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Ruhrfestspiele Recklinghausen
Flüchtlinge und Zombies

Der dänischer Dramatiker und Konzeptkünstler Christian Lollike sorgte vor drei Jahren für Furore, als er das Manifest des Massenmörders Anders Breivik verlesen ließ. Nun hatte sein neues Stück "Die lebenden Toten" Uraufführung bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen. Es ist ein Versuch, die Flüchtlingsproblematik mit Zombie- und Gruselmetaphorik auf die Bühne zu übertragen.

Von Dorothea Marcus | 25.05.2016
    Der dänische Regisseur und Autor Christian Lollike sitzt am 15.10.2012 in einem Café-Theater in Kopenhagen.
    Der dänische Regisseur und Autor Christian Lollike 2012 in einem Café-Theater in Kopenhagen. (picture alliance / dpa / Erik Refner)
    "Wovor hast du Angst?" – "Vor allem den Schwarzen." – "Diesem hungrigen und alles verschlingenden Zombieheer, das auf Europas Küsten zuhält und sich von nichts aufhalten lässt. Nicht von Krieg, Seenot, Meerestieren, herzlosen Schmugglern oder EU-Grenzwachen."
    Kann man so unverhohlen rassistische Meinungen heute öffentlich sagen? Offenbar ja, wenn man sich in einem klar erkennbar als Kunst gekennzeichneten Werk zugleich ironisch davon absetzt und das eigene Denken mitreflektiert. Das ist das Prinzip von "Die lebenden Toten" des dänischen Dramatikers und Konzeptkünstlers Christian Lollike. Sein Stück ist ein Wirrwarr aus Meinungen, Rollen und Haltungen zur Flüchtlingsfrage. Sie scheinen teilweise ungefiltert aus sozialen Medien abgekupfert zu sein. Die Figuren A, B und C sind offenbar Künstler, die alles dürfen, da sie sich von allem ironisch und reflexiv distanzieren können. Sie deklinieren alles an unkorrekten Vorurteilen, Panikszenarien, Mitleidsverlautbarungen, Schicksalszeugnissen durch, das in der Medienwelt privilegierter Westgesellschaften heute alles so zum Thema "Geflüchtete" herumschwirrt. Jede Haltung wird zugleich immer wieder infrage gestellt. Verbrämt werden die Sätze auch mit Gedanken zur eigenen Wettbewerbssituation als Schauspieler, die es manchmal auch nur zu Tellerabwäschern bringen.
    "Hast du eigentlich die Rolle als Tellerwäscher bekommen? Nein. Und weißt du warum nicht? Die ging an Ali oder Mahmoud."
    Und ist nicht auch die Mittelmeer-Überquerung ein einziges Casting?
    "Sie sind von der African Actors Academy geflohene Schauspieler. Sie wirken mit an der großen Vorstellung im europäischen Theater. Schwarze Unterprivilegierte, Ausgehungerte, Verzweifelte, Arme, besudelte Opfer. Wenn sie ankommen, werden sie die Rolle ihres Lebens spielen."
    Regisseur Tilman Köhler verpasst dem ausufernden Text eine Rahmenhandlung, der das Stück immerhin strukturiert: Drei Schauspieler drehen einen Zombiefilm. Auf einer mit Sand bedeckten Bühne stehen zwei sargartige Schränke, aus denen die Grusel-Utensilien geholt werden. Gummimasken und Vampir-Gebisse, ein Sandhaufen, aus dem sich Zombie-Hände strecken, viel Bühnennebel. Auf einer großen Leinwand werden Livekamera-Bilder und vorproduzierte Filme übertragen. Und während die Filmemacher permanent diskutieren, wie ihr Film denn aussehen könnte, spiegeln sie zugleich den europäischen Selbstekel, die Schuldgefühle und die Ratlosigkeit der Wohlstandsbürger. Den Begriff Zombie, der am Anfang rassistisch auf schwarzen Geflüchteten lag, wenden sie zunehmend auf sich selbst und die eigene Empathielosigkeit an. Immer wieder werden auch die Fragen der Repräsentation verhandelt: Dürfen Europäer überhaupt von Fluchtschicksalen sprechen? Und in welcher Weise?
    Beeindruckend ist jene Szene, in der sich die Darstellerin Antje Trautmann von ihren Kollegen bis zur Erschöpfung waterboarden lässt. Die Live-Kamera fängt ihr riesiges, zunehmend aufgedunsenes Gesicht vom Grund der Plastikschüssel ein: So ähnlich sieht wohl auch Ertrinken aus, im Massengrab Mittelmeer. Und ist eben doch nur eine jämmerliche Theaterimitation, ein aufgesetzter Leidensporno.
    "Man hat keinen Haltepunkt. Kann man sich hier mit den anderen Zombies auf der Straßen rumtreiben." - "Davor hast du also Angst? Arbeitslos zu sein?"
    Die Schuld am diffusen Weltelend wird einem undefinierbaren neoliberalen Kapitalismus zugeschrieben. Und so ist "Die lebenden Toten" mal wieder ein Stück über die europäische Ratlosigkeit, über Angst und Selbstekel der Privilegierten, über den miesen Zustand des europäischen - Einfühlungsvermögens. Eins von so vielen, die zur Zeit auf deutschsprachigen Bühnen Hochkonjunktur haben. Wie viel interessanter wäre es doch, statt einer sinnlosen Selbstbespiegelung auch mal echte Antworten zu liefern. Nach diesem zynisch-wohlfeilen Abend sehnt man sich nach echtem politischen Aktivismus. Oder möchte gleich den Geflüchteten von nebenan besuchen.