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Rezepte zu einem besseren Leben

Von Müttern, Disziplin, Chinesen und einer Reise zum eigenen Ich handeln die aktuell meist gelesenen Sachbücher in Deutschland. Die Autoren schreiben mal anschaulich, mal wirr, mal ohne Kenntnis, und mal sind sie schlicht rückwärtsgewandt.

Von Denis Scheck |
    Zeit für den literarischen Menschenversuch im Deutschlandfunk. Was geschieht mit einem Gehirn, das Monat für Monat abwechselnd die zehn in Deutschland meistverkauften Romane und Sachbücher von der ersten bis zur letzten Seite tatsächlich liest?

    Das Experiment läuft seit 1384 Tagen und ist für den Blutdruck die Hölle: so viele Bücher und kaum etwas zu lesen!

    Die aktuelle Spiegel-Bestseller-Liste Sachbuch

    inklusive eines längst überfälligen literaturkritischen Rollentauschs, Anmerkungen über Dr. Fu Manchu, der Wahrheit über Chefs und Untergebene, Aufklärung über die wesentlichen Merkmale des Lebens an sich sowie über den Unterschied zwischen Glück und Kind. In diesem Monat bringen die zehn meistgelesenen Sachbücher der Deutschen 4 Kilo und 312 Gramm auf die Waage: zusammen 2586 Seiten.


    Platz 10: Stefan Klein: "Zeit - der Stoff aus dem das Leben ist" (S. Fischer Verlag, 320 Seiten, 18,90 Euro)

    Stefan Klein schreibt wie kaum ein deutscher Wissenschaftsjournalist: einladend locker, aber nie seicht. Kleins neues Buch handelt von unserem Gehirn als Zeitmaschine, von der biologischen Uhr, die in jedem von uns tickt, und von dem paradoxen Umstand, dass wir gleichwohl selbst bestimmen, wie wir unsere Lebenszeit erleben. Ein gutes Sachbuch, das einem die Angst vor der verrinnen¬den Zeit zu nehmen versteht.


    Platz 9: Gabor Steingart: "Weltkrieg um Wohlstand" (Piper Verlag,
    400 Seiten, 19,90 Euro)


    Anschaulich schreiben wie Stefan Klein kann auch Gabor Steingart. Nur liest sich Steingarts durchaus plausible Warnung vor der neuen ökonomischen Stärke Asiens und dem angeb¬lichen "Termitenstaat" China mitunter wie eine antiquierte Hetzschrift gegen die gelbe Gefahr.

    ""China ist dem Wortsinne nach eine düstere Großmacht","

    so Gabor Steingart,

    ""weil wir nicht fühlen, was sie fühlen, nicht wissen, was sie denken, und nicht einmal ahnen, was sie planen.""

    Ehe wir jetzt alle in Panik vor Milliarden neuer Dr. Fu Manchus verfallen - Haben Sie es einfach mal mit Chinesisch lernen versucht, Hell Steingalt?


    Platz 8: Eva-Maria Zurhorst: "Liebe dich selbst und es ist egal wen du heiratest" (Goldmann Arkana, 382 Seiten, 18,90 Euro)

    Sollten Sie wirklich glauben, dass es egal ist, wen Sie heiraten, Hauptsache Sie lieben nur sich selbst, dann, ja dann können Sie schwerlich dümmer werden, indem Sie dieses Buch lesen.


    Platz 7: Joachim Fest: "Ich nicht" (Rowohlt, 368 Seiten, 19,90 Euro)

    "Ich nicht", das letzte und persönlichste Buch von Joachim Fest, ist die Geschichte einer deutschen Familie, die sich während der Nazizeit dem Anpassungsdruck um den hohen Preis des sozialen Abstiegs und der Isolation entzog. Weil diese Erfah¬rung universell ist und auch für heutiges Mitläufertum gilt, zählen Fests in wunderbar luzidem Deutsch geschriebenen Lebens¬erinnerun¬gen zu den Höhepunkten der biografischen Literatur unserer Zeit.


    Platz 6: Dietrich Grönemeyer: "Lebe mit Herz und Seele" (Herder Verlag, 221 Seiten, 16,90 Euro)

    Angeblich soll dieses Buch ein Beitrag zur Wertedebatte in Deutschland sein. Tatsächlich legt Dietrich Grönemeyer aber eine wirres und komplett unstrukturiertes Sammelsurium von schwammigen Meinungen zu so disparaten Themen wie Apparatemedizin und Straßenfußball, Kernkraft und Hausmusik. Leben mit Sinn und Verstand sieht anders aus.


    Platz 5: Katharina Münk: "Und morgen bringe ich ihn um!" (Eichborn Verlag, 173 Seiten, 14,90 Euro)

    Eine Sekretärin packt aus: so die verlockende Prämisse dieses Enthüllungsbuchs. Leider erschöpft es sich aber in der Aufzählung von Marotten diverser Vorgesetzter, ohne zu fragen, warum im Kapitalismus zwar Untergebene nachts unentwegt an ihre Chefs denken, diese Chefs nachts aber eher selten an ihre Untergebene. So ganz ohne die Machtfrage zu stellen, wird man diesem Phänomen, fürchte ich, nicht gerecht.


    Platz 4: Bernhard Bueb: "Lob der Disziplin." (List Verlag, 160 Seiten, 18 Euro)

    "Du gehst zu Kindern? Vergiss die Peitsche nicht!" Auf diesen Nenner lässt sich die pädagogische Streitschrift des langjährigen Leiters des Internats Schloss Salem bringen. In einer Gesellschaft, die nichts so sehr herbeisehnt wie einen konservativen Rollback, darf man das Gratismut nennen. Lob der Disziplin ist dennoch lesenswert: Bueb hat in meinen Augen die falschen Antworten. Aber er stellt die richtigen Fragen. Antworten darauf wird man eher im Buch finden, das einen Platz weiter vorn auf der Sachbuch-Bestsellerliste steht.


    Platz 3: Frank McCourt: "Tag und Nacht und auch im Sommer" (Deutsch von Rudolf Hermstein, Luchterhand Verlag, 336 Seiten, 19,95 Euro)

    Dass das Leben doch ein wenig bunter und vielfältiger ist, als sich deutsche Rohrstock-Pädagogen träumen lassen, was man als Lehrer von Fred Astaire lernen kann und warum zudem diese Werte, die es in der Schule zu vermitteln gilt, auch noch so eine verflixt relative Sache sind, all das erfährt man aus diesem amüsanten Memoirenbuch über Frank McCourts 30 Jahre als schlecht bezahlter Lehrer an amerikanischen High Schools in New York.


    Platz 2: Eva Hermann: "Das Eva-Prinzip" (Pendo Verlag, 264 Seiten 18 Euro)

    Ein Buch, das die vermeintlichen Erfolge der Frauenbewegung in Frage stellt, weil diese Bewegung gegen die Natur verstoße.

    ""Wir haben mit der Ordnung der Dinge gebrochen und zerbrechen nun selbst daran","

    so Eva Hermann. Dabei ist diese Emanzipationsbewegung doch noch längst nicht in alle gesellschaftlich relevanten Bereiche vorgedrungen, etwa in diese Kritik der Bestsellerliste. Zeit also für einen kleinen Rollentausch:

    Herr Scheck, bitte zum Diktat!

    Was darf ich notieren?

    Dieses Buch taugt nichts, weil Eva Hermann drei Dinge verwechselt: Kinder mit Glück, Gleichberechtigung mit Zufriedenheit und die Rolle der Frau, wie sie die Natur vorsieht, mit der Rolle der Frau, wie sie Deutschland unter Adenauer vorsah.

    Danke, Frau Funck.


    Platz 1: Hape Kerkeling: "Ich bin dann mal weg" (Malik-Verlag, 344 Seiten, 19,90 Euro

    Kerkelings Schnurren von einer Pilgerreise auf dem Jakobsweg besitzen Unterhaltungswert. Leider streut der Autor pseudo-philosophische Reflexionen in sie ein, die zu solch grunderschütternden Einsichten führen wie:
    ""Die wesentlichen Merkmale des Lebens sind Geburt und Tod.""

    Da hat Hape Kerkeling zweifellos recht, aber diese Art von Witzigkeit kennt leider enge Grenzen.