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Rache für Gezi?

Regierungskritische Unternehmen werden in der Türkei zurzeit von der Steuerfahndung traktiert - vor allem Unterstützer der Gezi-Park-Proteste. Es ist nicht das erste Mal, dass unter Erdogan Steuerfahnder für politische Zwecke zum Einsatz kommen: Im Jahr 2008 wurde der Medienkonzern Dogan mit immensen Steuerstrafen beinahe ausgeschaltet.

Von Luise Sammann | 12.08.2013
    Steuerfahnder statt Wasserwerfer  - die Rache Erdogans?
    Steuerfahnder statt Wasserwerfer - die Rache Erdogans? (picture alliance / dpa / EPA / Sedat Suna)
    Sie kamen im Morgengrauen. Finanzbeamte in Anzug und Krawatte nahmen sich in Polizeibegleitung die Büros der drei größten Energiefirmen der Türkei vor, während deren Chefs noch schliefen. Es handele sich um eine Routine-Betriebsprüfung, versicherte der Minister für Energie und Ressourcen später. Eine Routine-Überprüfung dreier Firmen, die wie zufällig allesamt der gleichen Holding angehören? Der Istanbuler Journalist Dogan Akin winkt ab.

    "Das hier sind die Attacken einer Regierung, die nicht mit Protesten umgehen kann. Während der Proteste im Gezi-Park flohen die Menschen vor Tränengas und Wasserwerfern. Und das naheliegende Divan-Hotel öffnete seine Tore für sie. Wenn man jetzt, wenige Wochen später, eine Untersuchung gegen die Holding anordnet, zu der das Hotel gehört, und dann behauptet, es wäre ein Routinecheck, dann ist das wirklich schwer zu glauben."

    Schon am Tag nach der Razzia fiel der Börsenwert der betroffenen Koc-Gruppe um mehr als 900 Millionen US-Dollar! Sollten die Steuerfahnder in den nächsten Wochen finden, was sie suchen, dürfte die "Rechnung” noch viel höher ausfallen. Gegen einen Zufall spricht auch die die Warnung, die Ministerpräsident Erdogan schon Wochen vorher ganz ungeniert ausgesprochen hatte:

    "Sie gehören dazu, das ist in diesen Tagen deutlich geworden! Wir wissen genau, wer 30.000 Essenspakete auf den Taksim-Platz geschickt hat. Und wir kennen auch die, die die Terroristen in ihrem Hotel beherbergt haben. Aber sie werden dafür bezahlen!”"

    Doch nicht nur die Koc-Gruppe als Besitzer des Divan-Hotels bekam ihre Rechnung. Von einer regelrechten "Hexenjagd” sprechen Regierungskritiker in diesen Tagen: Fast 60 Journalisten verloren ihre Jobs, weil sie kritisch berichtet hatten. Mehrere führende Polizeigewerkschafter mussten gehen, weil sie die Arbeitsbedingungen der Polizisten während der Proteste kritisiert hatten. Ebenso ein Uni-Rektor, der Anwälte für inhaftierte Studenten seiner Universität organisiert hatte:

    ""Ja, das Ganze ist offensichtlich eine Bestrafungsaktion."

    …beschwert sich auch Suleyman Solmaz vom Verband der Ingenieurs- und Architektenkammern TMMOB. Der ist für seine kritische Haltung gegenüber den Großprojekten der türkischen Regierung bekannt. In einer nächtlichen Sitzung beschloss das von der Regierungspartei AKP dominierte Parlament in Ankara deswegen kurzerhand ihm zahlreiche Kompetenzen zu entziehen. Wenn es um große Bauprojekte geht, dürfen die TMMOB-Mitglieder in Zukunft nicht mehr mitentscheiden. Suleyman Solmaz schnaubt.

    "Die Regierung will ganz einfach keine organisierte Gesellschaft. Denn unser Verband ist mit der Stärke seiner vielen Mitglieder immer wieder gegen Projekte der Regierung aufgestanden, die der Allgemeinheit schaden."

    Bei den Bebauungs-Plänen für den Gezi-Park gehörten die Architekten und Ingenieurs-Kammern zu den schärfsten Kritikern. Sie brachten den Stein ins Rollen, der später in landesweiten Protesten mündete. Auch gegen die dritte Bosporusbrücke und den geplanten Mega-Flughafen – beides persönliche Lieblingsprojekte Erdogans – legten sie zahlreiche Beschwerden ein. Nun sollen sie schweigen. Und, so glaubt Solmaz, nicht nur sie.

    "Das Ganze wirkt abschreckend. Die Chemiker sagen: Die Ingenieure wurden bestraft, wir sollten uns lieber aus allem raushalten. Und genauso sagen es sich dann die Ärzte und dann die Anwälte und so weiter."

    Längst stehen auch diese Berufsgruppen unter Beschuss. Das Lager derer, die beim nächsten Erdogan-Großprojekt noch den Mund aufmachen dürften, schwindet zusehends.