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Radiolexikon: Abszess

Üblicherweise beginnt es mit einem Streichholzkopf kleinen, rötlichen Fleck auf der Haut, der innerhalb eines Tages anschwillt und zu jucken beginnt. Anschließend bildet sich in der Mitte dieses Flecks eine kleine Eiterpustel, die rasant an Größe gewinnt: Ein Abszess hat sich gebildet, eine Infektion durch Eitererreger, so genannte Staphylokokken. Fast jeder Mensch hatte irgendwann in seinem Leben schon einmal einen Abszess. Die meisten sind harmlos, manche können aber durchaus lebensbedrohliche Zustände auslösen. Allen gleich ist: Sie sind ausgesprochen schmerzhaft.

Von Mirko Smiljanic | 11.12.2007
    OP 2 einer ambulanten chirurgischen Praxis in Hannover. Der Operateur bereitet eine Abszessspaltung vor.

    "Es begann eigentlich ganz harmlos mit einem kleinen Pickel in der Kniekehle, den ich eigentlich gar nicht beachtet habe. Der wurde zwar größer und juckte auch etwas, aber ich dachte, der verschwindet von selbst wieder."

    Die Patientin liegt auf dem Bauch, bis auf die rechte Kniekehle teilweise mit grünen Tüchern bedeckt. Ein Zeichen des Operateurs und der zweite Mediziner spritzt ein Kurzzeitnarkosemittel in den Venenzugang.

    " Als dann noch ein zweiter Pickel kam, wurde ich allerdings etwas nervös, zumal innerhalb ganz kurzer Zeit beide Pickel sich zu einer vergleichsweise großen Beule entwickelt haben, die dann auch noch enorm weh tat. Ich bin dann sofort zu meinem Arzt gegangen, der mir sagte: Sie haben einen Abszess."

    Und zwar einen von beachtlicher Größe. Eine äußere Therapie mit Salben kam nicht in Frage, der Abszess - riet der Mediziner - muss eröffnet werden.

    "Der Abszess ist eine örtlich umgrenzte Eiteransammlung. Um den Eiter bildet sich ein derbes Bindegewebe, das den Eiter abgrenzt vom normalen Gewebe, der Betroffene merkt den Eiter durch die Schwellung, durch die Zunahme des Gewebes, durch den Schmerz, durch eine Rötung und manchmal auch durch eine Fluktuation des Gewebes, durch eine prall elastische Vorwölbung, und in manchen Fällen auch noch durch Fieber, verbunden eventuell mit Schüttelfrost,"

    sagt Privat-Dozent Dr. Stefan Herget-Rosenthal, Internist am Universitätsklinikum Essen. Ursache für Abszesse sind Eiterbakterien, so genannte Staphylokokken. Sie gelangen unter die Haut und lösen dort entzündliche Prozesse aus. Mit mangelnder Hygiene hat dies übrigens wenig zu tun, eher schon gehen die Patienten etwas zu sorglos mit ihrer Haut um.

    "Wir leben seit es das Menschengeschlecht gibt mit Bakterien auf der Haut, was aber sicher eine Rolle spielt, ist, wenn wir die Haut verletzen, wenn wir an der Haut herumdrücken und kleine mikrofeine Verletzungen der Haut zuführen, über die dann Bakterien, die sich ganz normal auf der Haut befinden und keinen Unsinn anrichten, in die Tiefe des Gewebes eindringen können."

    Diese Bakterien lösen Entzündungen aus, in deren Verlauf Enzyme zerstörtes Gewebe zersetzen. Dabei entsteht Eiter, eine gelb-grünliche Flüssigkeit, die der Körper in abgeschlossenen Höhlen abkapselt. Je mehr Eiter sich ansammelt, desto höher ist der Druck auf das umgebende Gewebe: Abszesse verursachen beträchtliche Schmerzen!

    "Die Eiteransammlung ist ja ein Mehr an Flüssigkeit im Gewebe, das drückt auf die Nerven in der Umgebung, und es schmilzt natürlich Gewebe ein und auch das führt natürlich zur Schädigung von Nervenenden, und das schmerzt!"

    Was aber noch eine vergleichsweise harmlose Komplikation ist. Weit gravierender sind die Probleme, wenn Bakterien oder deren Zersetzungsprodukte durch das den Eiter abkapselnde Gewebe in die Blutbahn gelangen. Fieber und Schüttelfrost sind die Folge. Und wenn der Abszess sich im Gesicht befindet, besteht mitunter gar Lebensgefahr - wobei Abszesse in dieser Köperregion auch "Pickel" heißen.

    "Ganz gefährlich sind Pickel im Nasen-Mund-Bereich, die zu Infektionen im Gehirn führen können, bedingt durch die Nähe des Nasen-Rachen-Raumes mit der Hirnhaut und dem Gehirn, so dass man durch das Ausdrücken der Pickel eine Verschleppung der Bakterien nach innen, und damit eine ganz gefährliche Infektion auslösen kann."

    Mittlerweile hat der Arzt die Patientin in eine Kurzeitnarkose versetzt. Vorsichtig tastet der Operateur ein letztes Mal über die pralle rot umrandete Schwellung in der Kniekehle und setzt das Skalpell an.

    Hesse: "Ich hatte ja insgeheim gehofft, die Operation wäre nicht nötig. Aber mein Arzt hat mir schnell klar gemacht: Der Eiter muss raus, sonst wird es noch schlimmer! Bei mir bestand ja sogar die Gefahr, dass sich der Abszess weiter ins Knie ausweitet, das war alles nicht sonderlich schön."

    Ein Schnitt und ein kleiner Schwall Eiterflüssigkeit ergießt sich nach außen. Routiniert räumt der Operateur die Abszesshöhle aus, entfernt das Bindegewebe zwischen Höhlenrand und der gesunden Umgebung.

    Grundsätzlich kann jeder Mensch Abszesse bekommen, tatsächlich gibt es aber Menschen, die noch nie welche hatten, während andere regelmäßig drunter leiden. Eine Ursache dafür ist die körpereigene Immunabwehr: Ist sie intakt, wehrt der Köper Bakterienattacken erfolgreich ab; ist sie geschwächt - sagt Stefan Herget-Rosenthal, Internist am Universitätsklinikum Essen - kann sich jede kleine Entzündung zum Abszess entwickeln.

    "Bei alkoholkranken Menschen findet man häufiger Abszesse ausgehend von Lungenentzündungen, bei Drogenabhängigen ist es sicherlich auch etwas gehäuft, aber bei denen kommt hinzu, dass häufig Nadeln im Spiel sind, die sich die Abhängigen durch die Haut stechen und dann werden zum Beispiel die Keime auf die Nadeln in die Haut eingetragen."

    Spritzenabszess heißt dieses Phänomen, das übrigens auch in Kliniken immer wieder vorkommt: Wenn Ärzte nicht absolut hygienisch arbeiten, übertragen sie schon mal Bakterien über die Spritzennadel in den Gesäßmuskel - höchst schmerzhafte Abszesse können die Folge sein. Menschen mit einer geschwächten Abwehr leiden zudem häufig unter Abszessen an inneren Organen.

    "Wir setzen uns ja fortwährend mit Bakterien auseinander, man muss ja nur bedenken, dass unsere Nahrung von Bakterien durchsetzt ist - auch wenn der Magen-Darm-Trakt Mechanismen hat, uns vor den Bakterien zu schützen - trotzdem setzen wir uns dauerhaft mit diesen Erregern auseinander, und wenn wir geschwächt sind, beispielsweise der Alkoholiker, der Drogenabhängige oder der HIV-Patient, ist dieser Schutzmechanismus vorübergehend auch weniger aktiv und kann dann auch zum Eindringen der Bakterien in die Körperstrukturen, also in die Darmwand, in das Lungengewebe, in das Lebergewebe führen."

    Wenn sich dort Abszesse bilden, ist die Situation weitaus komplizierter. Zunächst muss der Arzt mit bildgebenden Verfahren - Ultraschall etwa - heraus finden, wo genau sich der Abszess befindet. Anschließend sticht er von außen ein Röhrchen in den Abszess und leitet den Eiter ab. Solche Röhrchen schafft sich der Körper übrigens auf Dauer selbst. Sie heißen Fisteln.

    "Eine Fistel ist ein Gang, der sich aus einer Eiterhöhle entwickelt, wo der Körper selber versucht, den Eiter los zu werden. Die Bakterien, die im Randsaum des Abszesse sich noch befinden, enthalten Enzyme, die relativ aggressiv sind und das Gewebe auflösen, eine Fistel ist dann letztlich eine Öffnung, geschaffen von den Enzymen, um nach außen oder nach innen, zum Beispiel in die Atemwege oder den Magen-Darm-Trakt den Eiter zu entleeren."

    Fisteln sind ausgesprochen problematisch. Sie haben den Nachteil,

    " dass dieser Gang größer ist und zum Teil schlecht oder auch nie abheilt. Wenn die Fistel von innen mit einem feinen Häutchen umkleidet ist, kann es sein, dass der Gang sich wieder verschließt und sich dann zum Beispiel beim Magen-Darm-Trakt Stuhl zwischen verschiedenen Darmschlingen hin- und her bewegt und zu neuen Entzündungen und damit zu neuen Problemen für die Betroffenen führt."

    Um Fisteln zu vermeiden, gibt es nur eine wirksame Methode: Der Abszess so schnell es geht behandeln! Trotz aller Diskussion um nichtoperative Heilverfahren, gilt dabei immer noch der Grundsatz des altehrwürdigen Hippokrates: "Ubi Pus, ibi evacua - Wo Eiter ist, dort entleere ihn!"

    Mittlerweile ist die Operationswunde versorgt, in wenigen Minuten wacht die Patientin auf, zwei Stunden später wird sie zu Hause sein. Eine kleine Narbe bleibt, die brennenden Schmerzen in der Kniekehle verschwinden aber rasch.

    Hesse: "Also, nach ein paar Tagen war die Schwellung weg, der Schmerz ließ nach und es ging ganz schnell bergauf."