND). Er soll dem US-Geheimdienst NSA über Jahre geholfen haben, Unternehmen und Politiker in Deutschland auszuforschen. Dabei geht nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) um die BND-Abhörstation im bayerischen Bad Aibling. Dort wird der Satelliten-Nachrichtenverkehr in ausländischen Krisengebieten wie Afghanistan, Mali oder Somalia abgehört. 2002 war die Anlage von den USA an Deutschland übergeben worden - allerdings mit der Auflage, sie weiterhin auch für US-Interessen einzusetzen.
    So dürfen die Amerikaner Suchkriterien (Selektoren) liefern, mit denen der BND für die US-Geheimdienste nach verdächtigen Signalen sucht. Vor der computergestützten Spionage soll ein automatisches Verfahren verhindern, dass Rechte deutscher Staatsbürger oder europäische Interessen verletzt werden. Der Bundesnachrichtendienst hat deswegen in den letzten Jahren etwa 40.000 Selektoren, die die USA geliefert hatten, aussortiert. Darauf war der NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags gestoßen.
    Viele Fragen sind noch offen
    Unklar ist, ob die Suchanfragen durchgeführt oder noch vor der Durchführung abgelehnt wurden. Die "Bild am Sonntag" schreibt, schon 2008 habe der Bundesnachrichtendienst das Kanzleramt in einem vertraulichen Bericht informiert, dass die NSA versucht habe, Wissen über die multinationalen Rüstungskonzerne EADS und Eurocopter abzuschöpfen.
    Entsprechende Anfragen habe der BND abgelehnt. Das Kanzleramt als Aufsichtsbehörde hatte diese Woche allerdings davon gesprochen, erst im Februar informiert worden zu sein. In früheren Berichten war die Rede davon, dass der BND für die NSA gezielt die Kommunikation dieser Unternehmen und auch die von Politikern ausgehorcht haben soll.
    Linkspartei spricht von Wirtschaftsspionage
    Der damalige Kanzleramtschef und heutige Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) wollte sich auf Anfrage der BamS wegen der laufenden Untersuchungen nicht äußern. Die Opposition hatte schon in den letzten Tagen von Wirtschaftsspionage und Spionage zum Beispiel gegen Politiker gesprochen. Linkspartei und Grüne forderten, BND-Chef Schindler solle die Verantwortung übernehmen und zurücktreten. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi sagte im Deutschlandfunk:
    "Entweder hat der BND-Chef davon nichts gewusst, dann ist er ein schlechter Leiter, oder er hat es gewusst, dann hat er rechtswidrig gehandelt. Und das Kanzleramt ist natürlich auch in einer schwierigen Situation. Das Kanzleramt ist das Kontrollgremium. Entweder sie haben nichts gewusst, dann funktioniert die Kontrolle nicht, das muss sich dann auch wiederum das Kanzleramt anrechnen lassen. Oder sie haben es gewusst, dann hätten sie sich an rechtswidrigen Handlungen beteiligt."
    Koalitionsvertreter will abwarten
    Auch der frühere linke Bundestagsabgeordnete Wolfgang Neskovic sprach im Deutschlandfunk von einem "klaren Gesetzesverstoß durch den BND". Das ehemalige Mitglied im Parlamentarischen Kontrollausschuss für die Geheimdienste sagte, das Kanzleramt müsse der Weitergabe bestimmter Daten zustimmen, was hier offenbar nicht geschehen sei. "Wenn sie die Zustimmung nicht erteilt haben und ihnen das praktisch durchgerutscht ist, dann ist das ein schwerer Organisationsmangel im Bundeskanzleramt", sagte Neskovic.
    Der Vorsitzende des NSA-Untersuchungsausschusses, Patrick Sensburg (CDU), äußerte sich dagegen zurückhaltend. Er sagte im Deutschlandfunk, der Generalbundesanwalt müsse die Frage klären. "Er hat die Möglichkeit, unsere Akten einzusehen, kann dann selbst beurteilen, ob er einen derartigen Verdacht sieht. Aber das ist erstrangig erst mal seine Aufgabe."