Dienstag, 30. April 2024

Archiv


Revolution unter Pappnasen

Nicht jeder ist mit Fasching oder Karneval groß geworden. Wem die große Sause fremd ist oder fremd geblieben ist, dem kommt die Fünfte Jahreszeit schnell vulgär und peinlich vor. Doch war Karneval immer schon der Umsturz aller Ordnung, Schmach und Wut fanden ihr Ventil.

Von Jochen Wagner | 03.02.2008
    Helau, Alaaf! Auf zum Kehraus unterm Zepter des Prinzenpaars. Schnell noch eine Pappnase drauf, eine Spielzeugpistole umgehängt, auch wenn daraus kein Che Guevara mit einer Kalaschnikow wird, und dann tapfer hinein in den Betriebsfasching. So geht's heute nicht wenigen, die dann mal aus Notwehr mit dem Chef lachen müssen statt aus Sympathie.

    Dabei war der Fasching einmal der Umsturz aller Ordnung. Lachen, Tanzen und Maschkera waren die Revoluzzer im aufmüpfigen Augenblick. Dem Narr ging die political correctness am Arsch vorbei. Er zog vom Leder und die großen Kotzbrocken durch den Kakao. In der Bütt faschingsrechtlich vollstreckt, fanden so Schmach und Wut ein Ventil. Immerhin ein eingebildeter Triumph. Wenigstens in der Narhalla also durfte der Mensch göttlich ausschaun und tierisch abgehen.

    Oh 'carne vale', 'fliehendes Fleisch', in dem wir stecken und worin Lust und Tod hausen.
    Das Volk springt auf den 'car naval', den Himmelswagen, und lenkt sein Schicksal selber. Gnome und Kretins rächen sich, Fabelwesen und Missgeburten erobern die Straße. Die Scheinheiligen werden entlarvt. Ein Nussknacker gibt einen sympathischen Menschenfresser, ein schönes Luder eine 'grande Dame' ab - und dann tritt - wie 1756 in München - ein Casanova auf. So glüht der Febbraio, der Reiniger, alles in Schuld verstrickte Menschsein durch, bis es vollkommen unschuldig erscheint. Ist das nicht unser aller Tagtraum, der im Karneval (zu Köln, Basel, Imst, Venedig oder Rio) einen Verbündeten wittert? Wo die fünfte Jahreszeit den Durchbruch der Orgie feierlich gebietet: Fressn, saufn, hurn und schbeim, Kartn spieln und Kegl scheibn'?

    Man könnte trunken werden vor Nostalgie! Erst Weihnachten, Gott wird Mensch, ein commercium admirabile, keine Idylle, eine Revolution. Dann die nächste wundersame Verwandlung, die wie die antiken Saturnalien wiederum das Unterste zu oberst gekehrt.

    Caro cardo salutis, das Fleisch als Haken des Heils? Mitnichten, denn wo man sich ab 11e das Kölsch hinter die Binde schüttet oder ein Weißbier ins Hirn knallt, bleiben nur Suff und Stuss.

    Wo ist denn der Carnevalscorso noch ein hienieden nachgeahmter Lauf der Gestirne, eines tödlichen Wettlaufs, Theater Agon, zwischen Ordnung und Chaos, bis der kleine Mann endlich das Joch der Obrigkeit zerbricht? Wo erhebt sich denn der möblierte Mensch noch aus seinen Futteralen? Kontrolliert nicht, wie einst das Dogma, heute der Konsum alle Sinnlichkeit? Selbst wenn ein paar Weiber den Herren die Krawatten abschneiden, mehr als eine Touristengaudi ist der unsinnige Donnerstag doch nicht. Das ganzjährige Trallala hat auch die Bombenstimmung der Fasnet entschärft und im Schunkelfernsehen wimmelt es von harmlosen Phrasen auf zwei Beinen. Karneval, eine Rebellion?

    Anfangs ein Lichterzug, zuletzt Faschingsdienstag, zur Mitternacht eine Rakete noch in den Himmel. Statt dem Karnevalsprinz noch eine Maske verbrannt, bis der letzte Funke erloschen ist, ehe der Aschermittwoch beginnt. Der tolle Mensch muss nun seinen Rausch ausschlafen, dann kommt der Kater, die Passionszeit. Karneval, Karfreitag. Erst wird gejubelt, dann gekreuzigt.

    Helau, Alaaf! Karneval, einst Welttheater zum Zeitvertreib der Götter und heute Opium fürs Volk? Ja, die Kinder zappen noch hin und her zwischen Phantasie und Realität. Sie können, wie in der karnevalesken Redoute, ruckzuck ganz anders sein. Doch wir? Wehe, wer am Aschermittwoch seinen Chef noch duzt.