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Pharmakonzerne fürchten teure Regularien

Seit Jahren beschert die Antibabypille Pharmaherstellern satte Umsätze. Nun befasst sich die Europäische Arzneimittelagentur mit Risiken und Nebenwirkungen des Verhütungsmittels. Am Ende könnten neue Regeln stehen – für Hersteller wie Bayer ein gewaltiges wirtschaftliches Risiko.

Von Mirjam Stöckel | 10.07.2013
    Viel steht auf dem Spiel für die Pharma-Konzerne: Die neueren Anti-Baby-Pillen der dritten und vierten Generation, die zunehmend in der Kritik stehen, gehen millionenfach über deutsche Apothekentresen. 60, 70 Euro kostet eine Sechsmonatspackung schnell mal. Ein Milliardengeschäft weltweit.

    Doch diese Umsätze sind bedroht. Denn neuere Studien zeigen: Manche dieser Pillen – die mit den Wirkstoffen Desogestrel und Gestoden – verdoppeln das Blutgerinnsel-Risiko im Vergleich zu älteren Präparaten. Das heißt: Von 10.000 Frauen, die solche Pillen ein Jahr lang einnehmen, bekommen drei bis vier ein Blutgerinnsel – statt nur zwei. Bei Millionen Anwenderinnen europaweit also keine Einzelfälle. Auch bei Pillen mit Drospirenon geht die Europäische Arzneimittelagentur EMA davon aus, dass die Thrombosegefahr steigt.

    Gerade prüft die EMA, wie Mediziner künftig mit den risikoreichen Pillen aus der dritten und vierten Generation umgehen sollen. EMA-Sprecherin Monika Benstetter:

    "Das Ziel dieses Verfahrens ist zunächst mal, die bestehende Datenlage nochmal ganz genau zu bewerten und dann auf der Basis dieser Überprüfung nochmal zu einem Schluss zu kommen, ob die derzeit bestehenden Hinweise für Ärzte und für Patienten noch aktuell sind, ob diese upgedatet werden müssen, geändert werden müssen, ob wir neue Verordnungsempfehlungen für Ärzte und Patienten brauchen."

    Angestoßen hat das Prüfverfahren Frankreich – mit dem erklärten Ziel, dass die besonders risikoreichen Pillen in ganz Europa nur noch zweite Wahl sein sollen. Stattdessen sollen Ärzte ältere Pillen mit weniger Risiko für Blutgerinnsel verschreiben. Eine entsprechende Empfehlung gilt in Frankreich bereits ein gutes halbes Jahr.

    Vor allem Bayer gerät in der Diskussion zunehmend unter Druck: In der Schweiz und in Deutschland laufen erste Gerichtsverfahren wegen mutmaßlicher Nebenwirkungen von Bayer-Pillen der vierten Generation. In beiden Fällen haben junge Frauen eine lebensgefährliche Lungenembolie erlitten. In der Schweiz verlangt eine der größten Krankenkassen Hunderttausende Euro an Behandlungskosten für die Patientin zurück. Bei dem Verfahren in Deutschland geht es um rund 200.000 Euro Schadenersatz und Schmerzensgeld. Und nicht nur darum, sagt die Klägerin Felicitas Rohrer.

    "Es ist wirklich so, dass ich auch hoffe, dass durch meinen Prozess, der so eine Art Beispielprozess ist, dass andere Opfer nachkommen werden und sagen werden: Ich versuche das auch, ich bin auch so mutig und versuche, mein Recht auch wirklich zu bekommen. Es geht darum, dass so ein großer Konzern nicht einfach machen kann, was er will und dass auch ich das als Normalbürger versuche zumindest, den Pharmakonzern zur Verantwortung zu ziehen."

    Bayer lehnt ein Interview zu den Risiken der Anti-Baby-Pillen ab. In einer schriftlichen Stellungnahme heißt es – Zitat:

    "Die von Bayer hergestellten niedrig dosierten kombinierten oralen Kontrazeptiva haben bei vorschriftsmäßiger Anwendung ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil."

    Und weiter:

    "Bayer sind keine neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse bekannt, die zu einer veränderten Nutzen-Risiken-Bewertung der derzeit diskutierten kombinierten oralen Kontrazeptiva führen könnten."

    Ob die EU dennoch empfiehlt, bestimmte neuere Anti-Baby-Pillen nur noch als zweite Wahl zu verordnen – das entscheidet die Europäische Kommission wohl im Herbst endgültig. Falls ja, könnte das schwere Einbußen für die Hersteller bedeuten. Nach der offiziellen Verordnungs-Einschränkung in Frankreich jedenfalls ist der Absatz der neueren Pillen dort um fast die Hälfte geschrumpft.