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Richard A. Bermann

Richard A. Bermann (d.i. Arnold Höllenriegel): Die Fahrt auf dem Katarakt Herausgegeben von Hans-Harald Müller Picus, 1998, 356 Seiten, 39,80 Mark

Tobias Gohlis | 02.12.1998
    Hans-Harald Müller: Richard A. Bermann K.G. Saur, 1998, 98 Mark

    "Sonderbar in seinem Mut, außerordentlich in seiner Güte" nannte ihn Hermann Broch, Alfred Polgar rühmte ihn als "mutigen Schreiber, der der Wahrheit auch die Ehre gab, wenn es gefährlich wahr, so zu tun". Der so hoch Gelobte war zu seiner Zeit ein berühmter Schriftsteller und so etwas wie ein Starjournalist, heute sind mit seinem Leben nur einige Fachleute der Exilforschung vertraut, und sein Werk ist in den Archiven versunken. Manchmal findet man eines seiner Bücher in einer Ausgabe der "Bibliothek der Bücherfreunde" im Antiquariat. Der Entdecker wird sich glücklich schätzen, denn Richard A. Bermann war einer jener weitläufig gebildeten und welterfahrenen Schriftsteller, die etwas zu erzählen hatten und dies auch konnten.

    Es ist der unermüdlichen Begeisterung einiger Literaturwissenschaftler und dem kanadischen Romancier Michael Ondaatje zu verdanken, daß Bermann in den letzten Jahren eine kleine Renaissance erlebt hat, die sich - so ist für uns Leser zu hoffen - zu einer großen auswachsen wird. Als die Deutsche Bibliothek in Frankfurt 1995 eine Ausstellung zu seinem Leben und Werk veranstaltete, veröffentlichte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" ein Foto, das Bermann als skurrilen Weltreisenden zeigte. Ein kleiner dicker Mann in Shorts, mit Tropenhelm und Lederjacke tut in einer unendlichen Sandwüste einen tapsigen Schritt, im Gleichgewicht gehalten nur durch seinen Stock. Fast scheint es, dem Mann mit dem verlegenen Lächeln sei schwindlig geworden. Aufgenommen wurde das Foto 1933 in der lybischen Wüste, in der Bermann mit dem ungarischen Abenteurer Almäsy nach der Oase Zarzura suchte. Sein Reisebericht war eine der Vorlagen zu Michael Ondaatjes großartigem Roman "Der englische Patient", der in Anthony Minghellas Verfilmung weltberühmt wurde. Kauz - so stilisierte er sich gern selber. Nun ziert das Bild vom Wüstenspaziergang den Einband seiner Autobiographie.

    Darin erweist sich das Bild vom weltsehnsüchtigen Kauz als liebenswert knabenhafte Selbststilisierung, hinter der Bermann sein überragendes literarisch-journalistisches Talent verbarg. Diese Autobiographie ist eine Entdeckung. Denn die Maxime des Reporters, sein "Ich nur als Beispiel" zu nehmen, verleiht seinem Lebensbericht eine Flüssigkeit und Eleganz, die man in den Beichten weit berühmterer Schriftsteller selten findet. Anekdotenreich und pointensicher entwirft er aus der Perspektive eines Zeugen der Jahrhundertkatastrophe Nationalsozialismus ein Panorama der untergegangenen Donaumonarchie, das literarisch jederzeit bestehen kann neben den Werken eines Joseph Roth. Dem Emigranten, der 1938 buchstäblich in letzter Minute vor den nach Österreich eindringenden Truppen Hitlers geflohen war, wird seine Lebensreise zur "Fahrt auf dem Katarakt".

    Geboren wurde Bermann 1883 als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Beamtenfamilie in Wien. Prägende politische Erfahrung seiner Jugend in Prag und der österreichischen Hauptstadt war nicht der Antisemitismus, sondern der nationalistisch aufgeheizte Zwist zwischen Tschechen und Deutschen, zu denen sich auch die bürgerlichen Juden rechneten. Als der junge Germanistikstudent sich bei seinem Professor vorstellt, wirft dieser gerade ein Faß Tinte zum Fenster hinaus, weil der Inhalt nicht von einer deutschen, sondern von einer tschechischen Firma hergestellt worden war. Die Umtriebe der Hitler beeinflussenden Rassenwahnsinnigen in Wien porträtiert Bermann ebenso kühl beobachtend wie die Berliner Vorkriegs-Bohéme. Ob Bermann die Wiener Kaffeehaus-Szene um den Poeten Peter Altenberg schildert oder die Irrenhausatmosphäre, in die er als Erzieher eines debilen Millionärssohns geriet, Bermanns Geschichten bewahren höchst lebendig die Erinnerung an eine untergegangene und auf den Untergang zutreibende Welt.

    Diese Schilderungen kulminieren in den Berichten, die Bermann aus dem 1. Weltkrieg mitbrachte. Gerade weil er Pazifist war, fühlte er sich verpflichtet, an der Seite der Soldaten in vorderster Front zu stehen. Als Mann, dem, wie er einmal notiert, "die Schädelerhöhung [fehlte], in der das Organ für den nationalen Chauvinismus sitzt", erkannte Bermann den Militarismus als Phänomen einer denaturierten Gesellschaft. Tapferkeit an der militärischen korrespondierte mit Raffinesse an der publizistischen Front. Bermanns Autobiographie enthält manches journalistische Lehrstück zur Umgehung von Zensur und zum Schmuggel von intellektueller Konterbande. Nach dem Krieg - beeindruckend seine Reportage über die Friedensverhandlungen von St. Germain, bei denen die sozialdemokratischen Vertreter der jungen österreichischen Republik von den Siegermächten gedemütigt werden entwickelte sich Bermann zum erfolgreichen Reiseschriftsteller. Als Auslands- und Kulturkorrespondent für Berliner und Prager Blätter bereiste er Irland und Indien, unter dem Pseudonym Arnold Höllriegel, unter dem er weitaus bekannter wurde als unter seinem bürgerlichen Namen, lieferte er Skizzen aus Berlin, Reportagen aus Hollywood, Interviews aus London. Mit Charlie Chaplin war der Cineast der ersten Stunde befreundet, mit dem Prinzen Hubertus von Löwenstein begründete er eine der wichtigsten Hilfsorganisationen des deutschsprachigen Exils, die "American Guild for German Cultural Freedom". Als deren Repräsentant kämpfte er bis zum letzten Augenblick in Wien für die Rettung vieler Intellektueller vor dem Faschismus, nach eigener Auskunft "so ziemlich der letzte Journalist von Namen und Ansehen, der noch offen gegen jede Art von Faschismus (...) aufzutreten wagte".

    Erschöpft macht sich der Gerettete daran, seine Lebenserinnerungen aufzuzeichnen. Doch sie blieben Fragment: Richard Bermann alias Arnold Höllriegel, immer schon von schwächlicher Konstiution, starb 1939 im amerikanischen Exil an Herzversagen. Der Hamburger Literaturwissenschaftler Hans-Harald Müller, der schon zu der erwähnten Frankfurter Ausstellung 1995 einen exzellenten Materialband zu Bermann erstellte, hat "Die Fahrt auf dem Katarakt" mit dem schönen Untertitel "Eine Autobiographie ohne Helden" aus Bermanns Nachlaß herausgegeben, ergänzt um weitere autobiographische Fragmente und Aufsätze von großer Eindringlichkeit. Mit Richard A. Bermann ist ein außergewöhnlicher Zeitgenosse wiederzuentdecken - mit Arnold Höllriegel ein Reiseschriftsteller voller Sentiment und Weltlust.