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Radsportler Esteban Chaves
Der neue Liebling des Giro

Esteban Chaves ist ein Name, den sich Radsport-Fans merken sollten: Nur knapp verpasste er den Sieg des diesjährigen Giro d'Italia. In den Dolomiten holte er den Etappensieg bei der Königsetappe und eroberter kurz das rosa Trikot. Am Ende musst er sich allerdings Vincenzo Nibali geschlagen geben.

Von Tom Mustroph | 28.05.2016
    Der kolumbische Radsportler Esteban Chaves, umringt von Reportern, lächelt in die Kamera.
    Liebling des Giro d'Italia 2016: der Kolumbianer Esteban Chaves (imago sportfotodienst)
    Ein junger Kolumbianer verzückt den Giro. Esteban Chaves, 26, Kletterkünstler mit strahlendem Lächeln.
    "Er ist fantastisch. Er ist der süßeste kleine Kerl, den ich kenne."
    Das sagt der Kanadier Svein Tuft, selbst eher von bulliger Statur. Tuft und Chaves teilen sich beim Giro ein Zimmer - und gegenseitige Sympathien.
    "Ich nenne ihn meinen Grizzlybären. Er ist ein netter Kerl, immer ruhig, jeder lernt durch ihn, aufs Leben zu gucken und die positiven Dinge zu erkennen. Er lacht auch immer, so wie ich."
    Tuft: "Jeden Tag muss man voll da sein"
    Erstmals ist Svein Tuft Helfer in einem Team, das um den Sieg mitfährt. Das ist anstrengend und birgt viele Herausforderungen, berichtet er:
    "Jeden Tag muss man voll da sein. Das verbraucht eine Menge Energie, selbst wenn es nicht so ausschaut, als würdest du im Moment viel tun. Aber du denkst immer darüber nach, welche Position jetzt einzunehmen ist, was vorn passiert. Den ganzen Tag arbeitest du."
    Chaves: "Ich bin etwas verrückt im Hinterherfahren"
    Arbeit für den Leader im Team. Als der bewies sich Chaves schon früh im Giro. In den Dolomiten holte er den Etappensieg bei der Königsetappe. Gestern nun schlug er in den Alpen zu und eroberte sogar das rosa Trikot des Führenden. Er fand dabei in Vincenzo Nibali, den italienischen Ex-Tour-de France-Gewinner und Mitfavoriten beim Giro, einen wichtigen Unterstützer. Der Sizilianer, womöglich einer der begnadetsten Abfahrer im Peloton, fand gestern zu seiner alten Leistungsstärke zurück. Und Chaves jagte im hinterher:
    "In der Abfahrt hatte ich etwas Schwierigkeiten, Nibali zu folgen. Er ist matto, verrückt, wie die Italiener sagen. Aber ich bin auch etwas verrückt im Hinterherfahren."
    "Journalisten stellen immer solche bösen Fragen"
    Am Ende jubelten gestern beide. Nibali kehrte aufs Podium zurück, Chaves eroberte kurz Rosa. Der Kolumbianer profitierte aber auch davon, dass hinter ihm der bis dahin Gesamtführende Steven Kruijswijk in den Restschnee des Colle dell'Agnello fuhr, stürzte und eine Rippe brach. Also, hat Chaves nur dank des Sturzes die Führung erobert? Kurz verdüstert sich seine sonst fröhliche Miene:
    "Journalisten stellen immer solche bösen Fragen. Radsport ist so. Wenn das Rennen eröffnet ist, dann kann ein kleiner Fehler dazu führen, dass du am Boden landest."
    Man könne die Zeit nicht zurückdrehen, um herauszufinden, ob Kruijswijk ohne den Sturz am Freitag auch so viel Zeit verloren hätte, sagt Chaves noch. Der 26-Jährige hat in seiner Karriere schon einiges erlebt. 2013 stürzte er schwer. Knochen splitterten. Ein Marathon durch Operationssäle begann. Es drohte sogar eine Armamputation. Das wäre das Karriereende gewesen:
    "Damals habe ich 15 Monate nicht gelacht. Aber es war auch ein sehr wichtiger Moment. Orica gab mir einen Vertrag über drei Jahre, als ich zurückkam. Und ich war sofort Teil des Teams. Dann kam auch das Lachen wieder zurück."
    "In Kolumbien gibt es keine Gefahren"
    Jetzt ist Chaves wieder da, wo er vor dem Sturz war: Auf dem Leistungsniveau vom gleichaltrigen Landsmann Nairo Quintana. 2010 gewann Quintana die Tour de l'Avenir. Das ist die Tour de France der Nachwuchsfahrer. 2011 siegte dort Chaves. 2013, als Chaves im Krankenhaus war, wurde Quintana erstmals Zweiter bei der Tour der Großen. Ein Jahr später holte er den Gesamtsieg beim Giro, den jetzt Chaves fast erreicht hätte. Und wie sein Landsmann versteht sich auch Chaves als Verteidiger seiner Heimat. Auf die Frage, ob Kolumbien gefährlich sei, meint er:
    "Ach, das ist, als wenn du sagen würdest, in Afrika sterben alle an Hunger oder in Italien sind alle Mafiosi. Das stimmt alles nicht. Kolumbien ist ein sehr schönes Land, es gibt keine Gefahren. Ich hatte niemals einen Unfall mit dem Rad oder geriet in Lebensgefahr. Es sind alle sehr rücksichtsvoll."
    Esteban Chaves, ein Name, den sich Radsportfans merken sollten, auch wenn er am Ende den ersten Giro-Sieg doch knapp nicht geschafft hat.