Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


"Reise um die Welt"

Mainz, 1793: Seit Oktober des voran gegangenen Jahres sind französische Truppen in der Stadt. Ein "wahnsinniges Treiben", empfindet Georg Forster, Mitglied des im November 1792 gegründeten Jakobiner-Clubs, Vizepräsident der "provisorischen Administration" und Redakteur der "Neuen Mainzer Zeitung", die vielen noch reservierten Bürgern die Ziele der Revolution nahebringen will. Forster ist als Autor des 1777 erschienenen Buches "Reise um die Welt", die er fünf Jahre vorher als knapp 20jähriger an Bord des von Captain James Cook kommandierten Schiffes "Resolution" unternommen hatte, mehr als ein berühmter Mann; er ist eine Legende. Im revolutionären Mainz spürt Forster nun einen neuen Aufbruch. Seine Frau Therese, morgens beim Frühstück, ist skeptischer:

Von Christian Linder | 27.11.2004
    Therese: So bekannt sein wie du ist gefährlich.

    Georg Forster: Ich habe mein ganzes Leben lang darauf gewartet, dass aus den vielen schönen Redensarten von der Befreiung des Volkes endlich einmal ernst werden möchte. Was du Pöbel nennst, das ist der Mensch, der sich aus seiner Erniedrigung erheben will, in der man ihn festhält. Wir müssen doch helfen, dass es gelingt. Jeder einzelne muss helfen. Es ist Gefahr dabei, das weiss ich. Aber meine Bücher, die Aufsätze, mein Einsatz für die Menschenrechte, das ist doch alles schliesslich mein Bekenntnis zu Dir, zum Menschen, wie ich ihn sehe. Soll ich dich enttäuschen? Du hast doch früher gesagt, du könntest keinen feigen Mann lieben.

    Therese: Vernunft ist nicht Feigheit.

    Georg Forster: Manchmal ist es vernünftig, unvernünftig zu sein.


    Die bekannte Welt war für Georg Forster nie ein sicherer Ort. Geboren am 27. November 1754 in Nassenhuben bei Danzig, dem heutigen polnischen Mokry Dwór, als Sohn des evangelisch-lutherischen Pastors und Naturforschers Johann Reinhold Forster, nahm der strenge Vater den erst 10-jährigen Sohn zwar bereits auf eine Forschungsreise nach Russland mit, aber der junge Georg Forster musste sich erst aus allen familiären Bindungen befreien, um die enge Welt seiner Herkunft zu verlassen und sich in der Welt spüren zu können – und ein Weltbürger zu werden, der in Paris mit dem Naturforscher Buffon diskutierte und in Amerika mit Benjamin Franklin dinierte.

    Als ein Werk "über den Menschen" feierte Georg Christoph Lichtenberg Forsters Bericht über seine "Reise um die Welt", das Buch beschreibt über die Expedition in die äussere Welt hinaus als Gedankenreise auch die inneren Kontinente des Menschen. Das Offene und Unfertige kam Forster in den Blick, und er erkannte dahinter die Veränderbarkeit der Welt auch als ihren Sinn.

    Im privaten Leben erlebte Forster die Ziellosigkeit als sein eigentliches Ziel. Er schlug sich durch als Schriftsteller, Arzt, Naturforscher, Ethnologe, lehrte als Professor an der Universität im litauischen Wilna und am Carolinum im hessischen Kassel. Und dann immer wieder die plötzlichen Aufbrüche. "Ansichten vom Niederrhein" heißt neben der "Reise um die Welt" Forsters bekanntestes Buch. Alexander von Humboldt begleitete Forster damals, 1790, und wurde lebenslang geprägt von dessen Wahrnehmungslust. Georg Forster in Amsterdam, im Hafen, er schmeckt die Luft und beobachtet die flirrende Gegenwart und versucht das Geheimnis dahinter zu sehen:

    Goethe hatte die "Ansichten vom Niederrhein" gerade zu Ende gelesen, da wünschte er sich, die Lektüre noch einmal zu beginnen. Bei Erscheinen des Buches lebte Forster in Mainz und musste sich den Lebensunterhalt als kurfürstlicher Bibliothekar verdienen. Da erklangen die Trompeten der Revolution. Forster war bis in seine Träume hinein mitgerissen. Noch einmal inszenierte er einen Aufbruch in die äussere Welt. Seine Frau Therese hatte ihn zu dem Zeitpunkt verlassen. Andere Frauen waren um ihn und meinten ihn schützen zu müssen:

    Wir kämpfen in Freiheit, auf den treuen Händen derer, die sie lieben, und ich werde sie hüten und verteidigen mit Herz und mit Kopf, wie bisher.

    Kurz darauf reiste Forster nach Paris, um als Abgeordneter des Nationalkonvents die Angliederung der sogenannten "Mainzer Republik" an Frankreich zu beantragen. Doch da waren preussische Truppen längst in Mainz einmarschiert und hatten die "Mainzer Republik" aufgelöst. Forster wurde unter "Reichsacht" gestellt und musste in Paris im Exil bleiben. Er erlebte dort das Endspiel der Revolution mit all ihren Schrecken und fühlte sich im "Hafen der Resignation".

    Noch vor seinem 40. Geburtstag starb Forster, einer der ersten deutschen aufklärerischen Republikaner, in Paris, am 10. Januar 1794, einsam und in grosser Armut. Sein Ruhm als Autor der "Reise um die Welt" und der "Ansichten vom Niederrhein" lebt weiter. In diesen Büchern ist nachzulesen, was die Menschen ins Leben hinaustreibt und wie sie die Welt eingerichtet haben und mit den Dingen umgehen könnten, ohne sie zu zerstören.