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Schamanen in Korea
Heilende Botschaften aus dem Himmel

Südkoreas Präsidentin kämpft derzeit um ihr politisches Überleben. Park Geun Hye soll einer angeblichen Schamanin ermöglicht haben, Einfluss auf die Regierungsarbeit zu nehmen. Spielt der Schamanismus, diese Naturreligion, in Korea ein zunehmende Rolle?

Von Jürgen Hanefeld | 02.12.2016
    Eine südkoreanische Schamanin nimmt die Rolle eines Mediums zwischen den Lebenden und der Geisterwelt ein.
    Eine südkoreanische Schamanin (imago / Michael Macinty)
    Wenn Min Hae-Kyung gemessenen Schrittes die Treppe herunterkommt, erstirbt jedes Geräusch. Die zierliche Frau im langen Kleid lächelt verhalten und etwas müde.
    "Gestern habe ich für viele Leute gebetet. Das hat sehr viel Energie verbraucht. Ich musste die Geister der Schüler treffen, um deren Botschaft zu übermitteln. Das hat mich sehr erschöpft."
    Der Tag, der sie so erschöpft hat, war der Tag, an dem alle 600.000 Oberschüler Südkoreas ihr Abitur machten. Während die jungen Leute über den Examensfragen brüten, füllen ihre Mütter und Großmütter die Tempel und Kirchen des Landes, um den Segen des Himmels zu erflehen. Wer heute durchfällt, hat schlechte Chancen in Koreas brutaler Leistungsgesellschaft. An solchen Tagen haben auch die Schamanen viel zu tun. Ist das eigentlich eine Religion?
    "Wir halten das für eine Religion, denn wir glauben an Naturerscheinungen, an Wind und Stürme, in denen sich Geister manifestieren. Schamanismus zählt in Korea nicht zu den offiziellen Religionen, aber wir glauben daran."
    Schamanin Min Hae-Kyung neben einer Figur eines Berggeistes
    Schamanin Min Hae-Kyung neben einer Figur eines Berggeistes (Picasa/Jürgen Hanefeld)
    Schamanismus ist die älteste Religion in Korea, ein Geisterglaube, so alt wie die Menschheit, sagt Min. Ob das nun fünf- oder zehntausend Jahre sind, spiele keine Rolle, entscheidend sei die Energie, die er entwickelt.
    Geister beschwören, Menschen helfen
    Die 50-Jährige lebt in einer großzügigen Villa am Rande der Metropole Seoul. Ein gepflegter Garten umgibt das Haus in Hanglage. Dahinter liegt nur noch ein bewaldeter Hügel, Sitz des Berggeistes, den die Priesterin beschwört, um Kontakt zum Jenseits herzustellen.
    "Ich glaube schon, dass ich spirituelle Kräfte besitze, denn ich kann Geister sehen, auch hier in meinem Tempel. Ja, ich besitze eine spezielle Macht. Die ist entweder angeboren wie bei mir - Kang-shi-mu - oder man hat die Gabe von den Eltern geerbt - Sei-si-mu. Ich war 15 oder 16, als ich diese Kraft zum ersten Mal in mir spürte. Mit 23 Jahren habe ich angefangen, Leuten zu helfen."
    Indem sie Botschaften aus dem Himmel an Menschen weitergibt. Das sei die eigentliche Aufgabe der "Mudang", wie sich die Priester des Schamanismus nennen.
    "Viele Leute, die zu mir kommen, haben medizinische Probleme. Oder wirtschaftliche. Oder es steht ihnen eine Prüfung bevor. Sie wollen etwas über ihre Zukunft wissen."
    Opfergaben aus dem Supermarkt
    Die Geister, die Min Hae-Kyung beschwört, seien manchmal in Umrissen sichtbar, manchmal nur zu spüren, aber immer seien es Vorfahren ihrer Klienten. Wenn sie erst kürzlich gestorben sind, sei es leicht, mit ihnen in Verbindung zu treten. Wenn sie schon länger tot sind, sei es viel schwieriger.
    "Außerdem kommt es auf die Einstellung des Kunden an. Wenn du ein Mensch bist, der an seinen Geist glaubt, ist es kein Problem, den Kontakt aufzubauen. Aber wenn du Christ bist oder einer anderen Religion angehörst, dann kann es sehr schwierig sein. Es kommt darauf an, woran du selbst glaubst."
    Schamanin Min Hae-Kyung
    Schamanin Min Hae-Kyung (Picasa/Jürgen Hanefeld)
    Eine Geisterbeschwörung ist eine farbenprächtige Zeremonie. Jeder Mudang hat seine eigenen Rituale, doch Tanz, Gesang und Musik gehören immer dazu. In ihrem heiligen Raum im Obergeschoss der Villa sind alle möglichen Götter, Geister und Dämonen versammelt, auch Buddha-Statuen und taoistische Heilige. Der Wichtigste aber ist der lokale Berggeist, der ihr das Tor zum Himmel öffnet. Wenn die Schamanin in Trance fällt, ist der Kontakt hergestellt. Manchmal verlangt er Opfergaben, manchmal wird ein Schwein mit einem Dreizack erstochen - symbolisch wenigstens.
    "Das Schwein ist ein Opfer. Aber ich töte es nicht. Es ist längst tot, ich kaufe es im Supermarkt. Es ist ein Bote zwischen Himmel und Erde. Das Schwein trägt die Botschaft von der Erde zum Geist im Himmel. Es verhindert den Fluss negativer Energie."
    Organisiert, rentabel - und seriös?
    Min Hae-Kyung ist eine Autorität in ihrer Branche. Als Vorsitzende der "Studiengesellschaft für traditionellen koreanischen Schamanismus" ist sie nicht nur ein häufig konsultiertes Medium. Sie hat auch dafür gesorgt, dass die Kunst der Mudang von der Regierung als "Nationalerbe" anerkannt wird. Mit dieser Autorität im Rücken stellt sie fest:
    "Unsere Fähigkeiten haben nichts mit Exorzismus zu tun. So etwas gibt es gar nicht bei uns. Wir wollen nur, dass es den Menschen besser geht, dass sie geheilt werden und glücklich sind. Bei uns wird niemand verletzt oder gar getötet."
    Dass Min das Zeremoniell nicht jederzeit und schon gar nicht vor einem neugierigen Journalisten inszenieren kann, liegt auf der Hand. Erstens nimmt sie ihre Heilkraft ernst und will keine Show daraus machen. Zweitens muss der Kunde ein wirkliches Anliegen haben, für dessen Behandlung dann der richtige Zeitpunkt berechnet würde. Und drittens ist die Heilung nicht umsonst. Sie selbst nennt keine Preise, aber für weniger als 1000 Dollar arbeiten Schamanen nicht. Wie man an ihrem Anwesen erkennt, leben zumindest einige der rund 300.000 offiziell als Mudang registrierten Priester nicht schlecht. Min beschäftigt zwei Assistentinnen und einen Hausmeister. Dennoch weist sie den Verdacht, Schamanen seien korrupte Scharlatane, entschieden zurück:
    "Ich will ganz klar machen: Dieses Land ist nicht das Land der Schamanen. Dieses Land ist eine Demokratie. Präsidentin Park und ihre Freundin haben nichts mit Schamanentum zu tun. Die Tätigkeit der der Mudang war immer verknüpft mit einzelnen Menschen, die Kontakt zu ihren Vorfahren aufnehmen wollten. Ich schäme mich sehr, dass Frau Choi unseren Namen missbraucht. Sie gehört nicht zu uns. "