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Schönheit im Spiegel

"Dorian Gray" - den Klassiker von Oscar Wilde - gibt es nun auch als Oper, komponiert von der Slowakin Lubica Cekovská. Frieder Reininghaus hat sich die Uraufführung in Bratislava angesehen.

Von Frieder Reininghaus | 09.11.2013
    Nun also "Dorian Gray" – mit Musik, die seit der Zeit des illustren Snobismus und des von Repressalien bedrohten Hedonismus Oscar Wildes noch Erfahrungen von mehr als hundert Jahren Musik- und Operngeschichte sammeln konnte. Oscar Wildes aus dem Fin de Siècle stammender London-Roman thematisierte die Wechselbeziehung zwischen einem Ölgemälde und der zunehmend von Lüsten und Lastern bestimmten Biographie des schönen jungen Mannes, der ihm Modell stand, angereichert von genüsslicher Schilderung der homoerotischen Begierden in der Upper class.

    Aus einem (fast platonischen) Lehrgespräch über die Unausweichlichkeit des Alterns zwischen dem diabolischen Lord Henry und dem naiven Schönling Dorian entwickelt sich bei diesem die Sehnsucht nach ewiger Jugend. Er verkauft – einem uralten literarischen Modell folgend – seine Seele: Das Bild altert, während er in seiner eskalierenden Genuss-Sucht schuldig wird, dabei auf dramatische Weise jung bleibt.

    Die Librettistin Kate Pullinger ließ vom Wildeschen Diskurs über schöne Kunst und richtiges Leben wenig übrig und konzen-trierte sich nach der Manier von Boulevardtheater auf die plakativ zur Wirkung bringbaren Stationen der abschüssigen Biographie eines Dandys. Also: Wie er sich von Lord Henry nur allzu willig verführen lässt und eine blutjunge Schauspielerin ruiniert (später treibt er auch den Kumpan Alan zum Suizid); wie er durch Clubs, Spelunken und Opiumhöhlen zieht und auf dem Weg der Ausschweifungen u. a. den Maler des Musterbildes ersticht, am Ende von seinen Schuldgefühlen eingeholt wird und ins eigene Messer stürzt.

    Schlicht und linear
    Das alles erzählt die Inszenierung von Nicola Raab schlicht und linear vor einer Kulisse, die mit wenigen Pinselstrichen und Requisiten spätes 19. Jahrhundert und ein wenig von dessen Dekadenz andeutet. Die Übertragung des Alterns von der Person auf deren Abbild allerdings sparte sie aus: Ist vom Konterfei die Rede, stellt sich allemal Eric Fennell, der strapazierfähige Tenor der Titelpartie, in den Rahmen. Das vermeidet zwar geschickt, Porträtkunst ganz auf der Höhe der Zeit und dazu in ständiger Veränderung zeigen zu müssen, bringt das Drama damit aber um den höheren Pfiff. Gewiss, die Komponistin Lubica Cekovská war bemüht, Musik an die Hohlstelle treten zu lassen: "Stimmen des Bildes", gesungen von einem Knabenchor, voraufgezeichnet und elektronisch nachbearbeitet, ziehen sich wie ein Erinnerungs- oder Leitmotiv durch die drei Akte, erscheinen in verschiedenen Varianten zehnmal.

    Der narrative und bei der Illustrierung des in Langeweile dahindümpelnden Aristokratenlebens viel zu massiv ausgestattete Orchestersatz, den Christopher Ward auch noch hoch aussteuert, ist frei atonal gehalten, dabei nicht allzu reich mit schärferen Dissonanzen oder gar rhythmischen Schreckmomenten bestückt, sondern eher fließend und aufgeladen mit mancherlei Figuren der nachklassischen Operntradition. In den weithin recht gut sangbaren Linien der Solostimmen, aber auch im Instrumentalbett finden sich mancherlei Muster, wie sie Benjamin Britten und Schostakowitsch ausgeprägt haben, insbesondere aber auch Intonationen, die unmittelbar an Janácek anknüpfen.

    Der elegante Londoner Lebemann Dorian Gray wurde aus der Ära des Viktorianismus musikalisch ins ländlich-deftige Mittelosteuropa transferiert mit einer vielleicht zu engagiert aufgesetzten Tonspur. Eine gewisse Distanzierung durch musikdramatische Mittel der Moderne hätten der Kunstförmigkeit des Projekts womöglich gut getan.