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Parlamentswahl läuft
Briten wählen neues Unterhaus

Seit acht Uhr heute früh haben in Großbritannien die Wahllokale geöffnet. Premierministerin Theresa May erhofft sich von der vorgezogenen Parlamentswahl eine größere Mehrheit für ihre Konservativen im Unterhaus - und mehr Rückendeckung für die bevorstehenden Brexit-Verhandlungen.

08.06.2017
    Die britische Premierministerin May und ihr Mann Philip verlassen nach der Stimmabgabe das Wahllokal
    Die britische Premierministerin May und ihr Mann Philip verlassen nach der Stimmabgabe das Wahllokal (AFP / Ben Stansall)
    May selbst wählte bereits am Vormittag in ihrem Wahlkreis in Maidenhead westlich von London. Auch der Labour-Vorsitzende und Oppositionsführer Jeremy Corbyn gab im Londoner Wahlkreis Islington North seine Stimme ab. "Es ist ein Tag für unsere Demokratie", sagte er danach Reportern vor dem Wahllokal. "Ich bin sehr stolz auf unseren Wahlkampf."
    Labour-Chef Jeremy Corbyn steht vor seinem Wahllokal und winkt.
    Labour-Chef Jeremy Corbyn vor seinem Wahllokal. (AFP / Daniel Leal-Olivas)
    Als May im April die Neuwahlen überraschend ansetzte, war der Vorsprung ihrer Tories in den Umfragen groß. Doch in den letzten Wochen schmolz der Abstand zur Labour-Partei mit ihrem Chef Jeremy Corbyn immer mehr zusammen. Der Altlinke spricht vor allem junge Wähler an und setzt auf soziale Themen wie Gesundheit und Bildung.
    Am Wahltag warben die Kandidaten noch einmal via Twitter eindringlich dafür, sie zu wählen.
    Die Wahl wird von den drei Anschlägen in London und Manchester überschattet, bei denen in den vergangenen drei Monaten 34 Menschen getötet wurden. Der Wahlkampf war wegen der Attentate vorübergehend ausgesetzt worden.
    Diskussion über Grundrechte
    Der letzte Tag der Kampagne stand denn auch ganz im Zeichen einer scharfen Debatte über die Grenzen im Kampf gegen den Terrorismus. Ausgelöst hatte sie Premierministerin May mit ihrer Forderung, notfalls auch Grundrechte zu beschränken, um potenziellen Attentätern Einhalt zu gebieten. "Wenn uns unsere Menschenrechtsgesetze davon abhalten, das zu tun, werden wir die Gesetze ändern, so dass wir es tun können", sagte May.
    Schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bei der Stimmabgabe.
    Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bei der Stimmabgabe - die Schotten hatten vor einem Jahr mehrheitlich gegen den Brexit votiert. (AFP / Andy Buchanan)
    Corbyn wies dies zurück. "Wir werden die Gesetze immer wieder einer Prüfung unterziehen, aber wir glauben nicht, dass sich angehende Terroristen und Selbstmordattentäter von längeren Strafen oder einer Beschränkung unserer Rechte abhalten lassen." Auch andere Oppositionspolitiker sowie Menschenrechtler warfen der Premierministerin vor, übers Ziel hinauszuschießen.
    Ukip droht Kollaps
    Die anderen Parteien spielen bei der Wahl nur eine untergeordnete Rolle. Der rechtspopulistischen und europafeindlichen Ukip-Partei, die völlig zerstritten ist, droht sogar der Kollaps. Im Parlament war sie zuletzt gar nicht mehr vertreten. Im März war der bis dahin einzige Ukip-Abgeordnete aus der Partei ausgetreten.
    Das Unterhaus hat so viele Sitze wie Großbritannien Wahlkreise: 650. Vor seiner Auflösung am 3. Mai schickten die Konservativen die meisten gewählten Volksvertreter ins Parlament: 330 Sitze - die absolute Mehrheit - standen den Tories zu. Labour holte bei der letzten Wahl im Jahr 2015 insgesamt 232 Sitze. Die Schottische Nationalpartei (SNP) war mit 56 Sitzen die drittstärkste Kraft.
    Letzte Umfragen sehen Tories vorn
    Die letzten Umfragen vor der Wahl deuten wieder überwiegend auf einen Ausbau der Mehrheit für die Tories hin. Von den sechs gestern noch veröffentlichten Erhebungen sagten die meisten voraus, dass die Konservativen auf deutlich mehr als die derzeitige Mehrheit von 17 Sitzen im Parlament setzen können.
    Käme es so, hätte May ihr Ziel erreicht: sie wollte sich durch die im April überraschend ausgerufenen Neuwahlen für die Brexit-Verhandlungen mit der EU den Rücken stärken lassen und Kritikern aus den eigenen Reihen den Wind aus den Segeln nehmen.
    Unberechenbare Wahl?
    Auch der britische Politikwissenschaftler Anthony Glees erwartet, dass May gewinnt. Im Deutschlandfunk sagte er, Oppositionsführer Corbyn habe zwar glänzend gekämpft. Aber für den Labour-Vorsitzenden sei es schwer gewesen, in der Sicherheitsfrage Fortschritte zu erzielen. Nach den Terorranschlägen von Manchester und London sei klar, dass diese vorgezogene Parlamentswahl eine Abstimmung über die nationale Sicherheit sei - und nicht wie eigentlich gedacht über den Brexit.
    Anders sieht das die ehemalige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart. Sie sagte im Deutschlandfunk, die jüngsten Terror-Anschläge in Großbritannien würden die Parlamentswahlen nicht belasten. Die Wähler seien durchaus in der Lage, zwischen Terrorismus und politischen Entscheidungen zu trennen. Gleichzeitig sei die Neuwahl die unberechenbarste, an der sie je teilgenommen habe. Denn es sei kaum abzusehen, wie viele Menschen sich am Ende tatsächlich an der Abstimmung beteiligten.