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"Ruhrepos" bei den Ruhrfestspielen
Auf der Suche nach Form und Sinn

1927 sollte Bertolt Brecht im Auftrag der Stadt Essen eine Industrieoper schaffen. Antisemitische Proteste verhinderten das Projekt. Nun hat Albert Ostermaier aus den Konzepten ein eigenes Stück entwickelt. Der "Ruhrepos“ feierte in Recklinghausen Uraufführung.

Von Stefan Keim | 14.06.2018
    "Die verlorene Oper. Ruhrepos" bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen
    "Die verlorene Oper. Ruhrepos" bei den Ruhrfestspielen in Recklinghausen (Ruhrfestspiele / Katrin Ribbe)
    Es sollte ein revolutionäres Werk werden, inhaltlich wie ästhetisch. Eine Oper, die das Leben der Arbeiter spiegelt, mit Filmen, einer ebenso populären wie anspruchsvollen Musik von Kurt Weill, mit Texten von Bertolt Brecht. Rekonstruieren lässt sich dieses Stück nicht, es wurde nie geschrieben, nur recherchiert und konzipiert. Das Ensemble des Staatsschauspiels Hannover arbeitet sich in die historischen Hintergründe und die künstlerischen Debatten der Zeit hinein. Zum Beispiel in Brechts Theorie des epischen Theaters.
    "Hör doch mal auf hier! Dieses Einfühlungstheater ist zum Kotzen! Ja, dieses ständige hier rein, nee, das muss einfach kommen. Da musst du mir jetzt nicht einflüstern wie ich mich fühle. - Und genau diese Einsichten decken sich mit denen von Weill. - Jetzt hör doch mal auf!"
    Müde Scherze
    Fast zweieinhalb Stunden dauert der erste Teil der Aufführung, ein überlanger Prolog, durchsetzt mit Kommentaren zu Gegenwart und Geschichte des Theaters. Die Spieler stellen fest, dass sie sich gerade in einer Textfläche befinden, kalauern ein bisschen über Elfriede Jelinek und attackieren die Jury der Mülheimer Stücketage, die Jelinek oft ausgezeichnet hat. Jeder müde Scherz, über den auf der Probe jemand gelacht hat, scheint den Weg in die Aufführung gefunden zu haben.
    Dabei gelingen den Schauspielern immer wieder witzige Momente. Zum Beispiel wenn sie eine E-Mail, in der über die technischen Probleme ihres Bühnenbildes debattiert wird, im Stil einer Opernarie singen. In diesem Ensemble steckt gewaltiges Potenzial. Aber die Schauspieler finden keinen Fokus, spielen herum, brüllen viel, produzieren Nümmerchen und nehmen jede Kritik selbstironisch vorweg.
    "Gibt´s denn hier keinen Dramaturgen?" fragen sie und machen sich über den Regisseur Arnasson lustig, der mit Vornamen Thor heißt - wie der mythische Gott und Superheld aus dem Marvel-Universum. Schließlich geht es um die Entstehung des Stücks. Ein Darsteller verkörpert einen Schriftsteller mit Schreibhemmung, in ihm verschmelzen Bert Brecht und Albert Ostermaier.
    "Ich schreibe ja, meine innere Stimme, vielleicht. Nur die innere Stimme der Vernunft ist laut. Sie sagt, hör auf! Schreib` Gedichte, leg dich in den Schnee, erfriere! Höre Schubert!"
    Triste Nabelschau
    Im Hintergrund unterlegt ein Pianist den größten Teil des Abends mit einem Klangteppich aus Monteverdi, Romantik und kurzen Passagen, die an Kurt Weill erinnern. Dann ist Pause. Ungefähr die Hälfte des Publikums verlässt erschöpft das Theater. Es folgt das eigentliche Stück. Albert Ostermaier hat einige Texte über das Ruhrgebiet schrieben, größtenteils Gedichte, aber auch kurze Szenen. Sie handeln von einem eingeschlossenen Bergmann, von Brieftauben, auch von den sogenannten Ewigkeitskosten. Also dem Geld, das ausgegeben wird, um nach dem Ende des Bergbaus die Stollen zu stabilisieren. Sonst würden manche Städte absaufen.
    Manche Formulierungen funkeln und berühren, andere sind klischeehaft. Die Schauspieler tragen diese Texte in Harlekin- und Clownskostümen vor, begleitet von Barockmusik, ein überdeutlicher Verfremdungseffekt. Meist sieht man sie nur über Video. Mehrere Bilder werden übereinander auf einen durchsichtigen Vorhang projiziert, alles wirkt verwaschen. Es entsteht ein eigenartiger Flow, garniert mit dokumentarischen Filmszenen. Der zweite Teil vermittelt immerhin die Ahnung von einem heutigen Ruhrepos.
    Dass er erst nach fast drei Stunden beginnt und nur noch einen Teil des Publikums erreicht, ist schade. Wie oft in letzter Zeit verlieren sich die Theatermacher in Kantinenscherzen und Nabelschau. Sie scheinen sich viel mehr für sich selbst als für das verhandelte Thema zu interessieren. Eine Haltung zur Wirklichkeit entwickeln sie nicht. Das wäre für Brecht und Weill nicht genug gewesen.
    Plattform ohne Profil
    Das "Ruhrepos" ist die letzte große Premiere der Ruhrfestspiele in diesem Jahr. Nach 14 Jahren verlässt Intendant Frank Hoffmann das Festival. Seine Bilanz ist gemischt. Er hat eine große Vielfalt an Stilen und Inhalten präsentiert und das Angebot immer weiter vergrößert, Stars eingeladen, mehrere kleine Reihen von Fringe bis Kabarett installiert. Dadurch wurde das Festival aber auch zum Durchlauferhitzer für Aufführungen, die in rasantem Tempo wechselten. Die Ruhrfestspiele sind eine große Plattform ohne eigenes Profil. Das zu ändern und gleichzeitig populär zu bleiben, wird die große Aufgabe für Frank Hoffmanns Nachfolger.