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Petersburger Dialog
Streitfall Palmyra

Kaum ist Palmyra zurückerobert, gibt es Irritationen um den Wiederaufbau der syrischen Welterbestadt. Russland beansprucht die Federführung, Deutschland will maßgeblich mitarbeiten, die UNESCO findet sich mittendrin. Genug Diskussionsstoff beim "Petersburger Dialog" für die deutsch-russischen Kulturbeziehungen.

Von Christiane Habermalz | 20.07.2016
    Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz
    Hermann Parzinger, der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (dpa / picture alliance / Soeren Stache)
    Hört man jedoch dem Archäologen und Museumsmann Hermann Parzinger zu, dann steht es um die kulturellen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland bestens. Und in der Tat: In den letzten Jahren hat sich auf der Fachebene der Museen eine vertrauensvolle Zusammenarbeit entwickelt, die noch vor zehn Jahren undenkbar gewesen wäre. Unter den Archäologen und Kuratoren von Berlin, Moskau und St. Petersburg herrscht ein Pragmatismus vor, der beeindruckt – und der mit verbissener Beharrlichkeit fortgesetzt wird, komme was da wolle, und sei es die Annexion der Krim oder russische Bomben auf Aleppo. Kein Wunder, dass Parzinger, der mit seinem Kollegen Michail Piotrowski, dem Direktor der Eremitage in St. Petersburg, gemeinsam die AG Kultur beim Petersburger Dialog leitete, von Konflikten nichts wissen will.
    "Im Bereich der Kultur ist es naturgemäß immer anders, weil wir wenig konfliktive Themen haben. Man kann natürlich sagen das Thema Beutekunst ist ein Streitpunkt, aber uns allen ist klar, dass das Thema Beutekunst nur auf politischer Ebene gelöst werden kann, eines Tages vielleicht, aber wir haben natürlich zunächst mal den Auftrag und die Verpflichtung, dass wir gemeinsam unsere russischen und deutschen Kollegen an diesen Dingen arbeiten."
    Unklarheiten über die Rückgabe der Beutekunst
    Konflikte gibt es durchaus. Im Streit um die Rückgabe der Beutekunst aus deutschen Museen ist der Karren festgefahren. Russland hat die Kulturgüter aus deutschen Museen als Kompensation für die deutschen Zerstörungen im 2. Weltkrieg zu russischem Eigentum erklärt. Deutschland sieht darin einen Verstoß gegen das Völkerrecht. Doch auf Museumsebene gibt es längst enge und fruchtbare Kooperationen, die man nicht gefährden will. Und auch beim Wiederaufbau von Palmyra gibt es zwar laut Parzinger große Übereinstimmung unter den deutschen und russischen Fachleuten – doch aus der Politik kommen besorgniserregende Signale. Russland sieht sich als Befreier der antiken Stätte vor den Terroristen des IS – und beansprucht offenbar auch die Federführung bei der Restaurierung und den Wiederaufbau. In großer Eile kündigte der russische Kulturminister die Entsendung einer russischen Fachdelegation an, die ein Konzept zum Wiederaufbau des Kulturerbe erarbeiten werde. Parzinger warnt vor nationalen Alleingängen - und vor übereilten Aktionen.
    "Das bedarf wirklich einer großen internationalen Zusammenarbeit, wenn es so weit ist. Und da war von russischer Seite ganz klar, dass man bereit ist, hier mitzuhelfen, und dass natürlich, und das sehen wir ganz ähnlich, die Federführung bei der UNESCO liegen muss. Die UNESCO mit denjenigen, die dann nach Ende des Bürgerkrieges in Syrien selber die Entscheidungen treffen, mit denen muss das besprochen werden."
    Bedeutung von Palmyra
    Die Entscheidungsträger in Syrien ist aber, dank russischer Hilfe, weiterhin Präsident Assad. Russlands Politik weiß derweil Palmyra für sich zu nutzen. Im Mai war Dirigent Valery Gergiev, derzeit Chef der Münchener Philharmoniker, mit dem Mariinsky Orchestra aus St. Petersburg nach Palmyra geflogen, um dort in den Ruinen des Amphitheaters ein Konzert zu geben. Die Botschaft: Die Kulturnation Russland befreit die Welt vor der Barbarei. Palmyra sei schon immer von großer symbolischer Bedeutung für die Russen gewesen, sagt die ukrainisch-russische Schriftstellerin Katja Petrowskaja. Der berühmte Triumphbogen von Palmyra war über Jahrzehnte auf dem einzigen russischen Schulbuch zur antiken Geschichte abgebildet.
    "Und das bedeutet dass wirklich Millionen von Schülern von Lemberg bis Wladiwostok die in russische Schulen gingen, hatten immer dieses Buch vor Augen. Als IS-Truppen diesen Bogen zerstört hatten, russisches Internet war voll mit Gesprächen über unsere russische Kindheit. Viele Menschen hatten sich wirklich persönlich angegriffen gefühlt."
    Nicht umsonst habe der kommunistische Parteichef bei einem Besuch in Damaskus Präsident Assad just ein Exemplar dieses Lehrbuchs geschenkt. Und auch sonst sei Palmyra, sei Syrien für die Russen ein Sehnsuchtsort. St. Petersburg wurde in der russischen Poesie oft auch als das "Nördliche Palmyra" besungen. Palmyra, sagt Petrowskaja, sei ein hervorragendes Beispiel dafür, wie es Russland gelinge, ein kulturelles Wir-Gefühl in einen imperialen Anspruch verwandeln. Die Beziehungen zwischen Parzinger und Piotrowski bleiben davon unberührt nach dem Motto: Je frostiger die diplomatischen Beziehungen, desto wichtiger die Beziehungen zwischen den Museen.