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Perspektivlos in die Zukunft

Griechenland hat sich ein drastisches Sparprogramm auferlegt: Steuererhöhungen sowie Kürzungen bei den Renten, Löhnen und Privilegien der Staatsbediensteten gehören dazu. Allmählich werden diese Einschnitte spürbar. Auch für eine Studentin aus Thessaloniki.

Von Panagiotis Kouparanis | 07.06.2010
    Wieder einmal Generalstreik in Griechenland. In Thessaloniki auf dem Aristoteles Platz sammeln sich die Anhänger der kommunistischen Gewerkschaftsorganisation. Ihre Losung: "Allgemeiner Aufstand".

    Etwas gedämpfter geht es dreihundert Meter weiter zu, auf der Kundgebung aller anderen Gewerkschaften. "Das Volk von Thessaloniki befindet sich im Ausstand". So wiederholen es Funktionäre in endlosen Reden wieder und wieder. Nach fast drei Stunden setzt sich der Demonstrationszug in Bewegung.

    "Aufruhr überall", skandieren die Demonstranten, "gegen die Regierung, die Europäische Union und den Internationalen Währungsfonds." Nur, die Forderung will nicht recht zu dem Bild passen, das sich dem Beobachter bietet: Es ist Generalstreik, und fast alle Läden sind offen.

    Das gleiche Bild in der Universität. Kaum ein Seminar fällt an diesem Tag aus. Ein Aushang informiert über den Sieg der konservativen Studentenorganisation bei den Wahlen zum Studentenparlament, gefolgt von der sozialdemokratischen Konkurrenz. Immer dieselbe Reihenfolge – schon seit 25 Jahren. Normalbetrieb auch im Gebäude der Fakultät für Architektur.

    Im 8. Stock wartet schon Hariklia Pantelidou. Im Büro ihrer Doktormutter hat sie einen Schreibtisch bekommen. Von hier aus hat sie einen freien Blick über das nördliche Thessaloniki. Vom Generalstreik heute hat sie gehört, sagt sie mit einem Achselzucken. Und dann bestimmt: Jeder hat doch gewusst, was in diesem Land los ist. Der Unterschied ist: Jetzt kann keiner mehr so tun, als hätte er nichts mitbekommen.

    Hariklia vermitteltet den Eindruck, als könne man ihr nichts vormachen. Wie auch. Sie ist studierte Juristin, spezialisiert auf Strafrecht. Sie sollte in die Fußstapfen ihres Vaters treten, seine Kanzlei übernehmen. Eine Zeit lang hat sie als zugelassene Rechtsanwältin gearbeitet, aber damit wurde sie nicht glücklich. Mit 27 Jahren beschloss sie, Architektur zu studieren. Damit ging alles wieder von vorne los: Wieder ein Jahr Vorbereitung für die Hochschuleingangsprüfung, wieder ein Jahr zahlen für die "Frontistirio", die private Vorbereitungsschule.

    "In diesem Prozess ist die Schule von zweitrangiger Bedeutung. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man allerspätestens mit der Abiturklasse, in die Vorbereitungsschule geht. In den Fixkosten der Familie ist fest eingeplant, dass das Kind in die Vorbereitungsschule gehen wird, damit es studieren kann."

    Das bedeutet zusätzlich vier Stunden Unterricht jeden Abend und Kosten von 600 Euro im Monat. Dafür nehmen Familien Kredite auf, verkaufen Immobilien, pumpen sich Geld bei Verwandten. Das war in ihrem Fall nicht nötig, ihr Vater verdiente genug. Allerdings hat sie die Vorbereitungsschule für ihr Architekturstudium mitfinanziert, da sie ja schon als Rechtsanwältin gearbeitet hatte. Wenn sie das sagt, blitzt so etwas wie Genugtuung in ihrem Gesicht auf. Sie überlegt und setzt wieder an. Hat man dann endlich sein Diplom in der Tasche und ist überschwänglich und glücklich, holt einen die Wirklichkeit schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Es war schon ernüchternd, sagt Hariklia Pantelidou, als sie nach fünfjährigem Studium in einem Architekturbüro zu arbeiten begann.

    "Man beginnt mit 500 Euro für einige Monate oder bis zu einem Jahr. Der Lohn steigt dann mit der Zeit auf 700, auf 800, auf 1000 Euro Brutto. Für eine sehr lange Zeit, vielleicht zehn Jahre, bleibt der Lohn auf dieser Höhe stehen. Man muss wissen, dass junge Architekten nicht als Architekten, sondern als Technische Zeichner beschäftigt werden. Viele sind mit der Zeit frustriert, dass sie nicht kreativ tätig sein können. Die Folge davon ist, dass sie sich in den Staatsdienst flüchten – wenn sie es denn schaffen."

    Das wird in Zukunft kaum mehr möglich sein. Auf Jahre hinaus wird es fast keine Neueinstellungen geben. Und daran könnte auch der Traum von Hariklia Pantelidou scheitern. Sie möchte nach der Dissertation Karriere an der Hochschule machen.

    "Ich weiß nicht, ob es klappt, aber ich schließe es jedenfalls nicht aus. Die Hoffnung stirbt zuletzt."

    So schwierig ist die Situation auf dem griechischen Arbeitsmarkt, dass viele Akademiker das Land verlassen – weit mehr als eine halbe Million in den letzten zehn Jahren. Ein Freund von Hariklia Pantelidou wandert in diesen Tagen mit Frau und Kind nach Schweden aus, um dort als Architekt zu arbeiten. Sie fragt sich oft in letzter Zeit, ob das auch für sie Ausweg sein könnte, obwohl sie den Gedanken kaum aussprechen mag.

    "Ja, natürlich, das könnte er sein. Wenn es keine andere Alternative gäbe, würde ich Auswanderung als letzen Ausweg in Betracht ziehen. Die Not lässt alle Möglichkeiten zu."

    Beim Verlassen des Architekturgebäudes fällt ein überdimensionales Ausstellungsplakat über dem Eingangsportal ins Auge. "Griechenland und Technologie", so der Titel. Eine Ausstellung aus dem Jahr 2008. Man hat wohl vergessen, es abzuhängen.