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"Schoßgebete" im Kino
Lavinia Wilson war ein Glücksgriff

Sönke Wortmann ist mit der Verfilmung von Charlotte Roches Roman "Schoßgebete" einer der besten deutschen Unterhaltungsfilme des Jahres gelungen. Das liegt auch an Hauptdarstellerin Lavinia Wilson: Sie serviert die Sprüche der Ich-Erzählerin so, dass dahinter deren Verletzlichkeit aufscheint.

Von Josef Schnelle | 18.09.2014
    Lavinia Wilson
    Lavinia Wilson ist die Hauptdarstellerin in Sönke Wortmanns Verfilmung des Romans "Schoßgebete" von Charlotte Roche. (picture alliance/ dpa/ Henning Kaiser)
    "Also, um mal mit der Tür ins Haus zu fallen: Lisa und ich haben Würmer."
    So kennt man die Autorin Charlotte Roche, die in ihren Geschichten Ekliges von der Analfissur bis eben zu Fadenwürmen ausbreitet und ihre Figuren sich entschlossen zu einem außergewöhnlichen Sexleben bekennen lässt. David Wendts Verfilmung von "Feuchtgebiete" folgte ziemlich exakt der Vorlage und ihrem Skandalpotenzial. Nun hat sich Sönke Wortmann an die "Schoßgebete" herangewagt.
    Alles ist da: die gewagten Ekelszenen, selbstbewusster Sex und Verletzlichkeit. Und doch ist alles anders. Wortmann setzt im Unterschied zur David Wendts "Feuchtgebiete"-Verfilmung auf Tiefe, auf psychologisch komplexe Hintergründe. Dabei ist er das, was man einen soliden Handwerker nennt. Er begeistert kaum mit genialischer Inszenierungskunst oder ungewöhnlichen Bildeinfällen. Mit ihm fühlt man sich stets auf der sicheren Seite. Er ist ein Erfolgsgarant auf dem Regiestuhl, wie Til Schweiger es als Schauspieler ist.
    Der große Glücksgriff seines Films "Schoßgebete" ist aber Hauptdarstellerin Lavinia Wilson, die die neurotischen Sprüche und die freche Offenheit der Ich-Erzählerin so zu servieren weiß, dass dahinter deren Verletzlichkeit aufscheint.
    "Letztens hab ich im Wäschekorb eine Socke gefunden, die war voll mit Sperma. Ich bin mir sicher, dass es Sperma war. Das erkenne ich auf zehn Meter Entfernung. Dabei wollte ich doch, dass er perfekt ist, dass er stark ist und dass er nicht diese ganzen ekligen Sachen macht, die Menschen so machen. Und dann geht der mir praktisch mit einer Socke fremd, wichst sie voll statt mich."
    Nur beim Sex kann die Protagonistin loslassen
    Elizabeth hat sich eingerichtet: im Stile einer Alleinerziehenden in der Patchworkfamilie mit ihrer Tochter Lisa, angewiesen auf den Sex mit ihrem neuen Ehemann Georg, dem sie alle Wünsche erfüllt, und auf die Therapiesitzungen mit Frau Drescher. Nur beim Sex, so bekennt sie, kann sie loslassen und ihren allgegenwärtigen Kontrollwahn für ein paar schöne Momente aufgeben.
    Ansonsten ist sie von ihren Ängsten umzingelt. So träumt sie vom Feuertod im Fahrstuhl oder dass das Haus zusammenbricht oder von einem Amoklauf in der Redaktion einer Boulevardzeitung. Elizabeth ist eine Frau ohne Eigenschaften, einerseits eine Verfechterin der vegetarischen Biokosternährung, andererseits den extravaganten sexuellen Wünschen ihres Mannes nicht abgeneigt. Gemeinsame Bordellbesuche gehören zum festen Ritual ihrer Ehe.
    "Vor ein paar Jahren hatte er die Idee zum ersten Mal. Das mit dem Puff-Besuch. Ich hab ihm dann immer vorgespielt, dass mir das nichts ausmacht. Mittlerweile find ich's auch irgendwie ganz geil und es hilft uns. Es hilft unserer Ehe."
    Grundsolider Film
    Wortmanns Inszenierung des Dreiers im Bordell fehlt jeder Anschein des Schmuddeligen, das er ohnehin konsequent aus seinem Film heraus zu halten versucht. Die Szene hat sogar eine gewisse Eleganz. Umso mehr Raum bekommen - durchaus nicht ohne Komik - die immer anwesenden Neurosen der Hauptfigur und wie sie daraus ein einigermaßen geordnetes Alltagsleben zu zimmern versteht.
    Sönke Wortmann ist wieder einmal ein grundsolider Film gelungen, der sich nur selten auf die Eskapaden einlässt, die der Roman ihm anbieten würde. Roche-Fans mag das enttäuschen. Dennoch gehört dieser Film zu den besten deutschen Unterhaltungsfilmen des Jahres.
    Vor allem deswegen, weil all die Marotten und Neurosen der Hauptfigur einen ernsten Hintergrund haben. Auf dem Weg zu ihrer Hochzeit mit dem Kindsvater Stefan ist damals etwas passiert. Sie hat bei einem schrecklichen Autounfall ihre Geschwister verloren. Das ist der Urgrund all ihrer psychischen Leiden.
    "He Papa! Na?"
    "Wo bist Du Elisabeth?"
    "Wir sind gerade gelandet. Seid ihr schon da?"
    "Ja, ja, aber es hat einen ganz schweren Unfall gegeben auf der Autobahn – eine Massenkarambolage. Die Polizei hat mich gerade angerufen. Wir müssen davon ausgehen, dass alle, die in diesem Auto saßen, tot sind."