Donnerstag, 02. Mai 2024

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Paganinis 24 Capricen
Mit Intellekt oder mit Intuition?

Niccolò Paganinis Capricen für Violine solo sind berühmt, pfiffig und äußerst heikel. Augustin Hadelich widmet sich ihnen in seiner Neueinspielung mit größter Sorgfalt. Und er bekommt Konkurrenz von einer 18-Jährigen Geigerin.

Am Mikrofon: Norbert Hornig | 11.02.2018
    Der Geiger Augustin Hadelich mit Kopfhörern und geschlossenen Augen
    Stets auf der Suche nach Substanz in der Musik: Der Geiger Augustin Hadelich (Suxiao Yang)
    Yehudi Menuhin bezeichnete die 24 Capricen für Violine solo von Niccolò Paganini einmal als "das Neue Testament der Geiger". Jeder Virtuose muss diesen Parcours geigerischer Höchstschwierigkeiten beherrschen. Er ist die Feuerprobe, die ultimative Herausforderung. Viele große Geiger haben den Zyklus eingespielt, aber längst nicht alle. Mit Augustin Hadelich und der Koreanerin Sueye Park sind jetzt wieder zwei junge Interpreten ins Aufnahmestudio gegangen, um sich dieser heiklen Aufgabe zu stellen. Und sie sehen Paganini aus unterschiedlichen Perspektiven.
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 1 E-Dur, Augustin Hadelich
    Das war die erste der 24 Capricen von Niccolò Paganini, ein effektvolles Stück, das eine spezielle Strichart verlangt. Der Bogen springt über alle vier Saiten, jede einzelne Note muss dabei ganz klar und prägnant erklingen. Das gibt dieser Caprice einen frischen, prickelnden Charakter. Zwischen den Arpeggio-Passagen sind als zusätzliche Pikanterie kleine Terzgänge eingestreut, die schwer ganz sauber zu intonieren sind.
    Intelligente Tiefengrabung
    Augustin Hadelich, der 2006 sensationell den Internationalen Violinwettbewerb von Indianapolis gewann und damit den Durchbruch schaffte, beherrscht natürlich all diese geigerischen Finessen. Mit den 24 Capricen gibt er jetzt sein Debüt bei Warner Classics. Über allem steht bei ihm die Suche nach der musikalischen Substanz in Paganinis Musik, die oft durch die einseitige Betonung der brillanten, violintechnischen Elemente im Zirzensischen und Etüdenhaften unterzugehen droht. Bei Augustin Hadelich dominiert nie der technische Aspekt, das vordergründig Brillante, es tritt eher in den Hintergrund und verschwindet hinter der musikalischen Aussage. Hoch sensitiv tastet Hadelich Paganinis Musik nach Stimmungen, Farben und kleinsten musikalischen Ereignissen ab, er nimmt sich die Zeit dazu und lotet tiefer aus als viele andere. Manche Tempi wählt er vergleichsweise langsam. Ihm geht es mehr darum, Strukturen musikalisch zu gliedern und zu charakterisieren als dezidiert motorische Effekt herauszustellen. Die Caprice Nr. 6 etwa ist ein finster und geheimnisvoll wirkender dreistimmiger Choral, der oft als reine Tremolo-Studie aufgefasst wird. Augustin Hadelich lässt daraus einen betörenden Klangzauber entstehen:
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 6 g-Moll, Augustin Hadelich
    Wo Niccolò Paganini auch auftauchte, er gelangte in die Schlagzeilen. Seine vor ihm nie dagewesene Beherrschung des Instrumentes wirkte in jeder Hinsicht spektakulär, seine schrille Bühnenpräsenz faszinierte. "Diabolisch" wirkte das, was man sich daran nicht erklären konnte. Auch Paganinis rastloses Leben als exzentrischer Virtuose, seine Krankheiten, seine horrenden Gagen, seine Beziehungen zu Frauen und zu seinem einzigen Sohn Achille waren immer wieder Gesprächsthema und setzten die Legendenbildung in Gang. Ja sogar im Pakt mit dem Teufel soll der Mann aus Genua gestanden haben.
    Vierundzwanzig Kleinodien
    Paganini revolutionierte das Geigenspiel und brachte es auf ein neues technisches Niveau, die 24 Capricen sind gewissermaßen das Destillat seiner Kunst. Aber sie sind nicht nur Violintechnik in schwindelnden Höhen und Hochleistungssport der Finger auf vier Saiten. Paganinis Capricen wären nicht so präsent, wenn sie nicht auch musikalischen Tiefgang hätten. Aus ihnen sprechen Esprit und Witz, Ideenreichtum und loderndes Feuer. Und immer wieder opernhaftes Kantabile. Jede Caprice beleuchtet einen bestimmten geigerischen Aspekt, jede besitzt einen eigenen Charakter, man könnte sie auch Fantasien nennen. Dann kommt noch der Faktor Humor dazu, etwas Komödiantisches, in Anspielungen, Augenzwinkereien und diversen Nachahmungen, wie Paganini sie liebte. Etwa von Flöten in der Nr. 9 oder von Hörnern. Oder als eine Art Alphorn-Effekt am Anfang der Nr. 18 oder wie ein Dudelsack in Nr. 20. Das klingt bei Augustin Hadelich so:
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 20 D-Dur, Augustin Hadelich
    Sollen Paganinis Capricen auch dem Zuhörer Spaß bereiten, ist ein Interpret gefragt, der ganz über den Dingen steht, der mit einem sicheren Überschuss an Technik manuelle Hürden hinter sich lässt und die Sphäre völliger gestalterischer Freiheit erreicht.
    Funkelnd und frei: Sueye Parks CD-Debüt
    Sueye Park, 2000 in Südkorea geboren und zur Zeit noch Studentin von Ulf Wallin an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin, hat schon in ganz jungen Jahren als Paganini-Interpretin Furore gemacht. Mit 15 spielte sie alle 24 Capricen an einem Konzertabend! Mit ihrem CD-Debüt beim schwedischen Label BIS stellt sie sich jetzt als äußerst versierte Geigerin vor, die jede Note Paganini verinnerlicht hat und so auch nie in den Niederungen des Etüdenhaften stehen bleibt. Sie artikuliert sehr klar und entzieht ihrer Guarneri-Geige einen substanzvollen und farbenreichen Ton. Bei Paganini muss man zaubern können, mit Bogen und Fingern schwerelos über die Saiten fliegen und dabei blitzsauber intonieren. Instrumentale "Arbeiter" sind hier nicht gefragt. Das ist Sueye Park gewiss nicht, sie bietet einen kultivierten, musikalisch fundierten Paganini, der immer brillant und souverän klingt. Und insgesamt extroviertierter als die Sichtweise von Augustin Hadelich.
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 14 Es-Dur, Sueye Park
    Dass Franz Schubert bei Paganini "die Engel singen" hörte, ist überaus bemerkenswert und spricht für die Qualität dieser Musik, die viele Komponisten, darunter so manchen Nachahmer, wie magisch anzog. Auch Schumann war ein glühender Verehrer Paganinis, er sah in ihm den "Wendepunkt der Virtuosität". Auch Komponisten wie Chopin, Liszt, Brahms, Rachmaninoff, Blacher und Lutoslawski zeigten sich beeindruckt, bezogen sich auf seine Werke und setzten Paganini musikalische Denkmäler.
    Letzter Trumpf im Capricen-Parcours
    Fasziniert waren alle besonders von der 24. Caprice, in der Paganini noch einmal alle Raffinessen seiner Kunst zusammenfasst. Das Thema und die folgenden Variationen sind überaus abwechslungsreich, jede Variation stellt eine zugleich neue technische Hürde dar. So ist etwa die neunte durchgehend im "pizzicato" zu spielen,und zwar von den Fingern der linken und der rechten Hand. So schwierig das alles auch sein mag, Sueye Park meistert diese Caprice mit Bravour.
    Musik: Niccolò Paganini, Caprice Nr. 24 a-Moll, Sueye Park
    Niccolò Paganini: 24 Capricen op. 1
    Augustin Hadelich
    Warner Classics
    LC 02822
    EAN 190295728229

    Sueye Park
    BIS
    LC 03240
    EAN 7318599922829