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Politik statt Parolen

FDP-Chef Guido Westerwelle polarisiert, auch in der eigenen Partei: Mit seinen Angriffen auf angeblich faule Hartz-IV-Empfänger findet er sowohl Zustimmung als auch heftige Ablehnung bis hin zu Parteiaustritten.

Von Claudia van Laak |
    Die Traberterrassen im Berliner Stadtteil Alt-Mariendorf. Eine spärlich beleuchtete Kneipe, mit silbernen Pokalen geschmückt. Die Besucher essen gern deftig - Leberkäse mit Spiegelei und Bratkartoffeln - und mögen deutsche Schlager.

    In der Zillestube - dunkles Holz, gelb-rot-grün karierte Tischdecken - trifft sich die FDP. 19 Männer zwischen Mitte 20 und Mitte 60. Wenige Schlipse, viele Pullover. Der Bezirksvorsitzende stellt gelbblaue Wimpel auf die Tische, begrüßt den Bundestagsabgeordneten Martin Lindner. Der Rechtsanwalt und Katholik ist neu im Bundestag, zuvor war er FDP-Landes- und Fraktionsvorsitzender in Berlin. Lindner bestellt ein alkoholfreies Bier - schließlich ist Fastenzeit - und legt los.

    "Da ist eine Diffamierungskampagne, die da losgegangen ist, die bis heute läuft. Die also immer wieder versucht, Verquickungen, finanzielle Strömungen, als Motiv für Politik der FDP hinzustellen."

    Der 45-jährige Wirtschaftspolitiker steckt seine linke Hand lässig in die Hosentasche des grauen Nadelstreifenanzugs. Die im Hemd eingestickten Initialen ML blitzen auf. Martin Lindner trägt silberne Manschettenknöpfe und eine Frisur wie der Verteidigungsminister von der CSU. Natürlich gibt es kranke und bedürftige HartzIV-Empfänger, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete.

    "Aber auf der anderen Seite auch eine ganze Reihe von jungen Menschen, die durchaus in der Lage sind zu arbeiten, die aber schlicht und einfach zu faul sind. Und auch das muss ausgesprochen werden."

    Der FDP-Ortsverein Alt-Mariendorf nickt. Hier, bei den Liberalen im Südwesten Berlins, sitzen die kleinen Leute. Verwaltungsangestellte, Versicherungsvertreter, Handwerker, Lehrer, Rentner, die ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet und in die Sozialkassen eingezahlt haben. Mehr Sachleistungen, weniger Bargeld für Hartz-IV-Empfänger - diese Forderung von Martin Lindner finden sie gut.

    "Und natürlich auch mit Gutscheinen arbeiten und sagen: Für Sportunterricht, für Nachhilfe, für Angebote im Musikbereich, da kriegst du Gutscheine, die kannst du, ohne das es auffällt, bei der Musikschule abgeben. Das ist gelebte Sozialpolitik, die kommt an bei den Kindern und Jugendlichen und das Geld landet dann nicht in den vielen Spielhallen, die hier wie Pilze aus dem Boden sprießen."

    Martin Lindner verteidigt noch die Mehrwertsteuersenkung für die Hotelbranche, schlägt gemeinsame Kanufahrten und Wanderungen vor, damit sich die schwarz-gelbe Regierungskoalition zusammenrauft, zieht sein Jackett aus, nimmt einen Schluck alkoholfreies Bier und wartet auf die Fragen der Basis. Welche Rolle die CSU im Bundestag und in der Regierung spielt, möchte jemand wissen, warum die Solarförderung nicht stärker gekürzt wurde, ein anderer. Kritik am Stil der Parteiführung? Fehlanzeige. Stattdessen eine Wagenburgmentalität. Die anderen sind schuld.

    "Die FDP steht eigentlich relativ gut da. Sie steht in der öffentlichen Wahrnehmung vielleicht durch die Presse - besonders ARD und n-tv nenne ich mal, sind gute Beispiele - da steht sie nicht so gut da. Aber ich denke mal, das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen wird eine Überraschung sein, das wird sehr viel besser für uns, als so mancher glaubt."

    "Frau Kraft ist inzwischen auch schon dahintergekommen, dass da einiges nicht stimmt. Und viele andere auch. Und sozial ist natürlich das für den, der das bezahlt, für den muss das auch sozial sein, und nicht nur für den, der nimmt. Wir kümmern uns eben um die, die das Geld ins Rathaus reintragen."

    "Wenn große Parteien ihre Klientelpolitik auf eine ganz andere Art und Weise etabliert umsetzen, und jetzt kommt halt eine neue Partei, die lange raus war, die muss erst einmal bekriegt werden so nach dem Motto, das was ihr macht, ist Klientelpolitik."

    Dass den Liberalen jetzt der Wind ins Gesicht weht, dass die schwarz-gelbe Regierung holprig gestartet ist, dass der FDP-Bundesvorsitzende und Außenminister von der Kanzlerin gerüffelt wird und die Umfragewerte sinken - all das scheint die liberale Basis im Berliner Stadtteil Alt-Mariendorf nicht anzufechten. Provokation muss sein, sonst fällt man nicht auf, sagt Detlef Peter.

    "Ich denke, es muss so sein, dass man einfach in den Medien ist, egal ob mit positiver oder negativer Konnotation. Das befeuert die Diskussion und bringt hoffentlich gute Ergebnisse hervor."

    Sein Parteikollege Hans Wiese sieht das genauso - es war genau richtig, dass unsere Parteispitze eine Sozialstaatsdebatte in dieser Form losgetreten hat, sagt der Angestellte.

    "Ja, es geht auf jeden Fall in die richtige Richtung. Aber es könnte eigentlich noch weiter gehen. Im Grunde sollte man sich doch fragen, warum man Nichtstun finanziert."

    Rainer Bleckmann wiegt den Kopf ein wenig skeptisch hin und her. Er gehört zu den wenigen, die an diesem Abend Kritik üben am Stil der FDP-Spitze. Seit 30 Jahren bin ich Mitglied der Liberalen, sagt der Betriebswirt, aber im Moment macht mir die Politik keinen Spaß, weil ich ständig angenörgelt werde:

    "Es macht denn keine Freude mehr. Und wenn Sie immer damit beschäftigt sind, abzuwehren, dann ist das nicht so schön und macht das nicht so viel Freude, als wenn das von der Partei oder von der Regierung so sein würde, dass man die Sachen viel offensiver und freundlicher vertreten könnte."

    Bleckmann wünscht sich, dass Guido Westerwelle und die anderen aus der Partei- und Fraktionsspitze ihre Politik besser verkaufen, dass sie mehr auf das Erscheinungsbild der FDP achten und mehr liberale Forderungen beim Koalitionspartner CDU durchsetzen.

    "Die CDU treiben und sich davor schützen, dass sie - wie vorher die SPD - von der CDU ausgesaugt werden."

    Wir werden nicht ausgesaugt von der CDU - entgegnet Martin Lindner. Er schwört die FDP-Basis auf weitere harte Zeiten ein. Regieren ist die Kunst des Machbaren, sagt der Jurist, die Zeiten der lupenreinen FDP-Politik in der Opposition sind vorbei.

    "Wir werden natürlich auch Unangenehmes verkaufen müssen. Und daran wird sich die Partei, und da werden sich nicht nur die Parteioberen und Minister und die Bundestagsabgeordneten dran gewöhnen müssen, da werden sich alle dran gewöhnen müssen. Und das sag ich so, wie ich es meine. Daran werden Sie sich gewöhnen müssen."

    Nicht daran gewöhnen will sich Rainer-Michael Lehmann. Das Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses hat einen Tag nach der Veranstaltung überraschend seinen Austritt aus der FDP verkündet. Den Liberalen wirft er soziale Kälte vor. Lehmann will nun Mitglied der SPD werden.