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Pulse of Europe
Pilgern für ein solidarisches Europa

Der 70 Jahre alte Handwerksmeister Wolfgang Wegstein und seine deutsch-spanische Frau haben sich der Pro-Europa-Bewegung "Pulse of Europe" angeschlossen. Wegstein, ein Nachkriegskind, betrachtet den neuen Nationalismus mit Sorge. Am Ziel des Pilgerwegs durch Südhessen stoßen sie auf 250 Mitstreiter.

Von Ludger Fittkau | 05.05.2017
    Wolfgang Wegstein mit seiner deutsch-spanischen Frau Maria Fernanda und weiteren Mitstreitern auf dem "Pulse of Europe".
    Wolfgang Wegstein mit seiner deutsch-spanischen Frau Maria Fernanda und weiteren Mitstreitern auf dem "Pulse of Europe". (Deutschlandradio / Ludger Fittkau)
    Das frische Grün der Laubbäume bietet einen guten Kontrast zur blauen Fahne mit den gelben Sternen, die Wolfgang Wegstein auf der Schulter trägt. Der 70 Jahre alte Handwerksmeister lebt mit seiner deutsch-spanischen Frau Maria Fernanda in der südhessischen Gemeinde Roßdorf am Rande des Odenwaldes. Seit Monaten wandert das Paar – oft begleitet von Freunden – die rund sieben Kilometer lange Strecke nach Darmstadt hin und zurück, um an den dortigen Kundgebungen der Pro-Europa-Bewegung "Pulse of Europe" teilzunehmen. Das Wandern sind die beiden vom berühmten Pilgerweg Camino de Santiago gewöhnt. Wolfgang Wegstein ist nun in gewisser Weise ein Pilgerer für Europa geworden, erzählt er, als er gerade in einer Autobahnunterführung läuft:
    Mit dem Koffer in den Keller bei Bombenalarm
    "Das kann man so sagen, genau. Wenn wir den Camino laufen, wir gehen aus dieses Jahr wieder. Du triffst auf dem Weg immer wieder aus ganz Europa, aus der ganzen Welt sogar – Asien ist ganz stark vertreten - triffst du die Leute, "Buen Camino – man grüßt sich."
    Der Camino verläuft diesmal durch Südhessen. Ein Teil der Wegstrecke liegt im dichten Wald. Zeit genug, um über den neuen Nationalismus nachzudenken, der Europas Frieden heute wieder gefährden könnte. Die Erzählungen seiner Großmutter haben das Nachkriegskind Wolfgang Wegstein stark geprägt:
    "Die Oma hat erzählt, dass sie immer ein Köfferchen gepackt hatte. Da waren die Papiere drin, da war alles drin und wenn dann Bombenalarm kam, ist der Koffer genommen worden und dann ist man in den Keller gegangen. Und ich als Kind, verdammt, dann hat es ja auch mal gebrannt, dann gingen auch die Sirenen los, ich habe dann immer Angst gehabt und dann habe ich mir auch einen Koffer zurechtgemacht, wo meine Sachen drin waren."
    Maria Fernandas Traum von Europa
    Weil er nie wieder Kriegsangst erleben will, stieß Wolfgang Wegsten zur Pro-Europa-Bewegung "Pulse of Europe". Zuvor nahm er noch nie in seinem Leben an einer Demonstration teil. Seine Frau Maria Fernanda ist hingegen Demo-Veteranin. Sie ist in Frankfurt am Main aufgewachsen ist und stieß dort als junge Frau zur sogenannten "Außerparlamentarischen Opposition" – der APO der 68er-Bewegung. Die egalitären Ideale aus rebellischen Frankfurter Studentenzeiten bestimmen auch heute noch ihre Vorstellung eines künftigen Europas:
    "Irgendwann mal, das ist so mein Traum, irgendwann mal sollen die 27 Länder einen gleichen Level haben. Das ist so mein Traum, dass jemand in Finnland sich genauso wohl fühlt wie in Portugal. Genauso viel verdient, genau die gleichen Chancen hat, dass das Steuersystem gleich ist, die Rechtsprechung gleich ist, Verteidigung gleich ist. Dass es egal ist, in welchem Land ich lebe, es ist eine Einheit da."
    Nach einer guten Stunde Fußweg öffnet sich der dichte Wald. Der Blick fällt auf Ackerflächen, dahinter werden am Horizont die ersten Gebäude Darmstadts sichtbar, dem Ziel der Wanderung. Hier am Stadtrand sind die Wege belebter als im Wald, die ersten Spaziergänger bleiben stehen und sprechen die Wanderer mit der Europafahne an.
    Mit Gesang werden die Pro-Europa-Pilger nach einer weiteren halben Stunde begrüßt, als sie das eigentliche Stadtgebiet von Darmstadt erreichen. Eine Gruppe junger Polen aus Krakau lagert auf einer Wiese und singt. Wir fragen nach und erfahren, es sind Auszubildende des Friseurhandwerks, die über das sogenannte "Erasmus"-Austauschprogramm der EU nach Darmstadt gekommen sind. Ein junger Krakauer erzählt, dass eine Schwester und ihr Mann, die beide noch in England arbeiten, nun wegen des Brexit-Votums nach Polen zurückkehren werden. Ernüchternde europäische Realität 2017.
    Hoffen auf einen Sieg Macrons
    Nach zwei Stunden Fußweg erreicht das Paar aus Roßdorf mit Freunden, die dazu gestoßen sind, das Ziel der Wanderung – den Karolinenplatz in Darmstadt. Dort haben sich rund 250 Menschen zu "Pulse of Europe" in Südhessen versammelt Wolfgang und Maria Fernanda Wegstein werden von einigen Mitstreitern freundlich begrüßt. Mit Blick auf den kommenden Sonntag, die zweite Runde der Präsidentenwahl in Frankreich, ist die Gruppe optimistisch:
    "1. Mann: Ich bin wirklich guter Dinge, ich denke das wird schon./
    2. Mann: Ich hoffe sehr, dass Macron gewinnt. Ich denke auch, er wird gewinnen. Vielleicht bringt er auch ein bisschen Veränderung in die Strukturen der Europäischen Union. Weil von meinem Verständnis ist Deutschland-Frankreich, ich denke auch Deutschland-Polen, ein zentraler Teil der EU –ganz wichtig. Und Macron hat nicht zu Unrecht gesagt: Leute, wir müssen uns unterhalten über die Außenhandelsüberschüsse hier, da müssen wir was tun einfach.
    1. Mann: Die Hoffnung stirbt zuletzt."