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Schiedsrichter Deniz Aytekin
"Verhaltensweisen im Fußball, die für mich nicht tolerierbar sind"

Einst wurde er zum schlechtesten Schiedsrichter in der Fußball-Bundesliga gewählt, nun zählt er zu den besten: Deniz Aytekin. Im Sportgespräch spricht er über seine Wandlung als Schiedsrichter, über Respekt im Fußball und Gewalt gegen Unparteiische.

Deniz Aytekin im Gespräch mit Maximilian Rieger |
11.09.2021, Fussball 1. Bundesliga 2021/2022, 4. Spieltag, RB Leipzig - FC Bayern München, in der Red Bull Arena Leipzig
Deniz Aytekin pfeift seit 2008 in der 1. Fußball-Bundesliga. (imago images/MIS)
Er ist arrogant. Er ist unnahbar. Er ist hin und wieder unsouverän. Das waren alles Beschreibungen, die Deniz Aytekin vor etwa zehn Jahren abbekommen hat. Ein Drittel der Bundesliga-Profis wählt ihn damals zum schlechtesten Schiedsrichter in der Bundesliga.
Dieses Bild hat sich komplett gewandelt. Inzwischen gilt Aytekin zwar als durchsetzungsstark, aber trotzdem gelassen - und seitdem er in einer Sportschau-Doku als DJ aufgelegt hat, sogar als cool.

Schulzeit in der Türkei prägt Aytekin

Vor allem aber wird er respektiert. Und Respekt ist Aytekin seit seiner Kindheit wichtig. "Insbesondere in der Türkei habe ich gesehen und erfahren, was Respekt gegenüber Lehrern und älteren Menschen bedeutet", sagt Aytekin im Deutschlandfunk, der seine Grundschulzeit größtenteils in der Türkei verbracht hat. Das habe ihn "enorm geprägt".
Passend, dass seine neue Biografie „Respekt ist Alles“ heißt. Darin beschreibt er seinen Aufstieg als Schiedsrichter von der Kreisklasse bis zur Bundesliga. Dort hatte er in den ersten Jahren einen schweren Stand.

"Junge, du reagierst total über"

"Man ist in der Persönlichkeit vielleicht noch gar nicht so weit gereift und hat dann so eine Mammutaufgabe im Lizenzfußball Spiele zu leiten. Und jede Reaktion von einem Spieler fasst man plötzlich als Kritik an der Person auf", erzählt Aytekin. Er habe lernen müssen, seine Kommunikation an die Spieler anzupassen.
Bildnummer: 04105276  Datum: 01.11.2008  Copyright: imago/Picture PointSchiedsrichter Deniz Aytekin ermahnt lautstark Salvatore Amirante (Jena); Vdig, quer, Gestik, 3. Liga 2008/2009, FC Carl Zeiss Jena Jena Fußball Herren Mannschaft Deutschland Gruppenbild pessimistisch Aktion PersonenImage number 04105276 date 01 11 2008 Copyright imago Picture Point Referees Deniz Aytekin admonishes loudly Salvatore Amirante Jena Vdig horizontal Gesture 3 League 2008 2009 FC Carl Zeiss Jena Jena Football men Team Germany Group photo pessimistic Action shot Human Beings
2010 war Aytekin noch nicht ganz so glassen. Hier ermahnt erlautstark Salvatore Amirante von Carl Zeiss Jena. (imago sportfotodienst)
Geholfen habe ihm dabei unter anderem sein türkischer Schiedsrichter-Kollege Bülent Yildirim, der sich einige Spiele von Aytekin angeguckt hat. "Und der hat gesagt: Junge, da gibt's Situationen, da reagierst du total über. Das braucht es einfach nicht."
Inzwischen gilt Aytekin als ein einer der besten Kommunikatoren auf dem Platz. "Ich sage immer: Mit einer gelben und roten Karten alleine kann man ein Spiel nicht leiten. Sondern man muss immer eine gewisse Empathie haben."

"Mit mehr Gelassenheit hätte ich Dahoud nicht vom Platz gestellt"

Dass er sich aber nicht scheut, Karten zu zeigen, musste erst vor kurzem der Dortmunder Mo Dahoud erfahren. Nach einem Pfiff gegen sich hatte der Mittelfeldspieler gegenüber Aytekin abgewunken. Der Schiedsrichter zeigte ihm dafür die gelb-rote Karte.

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"Was mich an der ganzen Sache rückblickend stört ist, dass ich mich da so hab emotionalisieren lassen", sagt Aytekin – ausgelöst dadurch, dass es davor diverse andere ähnliche Situationen gegeben hatte. "Wenn ich etwas mehr innere Gelassenheit gehabt habe, hätte ich den Mo Dahoud nicht vom Platz gestellt. Allerdings muss ich ganz klar sagen: Dieses Abwinken möchte ich einfach nicht. Und es passt auch nicht ins Bild und passt auch nicht zum Fußball."

"Je mehr Transparenz, desto weniger Theater"

Respektloses Verhalten sei aber in allen Spielklassen des Fußballs ein Problem. „Insbesondere in den unteren Klassen kriegt man immer mehr mit, dass da Verhaltensweisen an den Tag gelegt werden, die in meiner Welt nicht tolerierbar sind", so Aytekin. "Es gibt andere Sportarten, wo Schiedsrichter anerkannt und respektiert werden. Im Fußball ist es leider nicht immer so."
Als Beispiele nennt Aytekin Handball und Rugby. Im Rugby erklären die Schiedsrichter strittige Entscheidungen kurz für das gesamte Publikum per Mikrophon. Eine Lösung, die sich Aytekin auch im Fußball vorstellen kann. "Ich hätte damit kein Problem. Je mehr Transparenz und je mehr man seine Entscheidung erklärt, desto weniger Theater."
Bayern München - Hannover 96, 32. Spieltag in der Allianz Arena. Auf einem Display im Stadion wird auf eine Entscheidungssituation des Videoassistenten hingewiesen.
Bayern München - Hannover 96, 32. Spieltag in der Allianz Arena. Auf einem Display im Stadion wird auf eine Entscheidungssituation des Videoassistenten hingewiesen.
Videobeweis für Zuschauer
Auch wenn sich viele Fußball-Fans immer noch seine Abschaffung wünschen: Der Videobeweis werde nicht nur bleiben, er habe die Bundesliga auch gerechter gemacht, sagte DFB-Schiedsrichter Jochen Drees im Dlf. Aber er fordert mehr Transparenz.

Aytekin besorgt über Gewalt gegen Schiedsrichter

Sorgen bereiten Aytekin die gewalttätigen Angriffe auf seine Kollegen in den Amateurligen. Rund 3000 Fälle von Gewalt und Diskriminierung hatten Schiedsrichter in der Saison 2019/20 in ihren Spielberichten vermerkt.
„Jeder einzelne Fall ist zu viel“, meint Aytekin, der selbst in seiner Zeit als Amateurschiedsrichter von einem Spieler nach dem Spiel auf dem Parkplatz mit einem Tritt angegriffen wurde. Es sei „eine wahnsinnige Leistung“ von den angegriffenen Schiedsrichtern, trotzdem weiterzumachen. „Das ist etwas, was ich wirklich bewundere.“

Altergsgrenz für Aytekin kein Problem

Wie lange er selber noch pfeifen wird, weiß der 43-Jährige im Moment noch nicht. Nachdem er acht Monate wegen einer Achillessehnenverletzung pausieren musste, freue er sich im Moment über jedes schmerzfreie Spiel. Er werde so lange weitermachen, wie er noch Freude an der Tätigkeit hat – oder bis er die DFB-Altersgrenze von 47 Jahren erreicht hat.
Gegen diese Altersgrenze klagt Aytekins Ex-Schiedsrichter-Kollege Manuel Gräfe. Er sieht darin eine Altersdiskriminierung. Aytekin hat mit der Grenze hingegen kein Problem. „Ich bin damals aufgestiegen, weil ein älterer Kollege raus ist, und ich respektiere diese Vorgabe. Ich möchte den jungen Schiedsrichtern auch nicht irgendwie einen Platz wegnehmen.“

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"Ich verdanke dem Land extem viel"

Gräfe hatte in einem Interview mit der ZEIT auch mangelnde Anerkennung durch den DFB kritisiert. Weder sei jemand vom DFB bei seinem letzten Spiel vor Ort gewesen, noch habe es eine SMS gegeben. Gräfe führt das auf seine öffentliche Kritik zurück, die er gegenüber dem Verband in den vergangenen Jahren häufiger geäußert hat.
„Wenn er solche Erfahrungen gemacht hat, muss das auch letztendlich so respektieren und dann ist es auch in Ordnung, wenn er so etwas äußert“, meint Aytekin dazu. „Aber ich habe andere Erlebnisse. Ich wurde beim DFB weder gemobbt noch sonst irgendwas. Ich wurde unterstützt. Letztendlich habe ich nicht nur dem DFB, sondern auch dem Land extrem viel zu verdanken, weil ich als Gastarbeitersohn her so viel erreichen durfte.“