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Sachsen-Anhalt
CDU-Basis muckt gegen Merkel auf

Im März wird in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt. Bestimmendes Thema: die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin. Auch bei der CDU-Basis. Konservative CDU-Mitglieder fordern einen Flüchtlingsstopp, geschlossene Grenzen sowie den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, wenn es sein muss.

Von Christoph Richter | 21.01.2016
    Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an der 148. Sitzung des Deutschen Bundestages teil.
    Der Ton gegen Kanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik verschärft sich. (picture alliance / dpa /J örg Carstensen)
    "Am Stuhlbein will niemand sägen, weil ihre Verdienste viel zu groß sind, als dass wir einen Grund hätten, an ihrem Stuhlbein zu sägen..."
    ...Lars-Jörn Zimmer. 45, CDU-Landtagsabgeordneter aus Bitterfeld. Katholik. Dünnes Haar, randlose Brille.
    "Wir wollen einfach die Stimmung von der Basis, die Stimmung der Straße nach oben tragen. Aber irgendwann sind auch wir an die Grenzen angelangt. Und das hoffen wir, dass das auch so in der Bundesregierung gesehen wird."
    Kritik an Merkels Flüchtlingspolitik
    Betriebswirt Zimmer ist Mitbegründer des Konservativen Kreises, eine Art Oppositionsbewegung innerhalb der CDU Sachsen-Anhalts. Auch in diesem Kreis verschärft sich aktuell der Ton gegen die Kanzlerin Angela Merkel und ihre Flüchtlingspolitik. "Man kann nicht die Hände aufreißen, alle Türen aufmachen und sagen, kommt alle rein. Ohne zu überlegen, wie viele noch ins Haus reinpassen."
    Erich Mühlbauer. Ingenieur aus Eisleben. Nadelstreifen-Anzug, Oberlippenbart. Auch seine Wahrnehmung wird derzeit davon geprägt, dass im März in Sachsen-Anhalt gewählt wird. "So wie es momentan läuft, wird von vielen nicht akzeptiert. Das sollte man auch als Zeichen nach oben hin setzen. Das ist keine Bösartigkeit. Das ist kritisches Hinsehen, kritisches Beobachten, kritisches Erleben. Und ich denke, das sollte man der Kanzlerin sagen, dem Ministerpräsidenten sagen. Oder wer auch immer Verantwortung trägt."
    Bei Rentner Hermann Förster haben sich tiefe Furchen ins Gesicht gegraben. Wütend knetet der frühere Automechaniker seine massigen Hände, der Schnäuzer bebt. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist er in der CDU. "Mal ein bisschen stacheln. Denkt mal nach, warum ist es so. Und wie können wir es ändern, die ganze Sache, dass es nicht aus dem Ruder läuft."
    Die Christdemokraten im Landkreis Anhalt-Bitterfeld sind aufgewühlt. Treffpunkt des konservativen Kerns in Sachsen-Anhalt ist eine Almhütte, an der Bitterfelder Goitzsche zwischen Halle und Leipzig. Ein See, der einst ein Tagebau-Loch war. An der Decke der Hütte baumeln bedrohlich dutzende Kuh-Glocken. Rund 20 Männer haben sich versammelt. Sachsen-Anhalter mit ernster Miene. Keine Schulhof-Rüpel, sondern Konservative mit klarem Kompass. "Es muss möglich sein in Deutschland, in seinem Vorgarten, eine schwarz-rot-goldene Fahne hissen zu können, ohne sich dabei Gedanken zu machen. Es muss möglich sein, über Dinge, die dieses Land geleistet hat, auch stolz zu sein."
    CDU-Mitglied Ingo Gondro trägt eine schwarz-rot-goldene Krawatte, Gold glänzen auch die Manschettenknöpfe. Er spricht von "Völkerwanderung" oder "Asylantenflut". "Wir laufen doch Gefahr, dass unsere konservativen Wähler, unsere konservativen Mitglieder abdriften in Richtung AfD oder andere Richtungen. Das kann nicht unser Wollen sein. Wir möchten gerne dafür sorgen, dass wir unsere konservativen Wähler, unsere konservativen Mitglieder auch bei der Stange halten."
    Innerparteiliche Rebellen sehen sich bestätigt
    Bestätigt sehen sich die innerparteilichen Rebellen durch den Mitgliederschwund. Insgesamt 7.100 Mitglieder hat die CDU im Frühaufsteher-Land, vor fünf Jahren waren es noch mehr als 7.700. Allein im vergangenen Jahr hatte die CDU Sachsen-Anhalts über 600 Austritte zu verzeichnen. Weshalb die Konservativen gestern einen offenen Brief an Merkel ins Bundeskanzleramt geschickt haben, der sie heute erreicht haben muss.
    "Wer geglaubt hat, dass Einwanderung von über einer Million Menschen, überwiegend aus dem islamisch-arabisch geprägten Raum, keine kulturellen Auswirkungen auf unsere Gesellschaft haben wird, kann nur als naiv bezeichnet werden. Ein Staat, der die Hoheit über seine eigenen Staatsgrenzen aufgibt, hat aufgehört, ein souveräner Staat zu sein."
    Die Briefschreiber dringen auf eine Kurs-Korrektur, die Forderungen ähneln stark allem, was zuletzt auch von der CSU zu hören war. Angriffspunkt der Konservativen in Sachsen-Anhalt war lange der eigene Ministerpräsident Reiner Haseloff. "Es liegt an uns, ob wir in einer toleranten und weltoffenen Gesellschaft leben, und Menschen aus anderen Teilen der Erde sich in unserer Gesellschaft wohl- und sicher fühlen. Für eine aufrichtige Willkommenskultur können wir alle." So sprach CDU-Ministerpräsidenten Haseloff nach dem Brandanschlag auf das Flüchtlingsheim in Tröglitz, im April vergangenen Jahres. Lange her, denn Haseloff ist umgeschwenkt und spricht nun von einem Kontrollverlust, den man nicht länger hinnehmen dürfe. Ein Sinneswandel, den sich die Konservativen stolz auf ihre Fahnen schreiben.
    "Ja, das ist auch richtig so, das ist auch unsere Absicht."Für CDU-Mitglied Ingo Gondro kommt es nicht von ungefähr, dass Innenminister Holger Stahlknecht nun strikte Grenzkontrollen fordert. "Ich glaube kaum, dass wir als Nationalstaat sagen werden, wir sind nicht in der Lage unsere eigene deutsche Außengrenze vernünftig zu kontrollieren." Gondro lächelt. In der Hand hält der 48-jährige Wirtschaftsförderer ein Handgelenk-Täschchen, indem sich die Zigaretten und sein Handy befinden.
    In der CDU-Landesspitze will sich kaum einer zu den Partei-Rebellen äußern. André Schröder, Unions-Fraktionschef im Magdeburger Landtag, ist Sympathisant des Konservativen Kreises. "Ich bin in der Tat der Meinung, dass es erlaubt sein muss, dass in einer großen Volkspartei Zusammenschlüsse existieren, die auch Beiträge zur innerparteilichen Meinungsbildung liefern."
    Revolution, das ruft hier keiner. Aber gegen Merkels Kurs wollen die Konservativen und große Teile der CDU in Sachsen-Anhalt schon Stimmung machen. Wahltag ist am 13. März.