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Private Kassen in der Kritik

Privatpatienten bringen den Ärzten oft doppelt so viel Geld wie gesetzlich Versicherte. Doch höhere Honorare bedeuten nicht immer bessere Versorgung. Nicht nur deshalb kritisieren Politiker, gesetzliche Kassen und Ärzte zunehmend die Privaten und fordern zum Teil sogar ihre Abschaffung.

Von Nikolaus Nützel | 23.05.2012
    Wenn der Allgemeinarzt Dr. Hannes Blankenfeld Besucher durch seine Praxis im Münchner Norden führt, ist wenig Spektakuläres zu sehen. In einem Raum legt Blankenfeld allerdings auf eine Feststellung großen Wert:

    "Das ist das Wartezimmer. Es gibt keine unterschiedlichen Stühle für privat und gesetzlich, es ist ein Wartezimmer."

    Dass es nur ein Wartezimmer gibt, hat nicht nur etwas mit dem begrenzten Platz in der Praxis zu tun, sagt Blankenfeld. Als rational denkender Mensch könne er keinen Grund sehen, warum er einen Unterschied machen soll zwischen Patienten – je nach der Art ihrer Krankenversicherung.

    "Also für mich gibt es keine unterschiedliche Medizin. Medizin ist Medizin, und wie jemand versichert ist, hat ja damit erst mal gar nichts damit zu tun."

    Der Allgemeinarzt weiß jedoch, dass es natürlich Unterschiede gibt zwischen gesetzlich und privat Versicherten. Auch auf Blankenfelds Computerbildschirm ist dieser Unterschied zu sehen. Die Namen bestimmter Patienten sind gut sichtbar mit roter Farbe markiert. Für den Arzt das Signal:

    "Privat versichert."

    Und privat versichert heißt oftmals: Die Behandlung dieses Patienten bringt mehr Geld. Deutlich mehr Geld. Nach einer Studie im Auftrag der gewerkschaftsnahen Böckler-Stiftung sind Privathonorare oft mehr als doppelt so hoch wie Kassenhonorare. Hannes Blankenfeld stellt allerdings fest, dass die besseren Honorare für die Behandlung von Privatpatienten nicht immer etwas mit besserer medizinischer Versorgung zu tun hätten. Vor allem viele Vorsorgeuntersuchungen hält er für überflüssig - insbesondere bestimmte Untersuchungen, die Privatpatienten besonders reichlich in Anspruch nehmen, weil ihre Versicherer sie großzügiger bezahlen als gesetzliche Kassen es tun. Trotzdem bietet auch Blankenfeld diese Untersuchungen an. Aus wirtschaftlichen Gründen.

    "Wenn ein Privatpatient zu mir kommt und zu mir sagt, er möchte seinen jährlichen Check-up haben und ein EKG und eine Ergometrie und ein Labor und eine Lungenuntersuchung und Ultraschall, dann weiß ich von vorneherein, dass ich relativ viel Geld verdienen werde. Ich weiß auch von vorneherein, das ist relativ nutzlos, da wird wahrscheinlich nichts rauskommen bei den Untersuchungen. Das Einzige ist, der Patient ist hinterher glücklich – in Anführungszeichen, weil man nichts gefunden hat. Und ich bin relativ glücklich, weil ich damit ganz gutes Geld verdient habe."

    Allerdings – so räumt der Allgemeinarzt ein - ist er eben nur relativ glücklich. Denn es widerstrebt ihm, dass er mit gesetzlich versicherten Patienten anders umgehen soll als mit privat Versicherten.

    "Ich bin in einem berufsethischen Dilemma, ja."

    Wenn Hannes Blankenfeld sagt, dass er keinen Unterschied machen möchte zwischen gesetzlich Versicherten und privat Versicherten, vertritt er in seiner Berufsgruppe eine Minderheitenmeinung. Von vielen Ärzten und ihren Berufsverbänden kommt eine ganz andere Botschaft: Die Private Krankenversicherung - kurz PKV - dürfe auf keinen Fall angetastet werden. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank-Ulrich Montgomery, hat für das berufsethische Dilemma, in dem sich der Hausarzt Hannes Blankenfeld sieht, einen eher kühlen Kommentar.

    "Wenn ihn die Privatpatienten stören, dann muss er sie nicht anders behandeln als die Kassenpatienten. Das ist seine persönliche Entscheidung. Und deswegen sage ich mal, wir haben das alle in der Hand, wir müssen auch die Steuerungsentscheidung manchmal ergreifen und nicht immer nur darauf warten, dass andere uns die Entscheidung abnehmen."

    Der Ärztepräsident hält die PKV aber nicht nur für wichtig, weil sie in der Regel höhere Honorare zahlt als die gesetzlichen Kassen. Montgomery glaubt auch, dass ein Ende der Privatversicherung schlecht wäre für die gesetzlich Versicherten.

    "Ich bin fest davon überzeugt, dass die vielen Leistungen, die man heute in der gesetzlichen Krankenversicherung bekommt, man nur deswegen bekommt, weil die private Krankenversicherung sie schneller und automatisch ihren Versicherten zubilligt, und die gesetzliche muss dann nachziehen. Gäbe es nur einen Block der gesetzlichen Krankenversicherung, dann würde Leistungsdichte für die Patienten erheblich sinken, und es würde zu einer Verschlechterung der Patientenversorgung kommen."

    Private Krankenversicherungen setzen die gesetzlichen also unter Druck, meint Montgomery. Der Ärztepräsident weiß aber natürlich, dass das nicht der Grund ist, warum es in Deutschland eine Zweiteilung der Krankenversicherung gibt – eine Trennung, die weltweit übrigens einzigartig ist. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, sieht dafür nur eine Erklärung:

    "Es gibt nur einen historisch gewachsenen Grund."

    Vor rund 130 Jahren führte Reichskanzler Otto von Bismarck die gesetzliche Krankenversicherung ein, um Arbeiter davor zu schützen, dass sie wegen Krankheit in Armut rutschen. Bismarck wollte auf diese Weise auch sozialistischen Strömungen den Wind aus den Segeln nehmen. In der Bismarckschen Sozialversicherung galt von Anfang an das Solidarprinzip. Die Höhe der Beiträge richtete sich nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Versicherten, also nach ihrem Einkommen. Neben gesetzlichen Kassen wie AOK, Barmer, Techniker Krankenkasse oder den BKKs blieb noch Raum, den private Anbieter vor allem ab den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gefüllt haben.

    Private Versicherer wie die Debeka, DKV oder Allianz kalkulieren ihre Prämien bis heute nicht danach, wie viel ein Kunde verdient, sondern nur danach, wie hoch sein Risiko ist, krank zu werden. Dieses Geschäftsmodell wird allerdings immer öfter infrage gestellt. Auch der Deutsche Ärztetag in Nürnberg hat das Thema Private Krankenversicherung als besonders wichtigen Punkt auf die Tagesordnung genommen. Ärztepräsident Montgomery sieht gute Gründe dafür.

    "Wir möchten vor allem uns eigentlich dieses Mal mit der Situation der Privaten Krankenversicherung gegenübergestellt der Gesetzlichen Krankenversicherung beschäftigen. Weil wir glauben, dass die Private Krankenversicherung im Moment größere Probleme hat."

    Nach Ansicht vieler Wirtschaftswissenschaftler hat die Private Krankenversicherung vor allem zwei Probleme. Sie sei nicht ausreichend auf die immer höhere Lebenserwartung ihrer Kunden vorbereitet, heißt es in einer Studie, die das Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegeben hat. Denn das Geschäftsmodell der privaten Versicherer baut darauf auf, dass laufend möglichst viele junge, gesunde Neukunden zu ihnen kommen. Doch die Privaten können die Zahl ihrer Kunden nicht unbegrenzt steigern. Die Verjüngungskur, auf der ihre Kalkulation aufbaut, lässt sich also nicht ewig fortsetzen. Deswegen seien "sprunghafte Beitragserhöhungen" nicht auszuschließen, heißt es wörtlich in der Untersuchung.

    Zweitens haben die Privaten Probleme, ihre Ausgaben im Griff zu behalten. Mit Ärzten Gruppenverträge und Budgets auszuhandeln, wie es zum Alltagsgeschäft der gesetzlichen Kassen gehört, ist den Privaten bislang nicht erlaubt. Nach einer Untersuchung des Bundesverbands der Verbraucherzentralen greifen die Privatversicherer deshalb auf wenig kundenfreundliche Strategien zurück, um ihre Bilanzen halbwegs im Lot zu halten:

    "Es gibt eine eklatante Zahl von Fällen, wo es Beitragssteigerungen bei Privaten Krankenversicherungen um bis zu 30 Prozent von einem Jahr aufs andere gegeben hat. Und das zweite Ergebnis ist, dass der Tarifwechsel innerhalb der Privaten Krankenversicherung zu einem günstigeren Tarif, zu einem anderen Tarif nach wie vor erschwert werden."

    Der Chef des Bundesverbands der Verbraucherzentralen, Gerd Billen, kann sich beim Thema Private Krankenversicherung geradezu in Rage reden. Der oberste Verbraucherschützer hält ihre ganze Grundidee für unsolidarisch und unsozial. Denn die PKV bietet vor allem jungen und gesunden Interessenten besonders günstige Tarife an. Ein 30-jähriger gut verdienender Angestellter kann Angebote für weniger als 70 Euro im Monat bekommen, besser ausgestattete Tarife kosten einen solchen Angestellten immer noch weniger als 200 Euro. In der gesetzlichen Krankenversicherung liegt der Höchstbeitrag für Gutverdiener hingegen bei 313 Euro.

    Doch auf diese Weise drücken sich die Privaten in Billens Augen darum, auch für Niedriglöhner, Arbeitslose oder Behinderte eine ordentliche Versorgung zu garantieren. Und die PKV-Unternehmen verschweigen gerne, dass ältere Versicherte mit deutlich höheren Prämien rechnen müssen. Deswegen würde der Chef der Verbraucherzentralen die Privatversicherung am liebsten abgeschafft sehen. Der politische Wille, das zu tun, sei gar nicht nötig, fügt Billen mit einem gewissen Sarkasmus hinzu.

    "Von daher ist meine Hypothese, dass es keine Abschaffung der Privaten Krankenversicherung auf Dauer durch die Politik bedarf. Sie wird sich selbst abschaffen."

    Denn die Privaten geben ein Versprechen ab, das sich nach Ansicht von Gerd Billen nicht auf Dauer einlösen lässt: höhere Leistungen als die gesetzlichen bei niedrigeren Beiträgen. Die Zukunft der Privaten Krankenversicherung ist aber sehr wohl auch ein politisches Thema. Die SPD fordert ebenso wie die Grünen und die Linke eine Bürgerversicherung. Die Vorschläge der Oppositionsparteien auf Bundesebene unterscheiden sich zwar voneinander – sie laufen aber in einem Punkt aufs Gleiche hinaus: Die Grundabsicherung gegen das Risiko Krankheit soll nicht mehr auf zwei völlig unterschiedliche Versicherungssysteme aufgeteilt sein. Diese Forderung kommt seit einiger Zeit aber nicht mehr nur von der linken Seite des politischen Spektrums. Auch der gesundheitspolitische Sprecher der CDU im Bundestag, Jens Spahn, wiederholt seit Monaten die immer gleiche Aussage:

    "Ich bin sehr sicher, dass wir in den nächsten zehn Jahren eine schrittweise Angleichung beider Systeme in der Grundversicherung erleben werden und dann einen einheitlichen Versicherungsmarkt früher oder später haben."

    Und auch die Chefs der großen gesetzlichen Kassen halten mit Kritik an ihren Kollegen aus der Privatversicherung nicht mehr hinterm Berg. Lange Zeit übte man sich auf dieser Ebene in einer Art friedlicher Koexistenz. Doch jetzt sagt der Vorstandsvorsitzende der DAK Gesundheit, Herbert Rebscher, ganz klar:

    "Ich bin überzeugt, dass dieses private Vollversicherungsmodell kein Modell der Zukunft ist."

    Und Norbert Klusen, der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, macht klar: Er will es nicht mehr länger hinnehmen, dass die Privatversicherung als erste Klasse gilt und die gesetzliche Krankenversicherung als zweite:

    "Was wir unbedingt wollen, ist, dass unsere Versicherten in keinster Weise anders oder weniger gut behandelt werden, auch was Service und Freundlichkeit und schnelle Termine betrifft, als die Versicherten der Privaten Krankenversicherung."

    Und aus dieser Feststellung gibt es für Klusen nur eine denkbare Konsequenz:

    ""Diese Zweiteilung eines Krankenversicherungssystems, so etwas gibt es auf der ganzen Welt nicht, ja, in dieser Konsequenz, wie wir das haben. Und dieses System in dieser Weise sollten wir abschaffen.""

    Und genau das ist das Neue an der derzeitigen Diskussion: Es sind nicht mehr nur einzelne linke Politiker, die die Existenz der privaten Krankenversicherung öffentlich infrage stellen. Die Diskussion hat sich viel weiter ausgebreitet. Auch in verschiedensten Medien wird neuerdings eifrig über eine Existenzkrise der PKV spekuliert. So war kürzlich in der Wochenzeitung "Die Zeit" zu lesen, die private Krankenversicherung neige sich "dem Ende zu". Auch die Nachrichtenmagazine "Stern" und "Spiegel" sehen tiefschwarze Wolken für die PKV aufziehen. Das "Handelsblatt" hat die Formulierung gewählt, die Privatversicherer seien "reif für die Intensivstation".

    Auch auf Fachkongressen, auf denen sich die obersten Verbands-Chefs des deutschen Gesundheitswesens alle paar Wochen treffen, wird immer öfter die Frage gestellt, ob die privaten Krankenversicherer noch eine Zukunft haben. Gerade Anbieter wie Allianz oder DKV, hinter denen börsennotierte Aktiengesellschaften stehen, hätten keine rechte Freude mehr am Geschäft mit der Krankenversicherung, so kann man allenthalben hören. Denn mit Policen zur Kranken-Vollversicherung lasse sich kaum noch eine Rendite erwirtschaften, wie sie von Aktionären eingefordert wird. Herbert Rebscher, der Chef der DAK Gesundheit, hält die private Voll-Versicherung aus rein ökonomischen Gründen für ein Auslaufmodell.

    "Man sieht ja auch, dass große Konzerne damit auch nichts mehr so richtig damit anzufangen wissen, habe ich den Eindruck, sondern eigentlich vielmehr sagen, wir konzentrieren uns auf das, was der Mensch privat so zusätzlich versichern will und bieten da attraktive Angebote."

    Auf den Kongressen, auf denen solche Aussagen zu hören sind, ist auch der Direktor des Verbands der Privaten Krankenversicherung, Volker Leienbach, regelmäßig anzutreffen. Er räumt ein, dass seine Branche unter einen Druck geraten sei, den sie lange nicht kannte.

    "Der mediale Druck ist jetzt im ersten Halbjahr dieses Jahres ganz klar gestiegen. Das zu leugnen, hieße die Realität zu verkennen."

    Leienbach ist ein ausgesprochen ruhiger und höflicher Mensch. Barsche Töne sind seine Sache nicht. Zwar veröffentlichte sein Verband in letzter Zeit immer wieder Pressemitteilungen, in denen Leienbach – in schriftlicher Form – Kritik aus dem Lager der gesetzlichen Kassen als "völlig benebelt" zurückweist und sich über "wahrheitswidrige Entgleisungen" empört. Sobald Leienbach aber in ein Mikrofon spricht, klingt er sanfter:

    "Die Systemfrage in dieser Form zu stellen, das war schon ein bisschen ungehörig, das muss man einfach sagen."

    Der Verbandsdirektor kennt die Unkenrufe natürlich, wonach die PKV ein Auslaufmodell sei. Die Statistiken zeigten aber ein völlig anderes Bild, sagt er.

    "Wir sind nach wie vor eine wachsende Branche, es gab noch nie so viele privat Versicherte wie heute. Wir haben neun Millionen Menschen, die ausschließlich privat versichert sind. Das heißt, die Menschen stehen zu diesem System, und sie kommen freiwillig."

    Wenn Leienbach eine solche Behauptung aufstellt, dürfte der promovierte Betriebswirt allerdings wissen: Knapp die Hälfte der ausschließlich privat Versicherten sind Beamte. Sie entscheiden sich keineswegs freiwillig für die PKV. Vielmehr bleibt den Beamten in der Regel keine andere Wahl, als neben der staatlichen Beihilfe eine private Krankenversicherung abzuschließen. Auch die meisten Selbstständigen und Freiberufler werden von den deutschen Sozialgesetzen fast automatisch in die private Krankenversicherung gezwungen. Gleichzeitig verweigern die Sozialgesetze der PKV Instrumente zur Kostendämpfung, die die gesetzlichen Kassen seit vielen Jahren nutzen können. Die Privatversicherer können mit den Ärzten beispielsweise keine Budgets aushandeln, wie es die Gesetzlichen tun. Die PKV steht nach Ansicht ihres Verbandsdirektors daher vor allem vor einer Herausforderung:

    "Wie man die Kostenexpansion, die Kostendynamik, in vernünftige Bahnen lenken kann. Sodass die ganze Veranstaltung finanzierbar bleibt."

    Und der Chef des PKV-Verbandes weiß: Wenn man heute das deutsche Gesundheitswesen komplett neu gestalten könnte, würde es wohl die Aufteilung zwischen gesetzlichen und privaten Versicherern nicht mehr geben.

    "Richtig ist, dass die derzeitige Systemausprägung weder ästhetischen noch wissenschaftlichen Ansprüchen genügt."

    Allerdings beeilt sich Leienbach, gleich eine Feststellung nachzuschieben:

    "Aber es ist eben historisch gewachsen. Und das ist keine schlechte Begründung für einen Status quo. Und es wird sich auch weiterentwickeln."

    Auf die Frage, wohin die Entwicklung im Gesundheitsbereich gehen wird, gibt es unterschiedliche Antworten. Die privaten Krankenversicherer sagen, sie wollen weiterhin die sogenannte Vollversicherung anbieten – allerdings streng abgeschottet von der gesetzlichen Krankenversicherung. Daneben setzen die Privaten auf Zusatzversicherungen etwa zum Zahnersatz oder Brillen. Viele Politiker und Repräsentanten der gesetzlichen Krankenversicherung dagegen sehen höchstens noch bei den Zusatzversicherungen eine Zukunft für die PKV, nicht aber bei der Komplett-Absicherung. Der Chef der Techniker Krankenkasse, Norbert Klusen, etwa erwartet eine Angleichung der Systeme. Er fordert echte Wahlfreiheit für alle Versicherten. Und er würde gerne den Status der öffentlich-rechtlichen Körperschaft, den die gesetzlichen Kassen heute haben, gegen eine private Rechtsform eintauschen. Denn nur dann sei echter Wettbewerb möglich.

    "Wir könnten Unternehmen kaufen. Wir könnten Leistungen, Produkte besser einkaufen deswegen für unsere Versicherten. Und einen großen Vorteil sehe ich persönlich darin, dass es eine größere Staatsferne gäbe. Die körperschaftlichen Kassen heute, die ja eigentlich ihren Mitgliedern gehören sollten, sind völlig durch den Staat bestimmt. Das heißt, jederzeit kann der Staat mithilfe von Gesetzen eingreifen. Und die Beispiele, wo er dies zum Nachteil der Mitglieder auch tut, kann man aus den Gesundheitsreformen der letzten zwei Jahrzehnte ablesen."

    Dann würde sich auch schnell zeigen, dass die gesetzlichen Kassen in Wirklichkeit effektiver wirtschaften als die privaten, meint Klusen. Die hätten aber auch etwas davon, wenn sich die Systeme angleichen, glaubt er.

    "Es ist übrigens so, dass wir auch mit den Chefs privater Krankenversicherungen reden. Und dabei höre ich immer wieder, dass man die gesetzliche Krankenversicherung doch beneidet um die Steuerungsmöglichkeiten, die sie hat. Auch um Marktanteile, mit denen sie besser wirtschaften kann, und da werden schon Probleme gesehen."

    An einen revolutionären Umsturz im Krankenversicherungs-System glaubt der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse nicht. Sehr wohl aber an einen langsamen, grundlegenden Wandel.

    "Das ist ein komplexes System, das Gesundheitssystem. Und Änderungen kann man da auch nur schrittweise vornehmen."

    Der Allgemeinarzt Hannes Blankenfeld verfolgt die Diskussion über die Zukunft der Privaten Krankenversicherung mit gemischten Gefühlen. Er hält es für unsinnig, dass zwei völlig verschiedene Versicherungssysteme das gleiche Ziel verfolgen: eine optimale Versorgung der Kranken zu finanzieren. Gleichzeitig ist er von der Debatte über die Zukunft der PKV selbst betroffen.

    "Ich bin mit meiner Selbstständigkeit auch in die Privatversicherung gewechselt; frage mich aber häufig, ob das ein Fehler war."

    Denn er könne sich nicht vorstellen, dass das Geschäftsmodell der Privaten Krankenversicherung auf Dauer tragfähig ist, meint der Allgemeinmediziner.

    "Da habe ich manchen Zweifel und das heißt, wenn es tatsächlich scheitern sollte, das Privatsystem, hänge ich natürlich mit drin als privat Versicherter. Insofern weiß ich nicht, ob es eine wirtschaftlich weise Entscheidung war, zu wechseln."

    Am liebsten wäre es Blankenfeld, wenn er sich über solche Fragen keine Gedanken machen müsste. Weder als Versicherter noch als Arzt.

    "Von was ich träume, wäre an sich ein Versicherungssystem, in dem ich mich ausschließlich um medizinische Fragen kümmern kann und nicht immer noch mein betriebswirtschaftliches Ergebnis im Hinterkopf haben muss. Wo ich weiß, ich kann die Medizin betreiben, die ich gut finde, die für den Patienten gut ist, und wo ich weiß, am Ende des Tages bin ich dadurch auch nicht arm geworden, sondern habe ausreichend verdient. Das wäre mein Ideal."