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Rücktritt nach rechter Hetze
"Eine Niederlage für die Demokratie"

Er engagiert sich seit Jahren für Asylbewerber in einem Dorf in Sachsen-Anhalt. Jetzt ist der Bürgermeister Markus Nierth zurückgetreten. Der Grund: Massive Bedrohung aus dem rechten Lager. Vor seinem Haus plante die NPD eine Demo, genehmigt von der zuständigen Behörde. Markus Nierth fühlt sich allein gelassen.

Von Christoph Richter | 10.03.2015
    Der zurückgetretene ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz (Sachsen-Anhalt), Markus Nierth, auf einer Dorfstraße.
    Der zurückgetretene ehrenamtliche Ortsbürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Dass wegen rechter Hetze ein ehrenamtlicher Ortsbürgermeister zurücktritt, sei ein verheerendes Signal, betont Sebastian Striegel, Abgeordneter der Grünen im Magdeburger Landtag:
    "Das ist eine Niederlage für die Demokratie und eine Niederlage für den Rechtsstaat."
    Wegen des Rücktritts des ehrenamtlichen Bürgermeisters Markus Nierth war bereits am Sonntag CDU-Innenminister Holger Stahlknecht im Namen der Landesregierung ins südliche Sachsen-Anhalt nach Tröglitz geeilt.
    "Ich sage deutlich, wir sollten uns nicht einschüchtern lassen, sondern gerade in solchen Dingen, politisch konsequent handeln und auch für Demokratie und Weltoffenheit stehen."
    Es müsse nahtlos aufgeklärt werden, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass eine NPD-Kundgebung vor dem Haus des ehrenamtlichen Ortsbürgermeisters genehmigt werden konnte, so Innenminister Stahlknecht weiter. CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff fordert Konsequenzen:
    "Der da heißt, dass wir frühzeitig Signale aufnehmen müssen und auch gemeldet bekommen müssen aus der kommunalen Ebene, wenn es darum geht, dass sich dort Prozesse ereignen, die diesem Grundgedanken der Weltoffenheit entgegenstehen."
    Demo vor Häusern ehrenamtlicher Politiker soll verboten werden
    Als erste Reaktion hat Innenmister Stahlknecht für kommende Woche nun einen Erlass angekündigt, der Demonstrationen vor den Häusern ehrenamtlicher Politiker in Sachsen-Anhalt künftig verbieten solle.
    Sebastian Striegel von den Grünen kann mit einer Verschärfung des Versammlungsrechts wenig anfangen. Er fordert stattdessen:
    "Wenn die Nazis vors eigene Haus kommen, kann es manchmal auch ein gutes Signal sein, dass Menschen sagen: "Wo ich stehe, kann kein Nazi stehen!" Das heißt, man hätte auch darüber nachdenken können, mit zivilem Ungehorsam vor dem Wohnhaus des Bürgermeisters eine Grenze aufzeigen können."
    Weil 44 Asylbewerber in Tröglitz in Wohnungen untergebracht werden sollen, organisiert der örtliche NPD-Kreistagsabgeordnete Steffen Thiel seit Monaten sogenannte Laternen-Umzüge. Gegendemonstrationen, wie man sie anderswo beobachtet, gibt es in Tröglitz aber keine. Weshalb Ex-Bürgermeister Nierth ein wenig verkniffen schaut, da er das gesellschaftliche Engagement aus der Mitte des Dorfes in Tröglitz schlicht vermisst. Ähnlich sieht es Jürgen Leindecker vom Städte- und Gemeindetag in Sachsen-Anhalt:
    "Entscheidend ist, dass die eigenen Bürger ihrem Bürgermeister den Rücken stärken, die Bürgerschaft muss hinter ihrem Bürgermeister stehen. Das ist der wichtigste Aspekt dabei."
    Schwere Vorwürfe an CDU-Landrat
    Von einem braunen Dorf Tröglitz, in dessen Nähe das mittelalterliche Naumburg liegt, das den UNESCO-Weltkulturerbe - Titel beantragt hat, will aber keiner sprechen. Stattdessen beobachten Anwohner, dass seit zehn Wochen allsonntäglich 80 bis 120 rechte Demonstranten und Sympathisanten aus der Umgebung nach Tröglitz gebracht würden.
    "Ja, wir sind entsetzt, dass junge Leute hier gegen Ausländer auf die Straße gehen, die bei uns Zuflucht suchen. Und wir wundern uns, wo die jungen Leute ihre Ansichten hernehmen, denen es doch gut geht", sagt Anwohnerin Uta Michel. Sie kann Ex-Bürgermeister Markus Nierth verstehen, dass er ungehalten ist und dem CDU-Landrat Götz Ulrich schwere Vorwürfe macht.
    Weil er es zugelassen habe, dass eine NPD-Kundgebung direkt vor seinem Haus stattfinden sollte. Weshalb der selbstständige Trauerredner Markus Nierth zur Zielscheibe der Rechten wurde und nun von seinem Amt als ehrenamtlicher Ortsbürgermeister, das er seit fünfeinhalb Jahren bekleidet hat, zurückgetreten ist.
    "Was viel schlimmer ist, ist doch das Signal, was jetzt schon auf den sozialen Netzwerken gefunkt wird: "Ha, ha wir haben es geschafft den kleinen Ortsbürgermeister abzusägen. Jetzt gehen wir zum Nächsten". Das kann nicht sein."
    Das Pikante an der Geschichte: Erst nachdem Ortsbürgermeister Nierth aus Angst um die Sicherheit seiner Familie zurückgetreten ist, weil der siebenfache Vater seine Kinder nicht den hasserfüllten Parolen von mehr als hundert Neonazis aussetzen wollte, ist der Landkreis umgeschwenkt. Zu spät. Denn noch bevor man beim Landkreis überhaupt etwas unternahm, klagt Markus Nierth, hatte die NPD bereits von sich aus den geplanten Aufmarsch vor seinem Haus abgesagt:
    "Das heißt: Die NPD ist freiwillig zurückgewichen und der Burgenlandkreis hat mich nicht geschützt."
    Heftige Vorwürfe, die Landrat Götz Ulrich energisch zurückweist. Er beruft sich auf die Gesetzeslage, und sagt, dass man alles richtig gemacht hätte:
    "Und dann stellt sich natürlich die Frage, ob eine solche Demonstration, wenn sie denn an dem Haus von Herrn Nierth vorbeiläuft, ob die verboten werden kann."
    Da hätten seine Mitarbeiter keine Probleme gesehen, weshalb die rechte Kundgebung vor seinem Haus anfänglich auch genehmigt wurde, so Landrat Ulrich weiter.
    Markus Nierth ist immer noch, wie es scheint, fassungslos und hätte sich vom Landrat mehr Empathie für seine Situation gewünscht, sagt er noch. Und erzählt, dass er sich in die Situation von Flüchtlingen gut reinversetzen könne, da er selbst mal Flüchtling war. Denn Mitte der 1980er Jahre ist er als 16-Jähriger zusammen mit seinen Eltern aus der DDR in die Bundesrepublik geflohen.