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Olympische Spiele 2021
Warum viele Medien nicht in Tokio dabei sind

Die Olympischen Spiele sind nicht nur für Sportlerinnen ein Highlight. Auch unter Medienschaffenden ist das Gerangel um Akkreditierung normalerweise groß. Diesmal aber ist das anders. Denn für Journalisten vor Ort gibt es wegen der Pandemie ein strenges Regelbuch.

Von Felix Lill | 01.06.2021
Das Deckblatt des Playbook zeigt Grafiken mit Schiedsrichter-Figuren.
Das "Playbook" zum Verhalten bei den Olympischen Spielen in Tokio ist einigen Medienschaffenden zu streng (Du Xiaoyi / IMAGO / Xinhua)
"Nein, ich fahre definitiv nicht", sagt Petz Lahure auf die Frage, ob er diesen Sommer von Tokio aus berichten wird. Der altgediente Sportjournalist aus Luxemburg, der unter anderem für das "Luxemburger Tageblatt" berichtet, ist in seiner Karriere bei einem Dutzend Olympischer Spiele dabei gewesen. Auch jene in Tokio diesen Sommer hatte er fest eingeplant.
24.03.2020, Japan, Fukushima: Ein Besucher mit Mundschutz macht ein Selfie mit der olympischen Flamme in Fukushima. Die Flamme tourt durch die von der Erdbeben-Tsunami-Katastrophe im März 2011 schwer getroffenen Gebiete im Nordosten Japans, bevor der Fackellauf in der Präfektur Fukushima am 26. März beginnt. Foto: kyodo/dpa +++ dpa-Bildfunk +++
Olympische Sommerspiele in Tokio - Kostenexplosion, Korruptionsvorwürfe und Corona
Die Liste der Pannen vor den Spielen in Tokio ist lang: Explodierende Kosten, Korruptionsvorwürfe, Rücktritte und die Verschiebung wegen der Corona-Pandemie. Und auch die Absage der Spiele ist noch möglich.
Aber unter den aktuellen Bedingungen lohne sich die Anreise nicht, findet er: "Ich bin zweimal geimpft, doch dem tragen die Japaner nicht Rechnung. Hinzu kommt, dass man sich in den ersten 14 Tagen nur im Hotel, den Medienbussen und den Wettkampfstätten und den vom Organisator vorgeschriebenen so genannten Restaurants aufhalten darf. Für Medienleute ist der öffentliche Transport während der ersten zwei Wochen ihres Aufenthalts verboten. In der Stadt herumschweifen und Eindrücke gewinnen, wie es sich für einen Reporter gehört, all das darf man nicht. Ein Journalist, der zu den Spielen in die japanische Hauptstadt reist, ist mehr damit beschäftigt, täglich Buch über sich selbst zu führen, als Berichte zu verfassen.

"Playbook" des Tokioter Organisationskomitees

Normalerweise ist eine Olympiaakkreditierung der wichtigste Türöffner für die Berichterstattung vor Ort. Mit ihr erhält man Zugang zu den Spielstätten, zu den "Mixed Zones", Pressekonferenzen und dem Olympischen Dorf, wo die Athletinnen wohnen.
Aber durch die Pandemie werden diese Privilegien beschnitten. Mit dem erklärten Ziel der Infektionseindämmung hat das Tokioter Organisationskomitee ein "Playbook" genanntes Regelbuch veröffentlicht. Und seit im Mai dessen zweite Version herausgekommen ist, steht fest: Für die Medienschaffenden vor Ort gibt es harte Bandagen.
Wie Petz Lahure erwähnt, darf sich eine akkreditierte Person während der ersten 14 Tage nur auf vorgefertigten Routen bewegen. Außerdem muss man im Voraus bekanntgeben, wie man diese Routen nutzen wird. Sogar, wen man in diesem Zeitraum trifft, soll angegeben werden.
Sportler beim Olympia-Testwettkampf im Wasserspringen in Tokio. 
Athleten bei Olympia in Tokio - Gefängnisartige Zustände
Die Athleten, die zu Olympia in Tokio reisen, werden gänzlich andere Zustände erleben, als bei Spielen zuvor. Einige Sportler blenden die Umstände aus, andere haben längst abgesagt.
Wer also investigativ zu Themen recherchieren will, die auch die Organisatoren betreffen, dürfte es diesmal besonders schwer haben. Denn das Organisationskomitee beansprucht, über jeden Schritt außerhalb des Hotelzimmers Bescheid zu wissen.

Regeln vor allem für kleinere Medien ein Problem

Deshalb hat auch Jirka Grahl beschlossen, nicht nach Tokio zu reisen. Grahl leitet für die Tageszeitung "Neues Deutschland" das Sportressort und sagt: "Wir haben die Entscheidung vor wenigen Tagen gefällt, dass wir die Olympischen Spiele dieses Mal nicht besetzen. Das hat damit zu tun, was im Playbook des Organisationskomitees steht. Klassischerweise fährt unser Reporter zu den Olympischen Spielen und berichtet natürlich auch von der Lage im Land, von sozialen Dingen, die sich rund um Olympia abspielen. Da gibt es ja Verdrängung, Gentrifizierung, Umwelteinflüsse..."
Zwar gilt die Blase mit ihren vorgefertigten Routen, die nur über die offiziellen Olympiastätten führen, nicht die ganze Zeit. Nach 14 Tagen ist die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel erlaubt; ein täglicher Aktivitätsplan muss dann auch nicht mehr hinterlegt werden. Ansprechbar gegenüber den Organisatoren muss man aber weiterhin sein.
Und überhaupt: Von der olympischen Eröffnungs- bis zur Abschlussfeier sind es nur 17 Tage. Wer es sich also nicht leisten kann, zwei Wochen im Voraus anzureisen, dem werden die Lockerungen nur für ein paar Tage am Schluss etwas nützen.
Darunter leiden vor allem kleinere Medien, so Jirka Grahl: "Wir sind eine kleine Zeitung und wir müssen mit unseren Budgets kluge Entscheidungen treffen. Wir haben Freie, die für uns von dort berichten werden, und wir versuchen damit eine gute Berichterstattung in unserer Zeitung zu gewährleisten."

15 Prozent der Akkreditierungen für deutsche Medien zurückgegeben

Zahlen zeigen, dass viele Medien so entschieden haben. Auf eine Anfrage beim Deutschen Olympischen Sportbund, der die Presseakkreditierungen für Deutschland abwickelt, heißt es: "Während bei zurückliegenden Spielen in der Regel alle Akkreditierungen genutzt wurden und zurückgegebene Akkreditierungen direkt von der Warteliste nachbesetzt werden konnten, wurden für die Olympischen Spiele in Tokio seit Bekanntwerden des ersten Playbooks 35 Akkreditierungen zurückgegeben."
Bei 230 Akkreditierungen für deutsche Medien sind das 15 Prozent. Dabei dürfte es je nach Zählweise noch deutlich mehr Rückzieher geben. So will der Luxemburger Petz Lahure zwar nicht nach Tokio reisen, an seiner Akkreditierung aber festhalten. Denn so behält er Zugang zum Intranet, einer Plattform, auf der unter anderem alle Pressekonferenzen übertragen werden. So könne er wenigstens das Grundsätzlichste seiner Arbeit von Zuhause leisten.
Zu spontanen Interviews, wie im Sportjournalismus üblich, wird es in Tokio aber kaum kommen können. Und damit wird die mediale Jubelstimmung, die während der Spiele auch von der Medienbranche oft ausgeht, diesmal wohl dünner ausfallen.