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Rehabilitierungsanträge für SED-Opfer
Aufarbeitung nach Jahrzehnten

Der Bundestag hat die Antragsfrist für politische Verfolgte in der DDR gestrichen. Eine Chance für jene, die erst jetzt einen Rehabilitierungsantrag stellen können oder wollen. Zur Aufarbeitung gehört auch das jährliche Häftlingstreffen in der JVA Bützow, das ehemalige Gefangene zusammenbringt.

Von Jürn-Jakob Gericke | 25.10.2019
Stacheldrahlt und hohe Mauern - die JVA in Bützow in Mecklenburg-Vorpommern
Dem Thema zwei Tage lang auf den Grund gehen gemeinsam mit Ex-Gefangenen - das macht das jährliche Häftlingstreffen in der JVA Bützow aus, so FES-Landesbüroleiter Frederic Werner (Deutschlandradio / Jürn-Jakob Gericke)
Auf dem Weg nach Bützow geht es durch eine typisch mecklenburgische Landschaft. Herbstlich gefärbte Alleen, Felder links und rechts neben der Straße bis in der Idylle plötzlich die Justizvollzugsanstalt auftaucht. Hinter hellen schmutzigen Mauern mit Stacheldraht: charakteristische Kasernengebäude aus rotem Stein.
Die JVA Bützow, am Ortseingang. Eines der ältesten Gefängnisse Deutschlands, das größte in Mecklenburg-Vorpommern. Berüchtigt, auch heute noch.
Zur Zeit der DDR gefürchtet als eines der drei großen B: Bautzen, Brandenburg, Bützow. Hier saßen auch politische Gefangene. Einer von ihnen, Jürgen Eggert, ist heute zurückgekehrt- an den Ort, wo er im Laufe seiner Haftzeit in der DDR sieben Monate lang im Gefängnis saß:
"Ich war 19 Jahre alt, als ich eingesperrt wurde. 19!"
Repressalien wegen politischer Haltung
Eggert, heute 77 Jahre alt und Pastor im Ruhestand, blickt mit wachen Augen aus einer unscheinbaren Brille. Seine Familie war in der DDR unangepasst. Die Geschwister waren nicht in den Pionierorganisationen, nicht in der FDJ. Eggert durfte nicht studieren, nicht auf die Oberschule und die Familie hielt sich mit Kritik daran nicht zurück. Als die Mauer gebaut wurde, schlug dann die Staatsmacht zu:
"Meinem Bruder gelang die Flucht und das war der Anlass für meine Verhaftung. Und dann bin ich verurteilt worden - nach fast einjähriger Untersuchungshaft bei der Stasi in Rostock - wegen staatsgefährdender Propaganda und Hetze. Zu ursprünglich fünf Jahren Zuchthaus und dann durch Berufung auf drei Jahre. Die habe ich abgesessen!"
Zusammen mit Jürgen Eggert sind sieben andere Männern nach Bützow gekommen, die in der DDR politische Gefangene waren. Das Häftlingstreffen, das jedes Jahr stattfindet, ist längst zum Forum geworden. Die Friedrich Ebert Stiftung in Mecklenburg-Vorpommern organisiert die Veranstaltung unter anderem mit Vorträgen von Experten und Podiumsdiskussionen. Der Landesbüroleiter Frederic Werner erklärt, warum dies in Bützow stattfindet:
"Wir sind wirklich zwei Tage damit beschäftigt, dem Oberthema auf den Grund zu gehen. Das ist das besondere an dieser Tagung, auch an dem etwas abgeschiedenen Ort Bützow. Also nicht in Rostock und Schwerin oder so, sondern wir nehmen uns die Zeit, wir nehmen uns raus, und das unterscheidet die Veranstaltung auch von anderen. Das besondere trotzdem bleibt und ist, dass die Häftlinge dabei sind, ihre Sichtweise einbringen."
Häftlinge durften nicht über Haftbedingungen sprechen
Das schätzt auch die Landesbeauftragte für die Aufarbeitung der SED-Diktatur. Ihr Stellvertreter Burkhard Bley betont in Bützow, wie wichtig es sei, mit den ehemaligen Häftlingen zu sprechen:
"Denn Sie müssen sehen, dass in der DDR diese Dinge auch unter den Tisch gekehrt wurden. Häftlinge, wenn sie entlassen worden sind, durften über die Haftbedingungen nicht sprechen. Viele politische Häftlinge sind durch diese schwierigen Haftbedingungen auch psychisch betroffen- und es ist dann befreiend und heilend, wenn man also auch diese Dinge ansprechen kann."
Ein weiterer Teil der Aufarbeitung sind Entschädigungen und Rehabilitierungen. Wer Opfer von politischer Verfolgung in der DDR war, kann einen Antrag darauf stellen. Das war eigentlich nur noch bis zum Jahreswechsel möglich. Nachdem der Bundestag gestern entschieden hat, die Antragsfrist zu streichen, erklärte die Justizministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Katy Hoffmeister, die sich selbst auch dafür eingesetzt hat, warum sie diese Entscheidung für wichtig und richtig hält:
Manchmal Aufarbeitung erst nach Jahrzehnten
"Weil wir sehen, auch heute gibt es noch Rehabilitierungsanträge, die ganz neu gestellt werden. Etwa zehn im Monat. Das heißt, die Menschen setzen sich jetzt erst mit ihrer Vergangenheit in Teilen auseinander."
Und auch die weitere Aufarbeitung ist Hoffmeister wichtig. Sie richtete an die ehemaligen politischen Häftlinge von Bützow einen Appell:
"Reden Sie über das Unrecht, das ihnen widerfahren ist! Weil es glaube ich wichtig ist, dass wir gerade den jungen Menschen diese Botschaft nochmal geben - wie wertvoll Demokratie und Freiheit ist. Und deswegen habe ich diesen Appell heute an die Zeitzeugen nochmal gerichtet."
Ein Appell, dem der ehemalige politische Häftling Jürgen Eggert folgt. Mit viel Fröhlichkeit erzählt der 77jährige, wie es ihm heute geht - beim Anblick der Mauern der JVA Bützow:
"Es ist im Grunde genommen das Gefühl eines Triumphes! Ich bin ja der Sieger der Geschichte, weil ich eben hier stehe als freier Mann. Und dazu gehört eben auch, dass man hier als unfreier Mann gewesen ist.
Der Mauerfall sei ganz klar die Sternstunde seines Lebens gewesen, sagt Jürgen Eggert weiter. Nur schade, dass sein Vater das nicht mehr erleben durfte.