So lautet eine Selbstbeschreibung Maxie Wanders aus dem Jahr 1972. Geboren wurde sie als Elfriede Brunner, genannt Fritzi, am 3.1.1933 in Wien. Die Eltern sind Kommunisten. Sabine Zurmühl schildert in ihrer Biografie die materiell überaus bescheidenen Verhältnisse, in die Maxie hineingeboren wurde, und versucht, das Milieu im Wiener Arbeiterviertel Hernals bis in den Dialekt hinein lebendig werden zu lassen. Dabei konzentriert sie sich auf das engste familiäre Lebensumfeld und gibt nur gelegentlich Hinweise auf die Zeitläufte: auf Hitler, den Anschluss Österreichs, den Zweiten Weltkrieg. Eine Einordnung der Fritzi Brunner alias Maxie Wander in die historischen und sozialen Verhältnisse dieser Zeit aber findet nicht statt.
Zu den angenehmen Seiten dieses Buches gehört, dass die Autorin keine psychologischen Deutungsversuche an der Person Maxie Wander unternimmt. Sie wird nicht erklärt, sondern "nur" in ihrer Komplexität beschrieben. Die Kehrseite dieser Vorgehensweise ist, dass es keine wirkliche Annäherung an Maxie Wander gibt. Es bleibt immer eine Distanz, die Zurmühl zu kompensieren versucht, indem sie die strenge Form der Biografie verlässt und fiktive Sätze einbaut - als ungekennzeichnete, direkte Rede in Wiener Mundart. Dabei ist nicht immer klar, wer die Sprecher dieser Sätze gerade sein sollen. In den Kapiteln über Kindheit und Jugend finden sich solche Einschübe häufig. Z.B. als Zurmühl Maxies Stottern mit der Geburt ihres Bruders im Jahr 1940 in Zusammenhang bringt und dabei fragt:
"Wird die Luft eng? Gibt es Dramen mit dem cholerischen Vater, wie manche Freunde vermuten, der vielleicht die Nerven gegenüber seiner jetzt Ältesten verliert, der durchaus gewalttätig werden kann? (...) Eine Hürde offensichtlich. Eine Hürde, selbst gebaut, für Dinge, die gesagt werden wollen und nicht sollen. Das Kind stottert. Also a Lehrerin kannst so aber net wern!"
Zurmühl zeichnet das Bild einer lebenslustigen jungen Frau, die früh sexuelle Erfahrungen macht, einmal auch ungewollt schwanger wird und eine Abtreibung vornehmen lässt. Sie bricht die Schule ab, arbeitet in verschiedenen Stellungen und lernt schließlich 1952, als 19-Jährige, Fred Wander kennen. Dieser, geboren 1917 als Fritz Rosenblatt, ist Jude und Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald. In Wien arbeitet er zu diesem Zeitpunkt als Journalist und versucht sich als Schriftsteller etablieren. Fred ist ein Geschichtenerzähler und Maxie seine aufmerksame Zuhörerin. 1956 heiraten sie, und mit der Heirat ändert Fritzi ihren Namen: in Maxie, einen Künstlernamen.
1955 wird Fred Wander eine Stellung am Leipziger Literaturinstitut Johannes R. Becher angeboten. Er nimmt an, und 1958 zieht das Ehepaar Wander in die DDR. Leider skizziert Zurmühl die damalige politische und kulturelle Situation in der DDR nur sehr knapp. Welchen Status hatten die Wanders, als Ausländer mit Reisemöglichkeiten? Wie war die offizielle Sicht auf sie? Wo waren sie integriert, wo ausgegrenzt? Der Schluss liegt nahe, dass die Autorin sich einen Leser denkt, der die Verhältnisse aus eigener Erfahrung kennt und schon einiges von und über Maxie Wander gelesen hat. Ein Buch für ein ostdeutsches Publikum also.
Sabine Zurmühl hat recherchiert, dass Maxie und Fred Wander bei Zuzug in die DDR inoffizielle Mitarbeiter des Ministeriums für Nationale Verteidigung wurden. Wobei sie gleichzeitig als Künstlerehepaar auch vom Ministerium für Staatssicherheit bespitzelt wurden. Später, 1975, versuchte die Stasi Fred Wander als IM zu gewinnen. Maxie Wander wurde 1975 nicht angeworben, und nach ihrem Tod 1977 galt Fred Wander dem Mielke-Ministerium als unzuverlässig und nicht mehr steuerbar. Anstatt jedoch herauszuarbeiten, was die Motivation des Ehepaars für die IM-Tätigkeit war und worüber es konkret berichtete, wartet Zurmühl nur mit Fragen auf:
"Ist es ihnen unangenehm gewesen? Haben sie sich geschmeichelt gefühlt? Wollten sie sich dem Status als Gäste, umworbene Gäste, materiell unterstützte Gäste, gewachsen zeigen? Für Ostberlin hatten sie sich entschieden, für Westberlin hatten sie nur Spott und Hohn übrig, dieser Stätte des Bürgertums, der neuen Adenauer-Sattheit. Vielleicht haben sie es überaus richtig gefunden, dass sie auf ihre bescheidene Weise in dem anderen Deutschland zur Stärkung und Aufklärung beitragen können. Will Fred sich keine neuen Feinde schaffen, weil er das wohl nicht mehr aushalten würde? Aus Feinden können Verfolger werden, aus Verfolgern Mörder. Das hat er erlebt. Will er es jetzt anders machen, vielleicht durch Mitmachen?"
Maxie Wander war zwar überzeugte Kommunistin, aber hinterfragte zugleich den real existierenden DDR-Sozialismus. Doch Reibungspunkte, Konfrontationen mit Obrigkeiten und Staat werden von Zurmühl nur punktuell behandelt. Welche Rolle Politik im Leben der Wander spielte, wird nicht klar herausgearbeitet. Maxie Wander war auf jeden Fall eine Frau, die kein Blatt vor den Mund nahm. Als ein Geschenk-Päckchen mit Briefmarken aus dem Ausland für ihren Sohn vom Zoll eingezogen wird, schreibt sie wütend an die Zollverwaltung nach Potsdam:
"Wahrscheinlich werde ich unseren Bekannten in Lausanne Ihren freundlichen Brief zuschicken. Ob er gerade Reklame für unseren sozialistischen Staat machen wird, überlasse ich Ihrem Scharfsinn, vorausgesetzt, dass Sie sich überhaupt Gedanken machen! Und Ihnen, werter Herr Zollkommissar, möchte ich noch gerne sagen, dass deutsche Gesetzeshüter schon immer die unerbittlichsten und kleinlichsten waren, nur haben wir inzwischen erfahren, dass sozialistische Gesetzlichkeit menschlicher gehandhabt wird. Sie aber gehören wohl noch zur alten Garde, die Bagatellen mit der ganzen Härte des Gesetzes ahndet. Maxie Wander."
Maxie Wander - zumindest dies wird deutlich - muss angesichts ihrer Lebendigkeit und Freiheitsliebe sehr unter der räumlichen und geistigen Enge der DDR gelitten haben. Sie vermisste ihre Heimat, ihre Familie und Freunde, und sie schrieb täglich mehrere Briefe. Sie und ihr Mann steckten in dem Dilemma, wohl nur in der DDR als Künstler existieren zu können, sich aber dort nicht wirklich heimisch zu fühlen. Zurmühl betont, dass Fred Wander als Verfolgter des Nationalsozialismus und Heinrich-Mann-Preisträger einen besonderen Status in der DDR innehatte.
Sehr gut gelingt es der Autorin darzustellen, wie sich Maxie Wander in ihrem Lebenshunger und ihrem Selbstverständnis als Frau Unabhängigkeit, Freiheit und Gleichberechtigung erkämpft. Beharrlich arbeitet sie daran, Schriftstellerin zu werden, und 1966 wird erstmals eine Kurzgeschichte von ihr veröffentlicht. 1968 verunglückt Maxies Tochter tödlich beim Spielen. Diesen Schicksalsschlag verkraftet sie nicht wirklich; er bleibt eine schmerzende Wunde bis zu ihrem eigenen Tod. Sie schrieb über sich selbst:
"Man kann traurig sein und sogar verzweifelt und kann in der gleichen Stunde essen, trinken, mit Leuten reden und sogar lachen! [...] Ich bin ein Ungeheuer. [...] Mein Kind ist tot, und die Menschen denken, es geht vorbei."
Eindrucksvoll vermittelt Sabine Zurmühl die Trauer und auch die Zerrissenheit der Wander. Auf der einen Seite die große Liebe zur Familie, ihre Fürsorglichkeit, auf der anderen Seite ihr Jähzorn und ihre Gewalt, vor allem gegenüber dem Ziehkind Berti. Unter ihren Ausbrüchen litt sie zugleich bis zur Selbstzerfleischung. Unklar bleibt, in welchem Zusammenhang die Krebserkrankung und ihre Zornesausbrüche stehen, auf den Zurmühl hinweist. Einfühlsam gelingt ihr schließlich die Beschreibung des Krankheitsverlaufs.
"Das Leben, dieser Augenblick" . Bei der Lektüre dieses Porträts von Maxi Wander merkt man, dass sie von ihrer Biografin verehrt wird. Dabei ist das Buch keineswegs beschönigend oder unkritisch, aber der Blick ist stets und fast ausschließlich auf die Figur im Vordergrund, auf Maxie Wander, gerichtet. Es geht um die Offenlegung ihrer weithin unbekannten Seiten, ohne dabei ihre Person und Persönlichkeit zu beurteilen. Ein ähnliches Verfahren hatte Maxie Wander selbst bei ihren Frauenporträts in "Guten Morgen, du Schöne" angewendet. Die Protagonistinnen sprachen in ihren Monologen mit erstaunlicher Offenheit den Leser direkt an. Eine Kommentierung oder Kritik gab es von Seiten Maxie Wanders nicht.
Sabine Zurmühls Lebensbeschreibung der Maxie Wander ist sicher eine wertvolle Ergänzung zu den bereits veröffentlichten Tagebuchaufzeichnungen und Briefen, aber unbefriedigend bleibt die mangelnde Einbettung ihrer Biografie in das historische und gesellschaftliche Umfeld. Interessant wäre eine Beschreibung der politischen Maxie Wander gewesen - das Porträt hätte dadurch deutlichere Konturen gewinnen können.
Sabine Zurmühl: Das Leben, dieser Augenblick. Die Biografie der Maxie Wander. Henschelverlag, Berlin, 319 Seiten für 39,80 DM.