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Santa Cecilia vor dem Aus

Das berühmte Musikkonservatorium Santa Cecilia ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Musik-Uni steckt mit mehr als einer Million Euro in der Kreide - und das italienische Universitätsministerium legt die Hände in den Schoß.

Von Thomas Migge | 01.10.2009
    Giulio De Castro spielt auf der Violine, am Klavier begleitet ihn eine Kommilitonin. Es wird in einem kleinen Saal gespielt. Als der Musikstudent morgens in das römische Konservatorium Santa Cecilia kam, wusste er noch nicht, wo an diesem Tag die Lektion stattfinden wird. Offiziell verfügt der 24-jährige angehende Violinist über eine Art Stundenplan, in dem genau angegeben ist, wo die einzelnen Unterrichtsstunden stattfinden, aber die Wirklichkeit, erklärt er, sieht anders aus:

    "Als ich mich für diesen Kurs immatrikulierte, dachte ich wirklich nicht, dass es hier so zugeht! Ich bin ja kein Einzelfall. Die meisten wissen nicht, wo sich unterrichtet werden. Das hier ist ein heilloses Durcheinander. Das ganze Gebäude müsste überholt worden. Ich habe mir mehr erwartet."

    Eigentlich wollte De Castro zunächst in Mailand an das Konservatorium, blieb aber in Rom, weil die Stadt viel schöner sei als die graue Metropole im Norden. Heute bereut er seine Entscheidung, denn das altehrwürdige Conservatorio Santa Cecilia sei nur noch ein Schatten seiner selbst.

    Vor 130 Jahren als klassisches staatliches Konservatorium gegründet - allerdings mit einer Tradition, die auf die Renaissance und auf den Komponisten Giovanni da Palestrina zurückgeht – galt die Bildungseinrichtung in der Via die Greci, nicht weit von der Piazza del Popolo entfernt, lange Zeit als Topadresse. Hier studierten so bedeutende Künstler wie der Filmkomponist Ennio Morricone, der zeitgenössische Tonsetzer Bruno Maderno, der Stardirigent Carlo Maria Giulini und die international bekannte Sängerin Mariella Devia. Tempi passati, vergangene Zeiten, klagt Daniela Vessuti. Sie studiert Gesang:

    "Ja, eine tolle Tradition, aber heute muss man sich um alles allein kümmern. Die Rektorin versucht sicherlich die Quadratur des Kreises, aber sie hat ein schweres Erbe angetreten und das Universitätsministerium unterlässt nichts, um uns das Leben hier schwer zu machen. Aber die Bildungspolitiker sagen ja eh nichts zu unserer Kritik."

    Am berühmten Konservatorium der Heiligen Cäcilie studieren rund 1400 junge Leute. Circa 250 von ihnen kommen aus dem Ausland, vor allem aus Asien, denn dort genießt die Musik-Uni aufgrund verschiedener Tourneen ihres Studierendenorchesters ein großes Ansehen. Die Musik-Uni steckt mit mehr als einer Million Euro in der Kreide. Das hat seinen Grund in der skandalösen Wirtschaftsführung der vorherigen Rektoratsleitung. Geld zur Finanzierung des Studienangebots und des Lehrpersonals wurde veruntreut und der Rektor landete hinter Gittern.

    Das Konservatorium ist heute das Aschenputtel unter allen italienischen Musikhochschulen - die übrigens finanziell vom Universitätsministerium abhängig sind. Vor etwa zehn Jahren fielen sämtliche Konservatorien in die Zuständigkeit dieses Ministeriums. Mit dem Ziel, so hieß es damals vollmundig, sie besser zu organisieren. Das Gegenteil ist der Fall und das Santa Cecilia ist ein gutes Beispiel dafür. Dazu Lucia Montebuggero. Sie studiert Klavier und ist Mitglied des Studentenkomitees am Konservatorium:

    "Das Ministerium sorgt hier für dicke Luft. Die haben den Konservatorien vor Kurzem 40 Prozent ihrer Gelder gestrichen. Die Folgen für uns hier, für den Lehrbetrieb, kann man sich leicht vorstellen. Viele Lehrende fordern das Ende jahrelangen Prekariats und wollen endlich Festanstellungen. All das ist nicht möglich. Ein großes Durcheinander hier."

    So groß, dass das Studentenkomitee für Oktober Protestaktionen androht. Die Rede ist von einer Besetzung des Konservatoriums, um auf diese Weise Italiens Öffentlichkeit auf die unhaltbaren Zustände hinzuweisen. So verfügt man nur über 50 Probenstudios; 100 wären nötig. Der große historische Konzertsaal des Auditoriums, mit einer fantastischen Konzertorgel, kann nicht mehr benutzt werden, weil seit Jahren renovierungsbedürftig. Es fehlen Gelder, um seine Instandhaltung zu garantieren. Die traditionellen Konzerte fallen aus; damit auch eine mögliche zusätzliche Einnahmequelle.

    Studierende und Profs - nicht nur des Conservatorio Santa Cecilia - haben das Gefühl, dass die Regierung Berlusconi in keiner Weise an einer musikalischen Ausbildung interessiert ist. Gegen diese Realität protestierte in diesen Tagen der international bekannte Dirigent Riccardo Muti. Auch Ennio Moricone schließt sich dieser Kritik an:

    "In den letzten Jahren offenbarte sich ein enormes Desinteresse seitens der Politik an der musikalischen Ausbildung. Dieses Land ist nicht würdig, dass hier Musiker leben. Und der musikalische Nachwuchs? Der hat es doch überall besser als hier in Italien. Es ist schwierig, unsere Konservatorien unter solchen Umständen am Leben zu erhalten."